Dieses Interview ist Teil des neuen cash-Anlegermagazins «VALUE». Sie können das Magazin als E-Paper lesen, als PDF herunterladen oder gratis als gedruckte Ausgabe bestellen.

cash: Herr Eichenberger, sind Sie selbst am Aktienmarkt investiert?

Reiner Eichenberger: Ja, selbstverständlich. Wenn Sie längerfristig anlegen wollen, ergeben Aktien immer die besten Renditen. Mein Grundsatz ist auch, dass man so anlegen soll, wie es Spass macht.

Ist das nicht etwas halsbrecherisch?

Nein, keineswegs. Für die Börse gilt: In einem effizienten Markt fliessen alle Informationen in das Marktgeschehen ein. Der Marktpreis ist ein kluges Aggregat allen gesellschaftlichen Wissens. Bekanntlich kann man deshalb die Börse nicht systematisch übertreffen. Tatsächlich kann man sie aber auch nicht systematisch untertreffen. Wenn man das könnte, müsste man die Strategie nur umkehren, und schon würde man die Börse schlagen. Also unmöglich. Wenn also ein Anlageberater Ihnen eine einzelne Aktie speziell empfiehlt oder davon abrät, will er nur an Ihnen verdienen.

Hat man nicht bloss auch Pech, wenn ein Investment 40 Prozent verliert?

Na ja, an der Börse regieren kurzfristig Pech und Glück. Fragen Sie sich Folgendes: Soll ich in gut oder schlecht geführte Unternehmen investieren? Die meisten würden sagen: natürlich in gut geführte. In der Tat sind jedoch die Renditeerwartungen bei beiden Arten von Unternehmen gleich. Eine schlecht geführte Firma wird weniger Dividende bezahlen, aber dies ist im Aktienpreis ja schon enthalten. Geld ist bei beiden Fällen von Firmen gleich gut investiert. Alles Weitere ist Pech und Glück.

Im Video-Interview mit cash.ch äussert sich Reiner Eichenberger zur Zunft der Wirtschaftsexperten und zur Frage, wie politisiert die Ökonomie heute ist. Er sagt auch, was in den grossen Diskussionen in der Schweiz schief läuft und wie nahe er den bürgerlichen Parteien, speziell der SVP steht.

Brauche ich dann überhaupt Anlageberater, Analysten, Chief Investment Officers und Marktstrategen?

Vermögensverwalter sollten das Kundenprofil und die Risikofähigkeit der Kunden kennen. Bei einer Aktienberatung muss der Berater wissen, welche Vermögenswerte sonst vorhanden sind. Er muss das Einkommenspotenzial und Humankapital des Kunden einschätzen. Zu einer kundengerechten Beratung gehört auch, dass Aktien gestreut und Risiken optimiert werden.

Sie loben somit das klassische Private Banking, von dem es immer heisst, es sei auf dem absteigenden Ast?

Es gibt sehr unterschiedliche Arten von Privatbankern. Wenn ein Anlageberater zu häufigem Handel anweist, dann will er Sie in erster Linie ausbeuten, denn die Bank und der Berater verdienen am Handel mit. Als Kunde einer Privatbank schauen Sie am besten zuerst auf das Gebührenmodell.

Wie soll man bei Aktien vorgehen?

Wenn Sie Freude an Automobil-Aktien haben, kaufen Sie diese. Sie sollten aber wissen, wie das Klumpenrisiko ausbalanciert werden kann. Dabei hilft sicherlich ein guter Anlageberater. Ich selbst halte Aktien lange. Häufiges Handeln bringt nur höhere Kosten. Aber wenn Sie gerne handeln, tun Sie es. Es kostet nur die Gebühren.

US-Investorenlegende Warren Buffett ist mit «Buy and Hold» reich geworden. Ist er Vorbild?

Buffett hatte zum Teil einfach Glück. Mit seiner Marktmacht, seiner Fähigkeit, Risikokapital zu vergeben und der Rolle als Grossinvestor profitiert er von einem Wissensvorsprung, eine Art legales Insiderwissen. Leute wie er können die Börse zu einem gewissen Grad voraussehen, aber ich kann als normaler Anleger nicht von seinem Wissen profitieren. Im Preis von Berkshire Hathaway, der Aktie von Buffett, ist bereits das Marktwissen drin, dass Buffett ziemlich erfolgreich ist. Dadurch ist diese Aktie nicht besser als andere.

