Dieses Interview ist Teil des am 1. Dezember 2018 erschienenen Anlegermagazins «VALUE» von cash. Sie können das Magazin als E-Paper lesen, als PDF herunterladen oder gratis als gedruckte Ausgabe bestellen.

 

cash VALUE: Frau Laeri, werden Sie als Moderatorin von «SRF Börse» in der Öffentlichkeit auch mal nach Aktientipps gefragt?

Patrizia Laeri*Es kommt schon mal vor, dass jemand ruft: «Wie läufts denn so an der Börse?» Auch um Selfies werde ich ab und zu gebeten. Aber die Leute in der Schweiz sind generell eher diskret.

Weshalb wurden Sie Wirtschaftsjournalistin?

Plan A war immer, dass ich Strategieberaterin bei McKinsey oder der Boston Consulting Group werde. Als ich dann 2001 das Wirtschaftsstudium beendete und die Börsenkrise hereinbrach, stellten diese Firmen keine Leute mehr ein. Dann kam Plan B zum Zug: Journalistin. Ein Antrieb war auch das Buch «Irrational Exuberance» des Nobelpreisträgers Robert Shiller. Das Thema, weshalb es immer wieder zu irrationalen Übertreibungen an den Börsen kommt, faszinierte mich.

Haben Sie es nie bereut, dass Plan A nicht klappte?

Nein. Es ist ein Privileg, Journalistin oder Journalist zu sein. Man wird im Journalismus zwar nicht reich, und unser Beruf hat viel mit Idealismus zu tun. Aber ich treffe viele spannende Leute, Entscheidungsträger und Firmenchefinnen. Dabei erwirbt man viel Hintergrundwissen. Journalisten tragen eine grosse Verantwortung und haben Macht, die man nicht missbrauchen darf.

Sie interviewen fast täglich Exponenten der Wirtschaft. Wir haben den Eindruck, die Firmenchefs sind in ihren Äusserungen in den letzten Jahren immer fader und ängstlicher geworden.

Diesen Eindruck teile ich. Man hat das Gefühl, es hören im Hintergrund immer die Juristen mit, wenn sich die Chefs zu einem Thema äussern. Vor Jahren hatten wir noch CEOs mit kernigeren und meinungsbetonten Aussagen; ich denke etwa an Oswald Grübel oder Peter Brabeck. Die waren mit ihren Aussagen authentisch. Entlarvend sind Chefs,  die eine «Message» auswendig lernen und diese herunterleiern, egal, welche Frage ich stelle. Da merkt man den zunehmenden Einfluss der Public-Relations-Leute. Solches Verhalten wirkt nicht sehr glaubwürdig und weckt Zweifel an den Qualitäten eines Managers.

Wer ist in Sachen Interviews ein Vorbild?

Die abtretende Bundesrätin Doris Leuthard. Die sagte immer: «Stellen Sie mir alle Fragen, die Sie wollen.» Das ist sehr souverän.

Welches war Ihr interessantester Interviewpartner?

Tim Berners-Lee, der Erfinder des World Wide Web. Er hat keine Freude daran, wie sich das Internet entwickelt hat. Generell finde ich Gespräche mit Visionären der Digitalisierung spannend. Ich führe auch gerne Interviews mit Verhaltensökonomen wie Ernst Fehr. Und Harvard-Professorin Iris Bohnet steht zuoberst auf der Wunschliste.

Patrizia Laeri (links) im Gespräch mit cash-Chefredaktor Daniel Hügli (Mitte) und cash-Redaktor Ivo Ruch.

Wie beurteilen Sie den Börsenverlauf der letzten zehn Jahre?

Wir haben historisch gesehen eine der längsten Börsenhaussen. In den letzten zehn Jahren haben sich aber einige Blasen gebildet, die das Potenzial haben, die nächste Krise auszulösen. Denken Sie an die vielen Kredite, die aufgrund der günstigen Konditionen vergeben wurden. Da haben sich hohe Schulden angehäuft, sowohl bei Firmen und Privaten als auch bei Staaten. Schade ist, dass das billige Notenbankgeld die Vermögenden reicher gemacht hat und dass ärmere Bevölkerungsschichten, die sich keine Aktien oder Immobilien kaufen können, nicht davon profitieren konnten.

Steht ein Börsencrash bevor?

Es kann an den Börsen natürlich noch lange so weiterlaufen wie bisher, denn die Notenbanken halfen in den letzten Jahren immer aus, wenn es brannte. Aber die Verschuldung ist heute höher als vor der Finanzkrise, und es gibt Risiken wie das Schattenbankensystem. Tatsache ist: Die Finanzmärkte erfahren immer wieder Abstürze und Krisen.

Schuld ist die Geldgier...

Es ist durchaus erklärbares, rationales Verhalten. Wenn die Leute Möglichkeiten sehen, dass sie Geld verdienen können, dann nehmen sie diese wahr. Und auf lange Sicht ist es sicher gut, in Aktien investiert zu sein. Damit investiert man ja auch in Arbeitsplätze und Innovationen. Ich sehe aber einen grossen Unterschied im Anlageverhalten von Männern und Frauen.

Inwiefern?

