Wohnungsnot in der Schweiz: Seit diesem Sommer stehen in mehr als der Hälfte aller Gemeinden weniger als ein Prozent der Wohnungen leer. Die Architektin Regula Lüscher (63) aus Zürich arbeitete 14 Jahre als Senatsbaudirektorin und Staatssekretärin für Stadtentwicklung in Berlin und kennt die Wohnlandschaft hierzulande und in Deutschland. Sie fordert ein Umdenken von Politik und Wohnenden.
Mehr als die Hälfte der Gemeinden haben eine Leerwohnungsziffer von unter einem Prozent. In der Schweiz herrscht Wohnungsnot.
Regula Lüscher: Es ist höchste Eisenbahn. Der Zug ist abgefahren und fährt in hoher Geschwindigkeit. Es gibt Aspekte, welche wir nicht mehr steuern können. Die Mieten werden weiter steigen und der Quadratmeterverbrauch pro Kopf wird sinken, was ökologisch positiv ist. Aber primär Personen mit einem kleineren Portemonnaie werden in beengten Wohnverhältnissen leben müssen. Das kann zu sozialem Unfrieden führen.
In Zürich stehen teure und neue Wohnungen seit Monaten leer. Woran liegt das?
Das ist Gier. Wenn jemand ein Produkt hat und den Hals nicht vollkriegt, dann entstehen solch überteuerte Angebote. Ausserdem ist der Bodenpreis mittlerweile so hoch, dass der Investor seine Ausgaben nur mit hohen Mietzinsen bezahlen kann. Wenn das Land dem Staat gehören würde, dann stünde nicht der Gewinn oder die Rendite im Fokus, sondern das Gemeinwohl.
Die Schweiz erlebte im Jahr 1989 eine noch tiefere Leerstandsziffer als heute, doch die Herausforderungen sind grösser. Wieso?
Die Schweiz hat mittlerweile ein Raumplanungsgesetz, das uns an die definierten Wohnzonen bindet. Wir können nicht mehr Wohngebiete schaffen, sondern müssen mit der bestehenden Fläche arbeiten und diese verdichten.
Was soll nun Hoffnung machen?
Der Bestand sollte als nachhaltiges Mittel genutzt werden, aber auch als günstigster Wohnraum. Wenn wir die bestehenden Wohnflächen in die Breite oder Höhe erweitern können, dann führt das eher dazu, dass wir eine Verdichtung hinkriegen – auch bei Einfamilienhäusern. Nur so können Wohnende in ihren Wohnungen bleiben.
Im Hüsli-Land Schweiz sprechen Sie die heilige Kuh Einfamilienhaus an.
Ja, auch die privaten Hausbesitzer müssen sich fragen, ob es sinnvoll ist, wenn im Verhältnis wenig Menschen auf grosser Fläche leben. Früher lebten mehrere Generationen auf einem Grundstück. Die Jungen unten und die Grosseltern oben im Stöckli. Niemand vereinsamte. Ein Einfamilienhaus-Quartier soll nicht zur Hochhaussiedlung umgebaut werden, aber wenn die Wohnfläche durch Anbauen verdoppelt wird, hat das einen grossen Effekt.
Bestand versus Neubau: Die Realität sieht jedoch anders aus. Ein Neubau ist oft unkomplizierter und günstiger.
Und das führt in der wohlhabenden Schweiz oft zum Abriss. Ökologisch ist das schlecht und vergrössert die Schere zwischen Arm und Reich, weil die Wohnpreise steigen. Hier braucht es Druck von den Behörden – beispielsweise mit einem Abrissverbot, das fällt, sobald Eigentümer nachweisen, dass sie nach dem Abriss mindestens doppelt so viele Menschen unterbringen wie im Bestand. Denn: Der Markt wird es nicht selbst regeln und die Folge wäre, dass ärmere Menschen aus den Zentren verdrängt werden und die soziale Durchmischung abnimmt. Mit dieser Idee meine ich nicht nur das Zentrum der Stadt Zürich, sondern auch Gemeinden in der Agglomeration oder auf dem Land.
Im Schnitt verbraucht jede Person heute in der Schweiz rund 47 Quadratmeter Wohnfläche. Ist das mit der wachsenden Bevölkerungszahl und dem beschränkten Wohnraum noch realistisch?
Wir Schweizerinnen und Schweizer müssen da über die Bücher. Braucht wirklich jede Wohnung alles oder könnten Wohnparteien bestimmte Dinge teilen? Die Küche, die Stube oder das Gästezimmer beispielsweise. Reicht es, wenn die Wohnung kleiner ist, aber das Büro in einem Co-Working-Space im Quartier ist? Dafür muss man bereit sein zu teilen. Viele Wohnbaugenossenschaften gehen bereits diesen Weg. Bei privaten Investoren oder Pensionskassen steht jedoch der «anonyme» Wohnungsbau im Fokus.
Sie arbeiteten 14 Jahre in Berlin als Senatsbaudirektorin und Staatssekretärin für Stadtentwicklung. Was macht Deutschland besser?
Die Schweiz setzt auf Kooperation und Eigenverantwortung. Deutschland setzt auf Zwang. Das liegt an der Mentalität. Der deutsche Staat hat daher griffigere Mittel, um Vorgaben zu machen. Ein Beispiel: Mit dem Vorkaufsrecht kann der deutsche Staat Grundstücke kaufen oder Baugebote aussprechen, um die Bodenspekulation zu unterbinden. Dass die Schweiz auf Vernunft und Eigenverantwortung setzt, ist super. Aber ich bin mir nicht sicher, ob in der jetzigen Situation das alleine genügt.
