Es vergeht kaum ein Tag, an dem bullische und bärische Strategen nicht aufeinandertreffen und gegenteilige Strategien empfehlen. Denn die wichtigsten Konjunkturindikatoren wie Inflation, Kerninflation, Wirtschaftswachstum, Arbeitsmarktdaten und Frühindikatoren senden derzeit widersprüchliche Signale aus. Diese fallen oder steigen nicht im perfekten Gleichschritt. Für Anlegerinnen und Anleger wie die Kommentatoren ist es entsprechend schwierig, diesen Datensalat richtig einzuordnen und zu interpretieren.
Wie durchzogen die Entwicklung in Europa ist, zeigt Thomas Gitzel, Chefökonom bei der VP Bank, unter anderem an einem Sachverhalten auf: "Zwar schlägt sich die Wirtschaft des gemeinsamen Währungsraumes insgesamt deutlich besser als befürchtet. Der Dienstleistungssektor frohlockt und schiebt das Wachstum an. Doch die Wirtschaft läuft damit nur auf einem Zylinder; das verarbeitende Gewerbe bleibt angeschlagen. Weil es am zweiten Zylinder fehlt, werden die Wachstumsraten nicht besonders üppig ausfallen", so Gitzel.
Weitere Zinserhöhungen trotz durchzogenen Daten
Und noch etwas sollte bedacht werden: Der gut laufende Dienstleistungssektor in Europa steht einem deutlichen Rückgang der Inflationsraten gegenüber. Die Preissetzungsmacht der Touristikkonzerne, Hotels und Restaurants ist aufgrund der starken Nachfrage entsprechend gross. "Greedflation" ist ein Thema, wie Albert Edwards von Société Générale im Interview mit cash.ch hier festhielt. Die Europäische Zentralbank (EZB) wird also weiterhin an der Zinsschraube drehen müssen - vermutlich sogar deutlich.
In den USA geht es fast noch widersprüchlicher zu und her. Der Arbeitsmarkt ist ausgetrocknet, auf der anderen Seite zeigen die Frühindikatoren seit Monaten nach unten und der Häusermarkt ist in schlechter Verfassung. Auf der anderen Seite sieht der Geschäftsgang gemäss "Beige Book" gar nicht mal so schlecht aus und die Unternehmensgewinne wachsen zwar weniger stark, aber von einem beängstigenden Gewinneinbruch kann überhaupt nicht gesprochen werden.
Aktienrally vor Rezession
Ein Blick zurück in die Vergangenheit zeigt gemäss dem Beratungsunternehmen ERCI, dass Aktienmarkt-Rallyes erstaunlicherweise gerade dann angetrieben werden, wenn eine Rezession bevorsteht. Solche Rallyes traten zu Beginn von vier der sechs Rezessionen zwischen Mitte der 1970er Jahre und der grossen Finanzkrise auf. Die vier Startdaten der Rezessionen und die Dauer waren von 1973-1975, 1980-1981, 2001-2002 und 2007-2009, als der S&P 500 Index zwischenzeitlich Kursgewinne im zweistelligen Prozentbereich auswies. Dies verhält sich im Moment ähnlich.
Nicht lange nach Beginn der Rezession 2007-2009 im Dezember 2007 - gestützt durch den Irrglauben, dass beispiellose fiskal- und geldpolitische Anreize die Rezession abgewendet hätten - stiegen Aktien um 12 Prozent zwischen Mitte März und Mitte Mai 2008. Und selbst sechs Monate nach Beginn der Rezession im Juni 2008 hatten Echtzeitdaten kein einziges negatives Quartal des BIP-Wachstums gezeigt.
Analog sieht es heute aus. Laut ERCI ist der Markt derzeit immer noch überzeugt davon, dass die Inflation und nicht eine Rezession das eigentliche Problem ist. Damit unterstreichen die Märkte die Wichtigkeit der Inflationsentwicklung und begannen damit, vorerst weiter auf Zinserhöhungen der Fed zu setzen.
Rezession schwer zu prognostizieren
Ein weiteres Problem ist die Schwierigkeit, eine Rezession in Echtzeit zu erkennen. ERCI weist darauf hin, dass Querströmungen in den Daten sowie wesentliche Datenrevisionen - die lange nach der Tatsache eintreffen - eine Prognose äusserst schwierig machen. So sei unklar, wo sich die Wirtschaft derzeit im Zyklus befindet und die Prognose nur schwer lesbar, wohin sie sich als nächstes bewegt.
Dies hilft zu erklären, warum es selbst in Zeiten einer Rezession in der Vergangenheit und auch jetzt zu beträchtlichen Aktienrallyes kommt. Mit diesem Wissen ist die Rally von über 10 Prozent seit Beginn dieses Jahres selbst bei einer sich abzeichnenden Rezession nicht überzogen.
1 Kommentar
Meines Erachtens befinden wir uns in einer Zeit der "verrückten Politik" analog Anfang der 1970er Jahre.
Diese Verrücktheit ist weitgehend global. China hat seine Integration in die Weltwirtschaft gestoppt, Putin, Erdogan agieren imperialistisch. Der Westen wird durch die Ökoreligion geprägt. Die Verteufelung moderner Energie schadet Industrie und Wirtschaft. In der Corona Panik wurden grosse Bereiche des Wirtschaftslebens lahmgelegt.
Analog der 1970er Jahre ist aktuell mit Kapital wenig Geld zu verdienen. Die Zinsen liegen unter der Geldentwertung. Aktien tun sich in dem Umfeld gleichfalls schwer. Unternehmen die sich dem Wahnsinn soweit möglich entziehen können, nicht im Fokus der Politik stehen, können am ehesten zumindest einen Werterhalt gewähren.
Ändern wird sich dies erst dann wenn die Menschen genug haben von der verrückten Politik und Politiker wählen die den wirtschaftlichen Fortschritt priorisieren.