Erstens ist bloss ein Drittel der Vermögen in den Händen von Frauen. Dann verzichten die Frauen auch auf viel Rendite, indem sie 71 Prozent ihres Vermögens in Bargeld halten. Frauen sind sehr kritische Investorinnen und sind langfristiger orientiert als Männer. Sie schätzen auch den Effekt der Transaktionsgebühren im Börsenhandel viel klarer ein. Und wovon ich immer mehr überzeugt bin: Frauen trauen der männerdominierten Bankenindustrie nicht. Seit den 90er-Jahren versuchen die Banken regelmässig, Frauen als Anlegerinnen zu gewinnen. Doch das ist nicht glaubwürdig, denn Frauen durchschauen das. Männer haben bei der Anlageberatung immer Männer angesprochen.

Geschlechterfragen tauchen bei Ihnen sehr häufig auf. Warum?

Auch die Themen Fintech oder Digitalisierung sind mir sehr wichtig. Ich habe Angst, dass alte Geschlechterrollen und Vorurteile in die neuen Welten der künstlichen Intelligenz übertragen werden. 90 Prozent der Programmierer sind dort männlich.

Gibt es ein Schlüsselergebnis, warum Sie sich so stark für Frauenanliegen einsetzen?

Ich war selber von Sexismus betroffen und musste mit Medienanwältinnen gegen Vertreter aus der eigenen Branche vorgehen. Damals wurde ich in einem Artikel als einzige Funktionsbezeichnung «Ex-Hobby-Model» genannt, obwohl ich Journalistin und Ökonomin bin. Da wurde mir bewusst: Die Medien sind ein Teil des Problems, das tiefer liegt. Von den hundert grössten Schweizer Unternehmen werden nur deren drei von Frauen geführt. Und nur vier Frauen haben den CEO-Posten bei den insgesamt 253 Schweizer Banken inne. Das sind 1,6 Prozent.

Besteht nicht die Gefahr, dass man monothematisch und daher nicht mehr glaubwürdig wirkt, wenn man immer die gleichen Themen aufnimmt?

Es sind halt meine Erfahrungen, die ich jeden Tag mache. Ich befinde mich in einer meiner Meinung nach abnormalen Umgebung, in der es unter Firmen-CEOs und Medienschaffenden fast nur Männer hat. Ich fokussiere mich bei der Arbeit dann eher auf das, was Frauen oder Managerinnen machen. Dieses Verhalten ist ganz natürlich, Männer tun es gleich. Aber solches Rollenverhalten sollte man auch aufbrechen.

Müsste man Sie angesichts Ihrer Anliegen parteipolitisch einordnen, dann wären Sie eher auf der linken Seite.

Überhaupt nicht. Die Bewegung «Operation Libero» oder die Grünliberale Partei der Schweiz vertreten ähnliche Anliegen und werden als liberale Parteien oder Mitte-Parteien eingestuft.

Streben Sie nach Reichtum?

Nein, aber nach Glück (lacht). Studien legen nahe, dass man oberhalb einer gewissen Einkommensschwelle nicht glücklicher wird. Deshalb ist es besser, man hat mehr Zeit für die Familie oder für Reisen, als noch mehr verdienen zu wollen.

Wie legen Sie Ihr Geld an?

Die SRF-Wirtschaftsjournalisten dürfen ihr Geld nicht in Einzelaktien anlegen. Indexanlagen dürfen wir dagegen tätigen. Für mich ist klar: Ich halte mich an das so genannte «Gender Lens Investing». Ich investiere also nur in frauenfreundliche Unternehmen. Dafür gibt es spezielle «Exchange Traded Funds». Ich achte bei Investitionen auch auf die Einhaltung der ESG-Voraussetzungen: die Berücksichtigung von Umweltkriterien, sozialer Verantwortung und verantwortungsbewusster Unternehmensführung.

In Schweizer Grossbankaktien wie UBS oder Credit Suisse würden Sie also nicht investieren?

Nein, weil Frauen dort auf oberster Managementebene untervertreten sind.  Aber hoffentlich rückt dort der Nachwuchs bald nach.

Sind Sie in Immobilien investiert?

Ja, und ich habe mich deshalb auch entsprechend verschuldet, wie so viele Schweizerinnen und Schweizer. Es ist eine Immobilie, in der ich selber wohne.

Wie halten Sie es mit der Vorsorge?

Bei der 3. Säule bin ich fleissig dabei. Das herkömmliche Vorsorgesystem macht mir Sorgen.

Weshalb?

Diverse Reformen bei der Altersvorsorge sind auf politischer Ebene bis jetzt gescheitert. Man erhält fast den Eindruck einer ausweglosen Situation. Darum verstehe ich, wenn sich junge Menschen fragen, ob sie in 20 oder 30 Jahren überhaupt noch Rente erhalten.

Wir haben nun gegen vier Jahre die Negativzinsen der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Wie sehen Sie die Zinsentwicklung?

Ich sehe eher japanische Verhältnisse auf uns zukommen. Seit rund 20 Jahren betreibt Japan ja eine Nullzinspolitik mit hoher Verschuldung. Überdies ist die SNB im Korsett der Europäischen Zentralbank gefangen, welche mit vielen Problemen der Eurozone konfrontiert ist. Das spricht ebenfalls gegen hohe Zinsen.

*Patrizia Laeri (41) ist in Flurlingen ZH aufgewachsen und in Winterthur zur Schule gegangen. Nach dem Wirtschaftsstudium in Zürich und Madrid schrieb sie 2001 erste Börsenberichte für die NZZ und begann dann als Reporterin beim Schweizer Fernsehen. Laeri moderiert heute die Sendungen «SRF Börse» und «Eco». Sie ist Beirätin des «Institute for Digital Business» der Hochschule für Wirtschaft Zürich. Laeri wohnt mit ihren zwei Kindern und ihrem Partner in Männedorf.