7 Kommentare
und wie wärrs wenn man endlich die Zuwanderung auf ein vernünftiges Mass reduzieren würde anstatt den Eigenheimbesitzern den schwarzen Peter zuzuschieben
Der Herr beschütze uns vor Berliner Verhältnissen in Zürich....
Frau Lüscher will wie viele andere nur Symptome bekämpfen. Dabei ist klar, dass das massive Bevölkerungswachstum der letzten Jahre Schuld an vielen Problemen, auch an der Wohnungssituation ist. Wir sollten in der Schweiz endlich realisieren, dass ein weiters Anwachsen der Bevölkerung ökonomisch und ökologisch negativ für unsere Gesellschaft ist. Je dichter ein Land besiedelt ist und somit immer mehr Leute auf dem gleichen Raum leben, desto grösser ist der Bedarf an Regeln und Gesetzen in einer Gesellschaft. Gerade diese zusätzlichen Regeln und Gesetze verhindern immer mehr, dass sich unser Land auf natürliche Art weiterentwickeln kann. Der Wohnungsbau ist ein gutes Beispiel dafür. Dieser Mechanismus macht unser Land immer träger, die Bürokratisierung nimmt überhand und die Innovation wird immer mehr eingeschränkt. Ich glaube wir haben bei der Bevölkerung einen Kipppunkt erreicht. Wenn wir die Bevölkerung weiter wachsen lassen, wird der Wohlstand der meisten abnehmen. Nur wenige werden auf Kosten der Allgemeinheit von diesem Zustand profitieren. Wir müssen uns endlich wieder auf uns und unsere Stärken konzentrieren. Die Schweiz als Gesellschaft muss mit den lokalen Arbeitskräften alle anfallenden Arbeiten erledigen können. Wenn nötig müssen wir die lokale Bevölkerung entsprechend aus und weiterbilden und auch gemäss den Gesetzen von Angebot und Nachfrage entlöhnen. Nur in speziellen Fällen sollte auf Arbeitskräfte aus dem Ausland zurückgegriffen werden. Es ist auch nicht Sinnvoll, immer mehr Firmen aus dem Ausland in die Schweiz zu locken. In der aktuellen Situation schaffen diese Arbeitsplätze die nicht mit lokalen Arbeitskräften gefüllt werden können.
Sehe ich genauso. Das Problem verschärft sich mit jeder neuen Firma, da Arbeitskräfte fast nur noch im Ausland zu finden sind. Die Frage ist einzig, wer ist bereit zurück zu schrauben und nicht jeden Monat alles in Spass, Konsum und Freizeit zu verpulvern? Wir leben in einer Zeit, in der es einfach hohe Löhne gibt (ausser beim untersten 1/4), viele träge werden, nichts sparen und dann alle Verantwortung auf den Staat schieben. Die Eigenmietwert-Initative wird u.a auch deshalb scheitern, sparen ist anstrengend.
Spannende Überlegungen. Aber wie gehen wir ohne Zuwanderung damit um, dass heute auf 2 Erwachsene nur noch 1.3 Kinder geboren werden? Dies führt rasch dazu, dass die Bevölkerung schrumpft. Zudem leben wir heute immer länger, so dass die Senioren deutlich zunehmen und der Anteil der arbeitenden Bevölkerung immer mehr abnimmt. Die Folge wird sein, dass wir wieder mehr arbeiten müssen und später pensioniert werden oder unser Wohlstand abnimmt. Sind wir bereit dazu?
Bravo Vulkanausbruch! Genauso ist es und nicht anders.
@alpha_omega Erstens wäre es vermutlich gut, wenn sich die Bevölkerung etwas reduzieren würde. Unsere Infrastruktur ist momentan überlastet. Also besser die Anzahl der Bewohner geht etwas zurück, anstatt weiter Arbeitskräfte für den Ausbau der Infrastruktur ins Land zu holen. Zweitens sollte verhindert werden, dass weiter Firmen aus dem Ausland kommen und hier Arbeitsplätze schaffen. Drittens werden mit der Einführung von KI einige Arbeitsplätze wegfallen. Viertens muss unser System so angepasst werden, dass es wieder attraktiv ist Arbeitskräfte auszubilden und umzuschulen. Fünftens muss die Finanzierung der Pensionskasse so gestaltet werden, dass auch ältere Arbeitnehmer noch eine Chance haben wieder eine Stelle zu finden. Sechstens, unser Staatsapparat beim Bund und den Gemeinden wird immer grösser und belastet die Privatwirtschaft und den Bürger mit immer mehr unnötiger Arbeit. Die Internen und externen Manntage sollten bei der Verwaltung unseres Landes über mehrerer Jahre auf dem aktuellen Stand eingefroren werden. Siebtens, für jedes Gesetz das neu eingeführt wird sollte ein anderes abgeschafft werden. Dies sind nur einige Punkte die unsere Kosten und den Bedarf an Arbeitskräften reduzieren würde. Ein Teil der Vorschläge würde sich auch wieder vorteilhaft für auf die Nutzung der Arbeitskräfte im eigenen Land auswirken und so Kosten (Arbeitskräfte) im Sozialwesen usw. reduzieren.