Angesichts wachsender Spannungen mit dem Westen hat der russische Präsident Wladimir Putin eine Stationierung taktischer Atomwaffen im Nachbarland Belarus angekündigt. Mit dieser Verlegung nach Westen will Russland erstmals seit den 90er-Jahren Nuklearwaffen ausserhalb des eigenen Staatsgebiets bereithalten. Der internationale Atomwaffensperrvertrag werde dadurch nicht verletzt, sagte Putin am Samstag im staatlichen Fernsehen. Vorbild der Vereinbarung mit dem belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko sei die Stationierung derartiger Nuklearwaffen der USA bei deren Nato-Verbündeten in Europa. Belarus ist der engste Verbündete Russlands bei dessen Krieg gegen die Ukraine, hat allerdings keine eigenen Truppen in die Kämpfe geschickt. Die USA reagierten zurückhaltend auf Putins Ankündigung.
Im Gegensatz zu strategischen sind taktische Atomwaffen aufgrund ihrer geringeren Zerstörungskraft und Reichweite für den Einsatz auf dem Schlachtfeld konzipiert. Die USA haben rund die Hälfte ihres Arsenals an taktischen Nuklearwaffen in Europa und der Türkei stationiert. Die europäischen Depots befinden auf Luftwaffenstützpunkten in Deutschland, den Niederlanden, Belgien und Italien. Darauf verwies Putin bei der Bekanntgabe seiner Vereinbarung mit Lukaschenko: "Wir haben vereinbart, dass wir dasselbe tun - ohne unsere Verpflichtungen zu verletzen, ich betone, ohne unsere internationalen Verpflichtungen zur Nichtverbreitung von Nuklearwaffen zu verletzen."
Putin sagte, der Bau eines Lagers für taktische Nuklearwaffen in Belarus solle bis zum 1. Juli abgeschlossen werden. Russland habe in dem Nachbarland zehn Flugzeuge stationiert, die als Träger derartiger Waffen geeignet seien. Auch eine Anzahl taktischer Iskander-Marschflugkörper, die zum Abschuss von Nuklearwaffen geeignet seien, sei nach Belarus verlegt worden. Die Bedienungsmannschaften sollten vom 3. April an entsprechend ausgebildet werden. Russland behalte die Kontrolle über die Sprengköpfe. "Wir geben sie nicht ab. Und die USA geben sie nicht an ihre Verbündeten ab. Wir machen im Grunde dasselbe, was sie seit einem Jahrzehnt machen", sagte Putin. Darum habe ihn Lukaschenko gebeten. Wann die Waffen nach Belarus verlegt werden sollen, sagte Putin nicht.
Experte spricht von Einschüchterungsversuch
Wissenschaftler werteten Putins Ankündigung als wichtiges Signal. "Das ist ein Teil von Putins Versuch, die Nato einzuschüchtern", sagte der Experte Hans Kristensen von der Rüstungs- und Sicherheitsthemen spezialisierten Federation of American Scientists. Militärischen Nutzen ziehe Russland aus diesem Schritt allerdings nicht, da es bereits ein umfassendes Atomwaffenarsenal auf dem eigenen Staatsgebiet unterhalte. Nikolai Sokol vom Vienna Center for Disarmament and Non-Proliferation bezeichnete Putins Entscheidung als wesentlichen Schritt. Dass Russland Atomwaffen ausserhalb seines Territitoriums stationiere, sei eine grosse Veränderung.
Das US-Präsidialamt erklärte nach Putins Ankündigung, es sei weder ein Grund zur Änderung der US-Nuklearwaffenpolitik zu erkennen noch gebe es Anzeichen für Vorbereitungen Russlands zum Einsatz einer Nuklearwaffe. Die USA beobachteten die Lage und blieben der kollektiven Verteidigung der Nato verpflichtet. Ähnlich äusserte sich das US-Verteidigungsministerium. Ein hoher Regierungsbeamter sagte, Russland und Belarus hätten bereits seit dem vergangenen Jahr über eine solche Vereinbarung gesprochen.
Die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN), ein Bündnis von Nichtregierungsorganisationen, sprach hingegen von einer äusserst gefährlichen Eskalation. Im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine sei die Gefahr einer Fehleinschätzung sehr hoch. Es bestehe das Risiko katastrophaler humanitärer Folgen, erklärte das Bündnis, das 2017 den Friedensnobelpreis erhalten hatte.
Russland erbte sowjetische Atomwaffen allein
Nach der Auflösung der Sowjetunion hatte sich Russland mit anderen Nachfolgestaaten darauf geeinigt, das sowjetische Atomwaffenarsenal allein zu übernehmen. Zum Zeitpunkt der Auflösung 1991 waren Nuklearwaffen auch auf dem Gebiet von Belarus, der Ukraine und Kasachstan stationiert. Die drei Staaten gaben diese Waffen bis 1996 an Russland ab. Während des Kalten Krieges hatte die Sowjetunion bis zu 40'000 Atomsprengköpfe, während sich das Arsenal der USA auf bis zu 30'000 belief. Zuletzt besassen Russland 5977 und die USA 5428 nukleare Sprengköpfe, wie aus Daten der Federation of American Scientists hervorgeht. Wesentlich für die Einsatzbereitschaft dieser Waffen sind Trägersysteme wie Marschflugkörper, Flugzeuge und U-Boote.
(Reuters)
1 Kommentar
Die Welt ist überladen mit Atomwaffen. Was spielte es denn für eine Rolle, die Teile von hier nach da zu verschieben. Das hat höchstens symbolischen Charakter.
Eine weitere Einschüchterung mit Atomwaffen ist in diesen Tagen kaum mehr möglich, wird aus dem Kreml doch seit einem Jahr jede Woche mit dem Einsatz dieser Waffen gedroht.
Gefährlicher, weil unberechenbarer, erscheint da vielmehr die zunehmende Anzahl der Langenstreckentests aus Nordkorea und die politische Entwicklung in China und Pakistan.