Klägerin in dem am 6. November vor dem Philadelphia Court of Common Pleas begonnenen Verfahren ist die in Pennsylvania lebende Kelly Martel, die ihre Krebserkrankung auf die Verwendung des glyphosathaltigen Unkrautvernichters Roundup von Bayer zurückführt. Anhand ihres Falles - der noch am Montag vor die Geschworenen kommen könnte - könnte sich zeigen, ob Bayers jüngste Niederlagen eine Ausnahme waren oder womöglich das Ergebnis einer veränderten Strategie der Klägeranwälte.
Bayer hatte vor kurzem den vierten Glyphosat-Fall in Folge innerhalb kurzer Zeit verloren, nachdem das Konzern zuvor neun Verfahren hintereinander gewonnen hatte. Im jüngsten Urteil war das Unternehmen zu einer Zahlung von insgesamt 1,56 Milliarden Dollar verurteilt worden. Interviews mit Anwälten beider Seiten und die Prozessprotokolle legen nahe, dass mehrere Faktoren die unterschiedlichen Ergebnisse bei den 13 Verfahren erklären könnten. So gestatteten die Richter den Geschworenen, Zeugenaussagen zu regulatorischen Fragen im Zusammenhang mit Roundup zu hören, die Bayer selbst als irreführend bezeichnet. Die Klägeranwälte stellten zuletzt auch stärker auf andere Chemikalien in dem Herbizid neben Glyphosat ab.
Bei den Anwälten von Martel war keine Stellungnahme erhältlich. Bayer verwies darauf, dass es den Klägern in den jüngsten Fällen «unzulässigerweise» erlaubt gewesen sei, die regulatorischen und wissenschaftlichen Fakten falsch darzustellen. Dabei habe die EU-Kommission Glyphosat in der Europäischen Union gerade erst für weitere zehn Jahre zugelassen und die US-Umweltbehörde EPA bestätige weiterhin, dass Glyphosat nicht krebserregend sei. Die Vorwürfe gegen Glyphosat hat Bayer stets zurückgewiesen. Behörden weltweit haben das Mittel als nicht krebserregend eingestuft. Die Krebsforschungsagentur IARC der Weltgesundheitsorganisation WHO bewertete den Wirkstoff 2015 dagegen als «wahrscheinlich krebserregend».
Zuletzt standen laut Bayer noch für 52'000 der insgesamt rund 165'000 angemeldeten Ansprüche Einigungen aus. Die Klagen hatte sich das Unternehmen mit der Übernahme des Glyphosat-Entwicklers Monsanto in Haus geholt. Wenige Wochen nach Abschluss des Zukaufs im Sommer 2018 handelte sich Bayer ein erstes Urteil ein, das die Klagewelle ins Rollen brachte.
Etwa 9,5 Milliarden Dollar hat Bayer bereits gezahlt, um Klagen vom Tisch zu bekommen. Ende 2022 beliefen sich die Rückstellungen für die Vergleiche bestehender und künftiger Glyphosat-Klagen noch auf 6,4 Milliarden Dollar. Nach den neun gewonnen Verfahren war die Erfolgsserie bei den Prozessen im Oktober jäh unterbrochen worden. Gegen die nun vier verlorenen Verfahren will der Konzern Berufung einlegen.
Die Klägeranwälte sehen vor allem neue Studien aus dem vergangenen Jahr, die nach ihren Angaben einen Zusammenhang mit Krebs belegen, als Grund für die jüngsten gewonnenen Prozesse. Doch diese Studien wurden auch schon in Fällen verwendet, die wiederum Bayer gewann. Anwalt Bart Rankin, der die Kläger in dem 1,56-Milliarden-Dollar-Urteil vertrat, wies auf eine konkrete Änderung in der Prozessstrategie hin. So hätten die Kläger mehr Gewicht auf die Theorie gelegt, dass andere bekannte Toxine in Roundup, darunter Formaldehyd und Arsen, das krebserregende Potenzial erhöhten.
Rankin widmete einen Abschnitt seines Schlussplädoyers dem - wie er es nannte - «Cocktail» aus schädlichen Chemikalien in Roundup. «Meine Damen und Herren, das sind krebserregende Stoffe, und wenn man sie übereinander stapelt, hat das Auswirkungen», sagte er den Geschworenen laut Protokoll. Bayer-Zeugen und -Anwälte erklären dagegen, dass diese Substanzen nur in Spuren vorhanden seien.
Der Konzern hatte zuletzt seine Haltung bekräftigt, sich nur noch in sehr strategischen Einzelfällen auf Vergleiche einlassen zu wollen. Doch sollten die Kläger in der Lage sein, ihre Erfolgsserie fortzusetzen, dürfte dies den Druck auf Bayer weiter erhöhen - zumal Vorstandschef Bill Anderson nach dem Fehlschlag mit dem grössten Medikamentenhoffnungsträger Asundexian nun auch noch vor einer Baustelle im Pharmageschäft steht.
(Reuters)