Mit "Deutschlands stärksten Stimmen für Europa" will die SPD zur Europawahl antreten. Aber ein Virus sorgte dafür, dass der seit Tagen stark erkältete Kanzler Olaf Scholz am Sonntag auf der SPD-Europadelegiertenkonferenz nur mit angekratzter Stimme sprach. Trotz stehenden Beifalls für den Kanzler wirkte dies symptomatisch für die SPD, die Scholz neben der nun gekürten Spitzenkandidatin Katarina Barley für die Europawahl plakatieren will. Denn einerseits wurde klar, dass die Anti-EU-Positionen von AfD und BSW die Sozialdemokraten in ihrer proeuropäischen Haltung anstacheln. Andererseits blickt man in der Kanzlerpartei dem 9. Juni mit Europawahl und Kommunalwahlen in acht Bundesländern mit mulmigen Gefühlen entgegen.

Schon 2019 hatte die SPD ihr historisch schlechtestes Ergebnis mit 15,8 Prozent der Stimmen erzielt. Diesmal sind nicht nur die Umfragen für die Ampel-Koalition und Scholz selbst auf Tiefpunkten, was aus der Europawahl einen Protest gegen die Bundesregierung machen könnte. Die neue Wagenknecht-Partei droht Stimmen derjenigen einzusammeln, die etwa die Ukraine-Unterstützung kritisch sehen. Angriffe der SPD auf die Union werden nicht einfach, weil CDU und CSU mit der deutschen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ins Rennen zieht - die auch der Kanzler gerne im Amt lassen würde.

Für Scholz selbst ist die Entscheidung, mit in den Wahlkampf zu ziehen, zudem ein Risiko: Denn der Kanzler könnte für ein schlechtes Wahlergebnis mitverantwortlich gemacht werden. In den vergangenen Tagen musste sich SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert Fragen gefallen lassen, ob er den Absturz auch auf ein einstelliges Ergebnis für möglich halte - was er entschieden zurückweist.

Noch leidet die SPD leise

Bisher ist es in der SPD seit der Bundestagswahl bemerkenswert still geblieben: Zwar ist sie bundesweit auf Werte um die 15 Prozent abgesackt - und landet damit deutlich hinter der rechtspopulistischen AfD und erreicht etwa nur der Hälfte des Wertes der Union. Aber eine Revolte ist bisher ausgeblieben. Eine dreistündige Debatte der Bundestagsabgeordneten mit Scholz gilt Boulevardmedien da schon als Zeichen eines Aufstands.

Die Zweifel über den Kurs der SPD und Scholz seien intern gewachsen, heisst es jedoch in der Bundestagsfraktion. In der Partei beginnt die Vorbereitung für die nächste Bundestagswahl. Die 207 SPD-Abgeordneten müssen um ihre Mandate bangen. Und die Ergebenheit, mit der sich die verzweifelte Partei 2019 in das Abenteuer mit dem in der Partei wenig geliebten Scholz als Kanzlerkandidaten stürzte, gebe es nicht mehr, heisst es in der SPD. Juso-Chef Philipp Türmer übt bereits direkte Kritik an Scholz.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich lenkt den Unmut dagegen noch gegen FDP und Grüne. Letzteren wirft der Fraktionschef vor, durch unglückliches Agieren beim Heizungsgesetz und der Kindergrundsicherung das Vertrauen der Bevölkerung verspielt zu haben. Die SPD macht Finanzminister Christian Lindner (FDP) dafür verantwortlich, dass Deutschland sich nicht aus der Krise heraus-investieren kann. "Und die SPD muss das ausbaden", kritisiert ein Mitglied der Fraktionsführung. Unausgesprochen steht der Wunsch nach einer harten Haltung von Scholz gegenüber den Ampel-Partnern im Raum.

Flächenbrand des Frusts nach Kommunalwahlen?

Die Kommunalwahlen könnten zudem einen Flächenbrand des Frusts auslösen. Denn die SPD war bisher in den Kommunen stark. Nun drohen Mandatsträger aus Bürgermeisterämtern und Stadträten zu fliegen. Der Unterbau der SPD erodiert. Die SPD-Spitze versucht, das Profil der Partei mit Forderungen etwa für einen höheren Mindestlohn, eine Reform der Schuldenbremse oder einen Industriestrompreis zu schärfen. "Aber wir können uns nicht zu sehr von den Positionen des Kanzlers entfernen", heisst es in der Partei. Also setzt man neben der Hoffnung auf einen Mobilisierungseffekt durch die "Dexit"- und Remigrations-Pläne der AfD auf Realismus. Klingbeil stimmte die Delegierten auf die kommenden Wochen ein: "Das wird ein harter Wahlkampf, bei dem uns der Wind hart ins Gesicht bläst."

(Reuters)