Was ist «legales» Insiderwissen?

Ein Beispiel sind Banken, die ihre Abschlüsse vorbereiten. Sie sehen ja ihre eigenen Zahlen. Sie können dann abschätzen, wie die Lage bei ähnlich strukturierten Banken ist, und entsprechend Bank-Aktien kaufen oder verkaufen. Der Markt lässt sich so etwas voraussehen. Nur: Wer dieses Wissen hat, gibt es natürlich nicht gratis weiter. Mich als langfristig orientierten Anleger interessieren sowieso weniger Unternehmensberichte, sondern vielmehr die grundlegenden langfristigen ökonomischen Zusammenhänge. Da sind noch systematische Gewinne möglich, weil der Markt und die Marktpreise die sehr langfristige Entwicklung nicht voll spiegeln.

Als Ökonom haben Sie kontrovers argumentiert, dass der starke Franken die Schweiz reicher mache.

Ökonomen schauen immer auf Kosten und Nutzen oder wägen Vorteile und Nachteile ab, Nicht-Ökonomen und Interessenvertreter heben zumeist nur Nachteile oder nur Vorteile hervor. Der starke Franken bringt Nachteile für die Produktion, aber noch viel grössere Vorteile für den Konsum. Wir importieren billiger, so sinken die Kosten für Konsum und Vorprodukte.

Geht diese Rechnung auf?

Ja, und wie! Seit der Aufwertung produzieren wir ein bisschen weniger, arbeiten also weniger, konsumieren aber dank tieferen Importpreisen mehr, und die Handelsüberschüsse und damit die gesellschaftlichen Ersparnisse haben erst noch zugenommen. Weniger arbeiten, mehr konsumieren und mehr sparen: ein Schlaraffenland!

Nützt dies nicht zunächst vor allem den Unternehmen?

Die importierenden Unternehmen geben die tieferen Preise an den Konsumenten weiter. Selbst wenn sie das nicht vollumfänglich tun, bleibt der Währungsgewinn beim Unternehmen, also in der Schweiz.

Was bleibt dem Konsumenten übrig?

Der starke Franken erhöht die Kaufkraft, womit im Grunde genommen eine Forderung der Gewerkschaften nach höheren Löhnen schon erfüllt ist. Eine starke Währung ist Gold wert: Wäre der Franken unendlich stark, könnten wir für einen Franken die Welt kaufen. Das wäre super.

Die gefürchtete Deflation bezeichnen Sie auch als Vorteil. Mit welcher Begründung?

Der Staat verdient an der Inflation, weil wir bei den Kapitaleinkommen Steuern auf den Nominalerträgen bezahlen. Die Realzinsen sind aber um den Wert der Inflation tiefer als die Nominalzinsen. Dadurch haben Anleger netto eine Negativrendite, weil durch die Inflation aufgeblähte Gewinne besteuert werden. Null Inflation oder eine leichte Deflation wirken dem entgegen.

Ist der Konsumaufschub als Folge von Deflation nicht ein Risiko?

Konsumaufschub hängt nicht von der Inflations- oder Deflationsrate ab, sondern vom Realzins. Wenn man auf dem Bargeld eine hohe Realverzinsung hat, dann behält man es. Historisch ist der Realzins bei 1,5 Prozent. Wenn die Deflation nicht unter  minus 1,5 Prozent geht, ist bei einem Nominalzins von null der Realzins weiter in einem normalen Rahmen. Daher bleibt das Konsumverhalten normal.

Reiner Eichenberger (55) ist bekannt als Autor von Büchern sowie zahlreichen wissenschaftlichen Aufsätzen. Er schreibt auch regelmässig Beiträge in den Schweizer Medien. Eichenberger lehrt an der Universität Fribourg und widmet sich neben der Finanz- und Wirtschaftstheorie auch dem politischen Geschehen. Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit ist er Mitglied der Telecom-Regulierungsbehörde ComCom.