Die Anleger und Anlegerinnen an der Wall Street debattieren seit ein paar Wochen heftig über die Dauerhaftigkeit der Erholung an den US-Aktienmärkten. Kein Wunder, denn ein entscheidendes Puzzleteil könnte fehlen, damit ein nachhaltiger Aufschwung gewährleistet ist: Es handelt sich um die sogenannte "20er-Regel" - ein Schlüsselmass für Aktienbewertungen, das mit Peter Lynch populär wurde. Lynch ist ehemaliger Manager des Flagship-Fund Magellan von Fidelity und war berühmt dafür, mit dem Fonds eine höhere Performance als der Vergleichsindex S&P 500 zu erzielen.

Der wichtigte Marktindikator funktioniert wie folgt: War die Summe der jährlichen Veränderung des Konsumentenpreisindex und des Kurs-Gewinn-Verhältnisses in der Vergangenheit niedriger als 20, so hat der S&P 500 seinen Tiefpunkt erreicht. Das bedeutet, dass Aktien fair bewertet sind, wenn sich das Kurs-Gewinn-Verhältnis für den S&P 500 und die Inflationsrate zusammengezählt auf weniger als 20 beläuft. Wenn der Wert über dieser Schwelle liegt, deutet dies darauf hin, dass die erwarteten Renditen am Aktienmarkt niedriger sein werden als in Zeiten, in denen die Summe unter 20 liegt.

Die 20er-Regel von Peter Lynch besagt, dass der S&P 500 Index bei einem Wert von unter 20 nachhaltigeres Potenzial hat.

Die 20er-Regel von Peter Lynch besagt, dass der S&P 500 Index bei einem Wert unter 20 nachhaltigeres Potenzial hat.

Quelle: Bloomberg

Laut Gillian Wolff, Aktienstrategin bei Bloomberg Intelligence, erweist sich die Inflation jedoch nach wie vor als Hindernis für die US-Aktienmärkte und signalisiert, dass eine Verlangsamung der Kursentwicklung oder gar ein Rückgang noch bevorstehen könnte. Basierend auf den prognostizierten Gewinnen und den US-Konsumentenpreisen liegt die Gesamtzahl derzeit bei 25,8, wie die zusammengestellten Daten zeigen. Die "20er-Regel" signalisiert auch, dass die Summe aus Kurs-Gewinn-Verhältnis und Teuerung in 54 der letzten 60 Monate über 20 lag, sagte Wolff.

Boden am Markt erst bei einem Wert unter 20 erreicht

"Die 20er-Regel ist ein grundlegendes Mass dafür, wo sich der faire Wert für den Aktienmarkt befindet", sagte Scott Colyer, Chief Executive bei Advisors Asset Management. "Märkte erreichen in der Regel erst einen Boden, wenn dieser Indikator bei 20 oder darunter liegt."

Tatsächlich hat der Indikator eine hervorragende Erfolgsbilanz, wie die Strategen der Bank of America unter der Leitung von Savita Subramanian aufzeigen. In sieben von sieben früheren Marktabschwüngen hat der Indikator den Tiefstpunkt anzeigt. Es ist jedoch erwähnenswert, dass es im Laufe der Geschichte verschiedene Treiber gab. Zum Beispiel war Ende der 1990er Jahre das Kurs-Gewinn-Verhältnis für den grössten Teil der Kursgewinne verantwortlich, da der Inflationsindex auf seinem Höhepunkt die 4 Prozentmarke im Jahresvergleich nicht durchbrach. Heute ist es eine ganz andere Geschichte, da die Teuerung in den USA im Januar auf Jahresfrist um 6,4 Prozent gestiegen ist.

Gemäss Bloomberg beträgt die zu erwartetende Rendite des S&P 500 Index für die nächsten 12 Monate 11,8 Prozent, wenn der Indikator tatsächlich unter 20 fallen sollte. Im Vergleich dazu liegt die zu erwartetende Rendite nur noch bei 7,8 Prozent, wenn der Indikator über 20 liegt. 

"Es ist schwer, sich im Moment zu sehr für Aktien zu begeistern, insbesondere im Vergleich zu Anleihen. Bei diesen sind nach dem jüngsten Ausverkauf immer noch attraktive Renditen angezeigt", sagte Timothy Chubb, Chief Investment Officer bei Girard, einer Abteilung von Univest Wealth. Der Manager bleibt defensiv aufgestellt und sein Fokus liegt im Moment auf den angeschlagenen Gesundheitsunternehmen, die einen schwierigen Start ins Jahr hatten.

"Der Indikator der 20er-Regel sagt uns, dass Aktien immer noch überbewertet sind. Wir haben noch keinen Tiefpunkt der Gewinnrevisionen gesehen. Aktien werden deshalb wahrscheinlich in einer engen Spannebreite handeln, bis wir mehr Klarheit darüber bekommen, wo die Endrate der Fed liegen wird. Zudem ist das Timing immer noch ein Fragezeichen. Wir erwarten keine massive Rezession. Aber wir sehen auch nicht allzu viele positive Katalysatoren, die uns in den nächsten Monaten Vertrauen geben, dass die Aktienmärkte auf diesem Niveau gerechtfertigt sind", so Chubb

(Bloomberg)