Im Jahr 202 erlebte das Movara Resort einen regelrechten Boom. Das Fitness- und Abnehm-Resort inmitten der roten Felsen von Ivins im US-Bundesstaat Utah war über 18 Wochen hinweg komplett ausgebucht. Und Movara war nicht allein: Auch Hilton Head Health in South Carolina führte eine Warteliste von sechs bis acht Wochen. Ebenso das Skyterra Wellness Retreat im Pisgah Forest in North Carolina. Die tristen Lockdown-Zeiten erwiesen sich für viele Destination-Spas als wahre Hochkonjunktur.
Doch kaum kehrte für die meisten Menschen eine gewisse Normalität zurück, wurde es für die Detox-Retreats zunehmend schwierig. Die Leute liessen sich impfen, legten ihre Masken ab und reisten in Scharen nach Italien, um sich am Strand einen Aperol Spritz zu gönnen. Internationale Gäste hingegen, ohnehin schon zurückhaltend gegenüber Reisen in die USA, wurden noch zögerlicher. Und noch bevor sich das Geschäft erholen konnte, trat ein neuer Gamechanger auf den Plan: GLP-1.
Die ursprünglich zur Behandlung von Typ-2-Diabetes entwickelten Medikamente wie Ozempic und Wegovy werden inzwischen in grossem Stil «off-label» zur Gewichtsreduktion eingesetzt – und liefern das, was Spas bislang nicht garantieren konnten: mühelose, langanhaltende Ergebnisse für etwa 500 Dollar pro Monat – je nach Versicherung. Keine schweisstreibenden Wanderungen, keine anstrengenden Fitnesskurse, kein Kalorienzählen.
Nur fünf Jahre nach ihrem absoluten Höhepunkt sehen sich einige Wellness-Resorts nun mit einem drastischen Abschwung konfrontiert. Und es betrifft nicht nur Detox-Retreats — die Wirkung der GLP-1-Präparate hat den 6,3 Billionen Dollar schweren globalen Wellnessmarkt erschüttert. Ironischerweise könnte der Schlüssel zum Überleben der Branche darin liegen, genau das zu integrieren, was zunächst als Bedrohung galt: pharmazeutische Unterstützung.
Michelle Kelsch, Mitgründerin von Movara, hielt GLP-1 anfangs für einen Hype — ähnlich wie zuvor Atkins, HCG, Whole30 oder Intervallfasten. «Wenn es nichts ist, das man sein Leben lang machen kann, funktioniert es auch nicht», sagte sie oft ihren Gästen – und blieb 30 Jahre lang bei ihrem Credo: Bewegung, Disziplin und schnörkelloses Kalorienzählen.
Doch als die Nutzerzahlen explodierten und die Ergebnisse überzeugten, begann auch Kelsch umzudenken. «Wir haben im Laufe der Jahre viele Trends kommen und gehen sehen, die versprachen, Ergebnisse zu liefern — aber nichts war so wie das hier», sagt sie heute. «Das meiste führte zu Frustration und negativen Erfahrungen. Das hier ist das erste in 25 Jahren, das zu dem passt, was ich immer gelehrt habe.»
Der grosse GLP-Drehpunkt
Bei Hilton Head Health (auch bekannt als H3) gingen die Gästezahlen im Jahr 2023 zunächst spürbar zurück. Ein Jahr später — so die Resort-Leitung – habe man sich durch gezieltes Marketing und neue Programme erholt. Konkrete Zahlen nennt man allerdings nicht.
Zwar wird bei der Anmeldung nicht direkt nach der Einnahme von GLP-1 gefragt — und auch ehrliche Angaben sind nicht garantiert —, doch Programmdirektor David Chesworth macht die Medikamente zumindest teilweise für den Rückgang verantwortlich. Menschen, die bereit sind, Geld in ihre Gesundheit zu investieren, probieren erst dieses Medikament aus, bevor sie an einem Abnehmprogramm teilnehmen, sagt er.
Dieser Trend war ein wichtiger Impuls für die Entwicklung der neuen H3 Experience, die bereits ab vier Tagen buchbar ist und Gästen helfen soll, die Vor- und Nachteile von GLP-1 im Rahmen eines ganzheitlichen Gesundheitskonzepts abzuwägen. (Chesworth betont ausdrücklich, dass das Resort stets zur ärztlichen Rücksprache rät, bevor Medikamente eingesetzt werden.)
Im kalifornischen Malibu hält The Ranch, seit 2010 aktiv, weiter an seiner bewährten Disziplin-Philosophie fest: vegane Kost, kein Koffein, Yoga bei Sonnenaufgang, tägliche vierstündige Wanderungen. Doch das Publikum verändert sich: mehr Frauen in der Menopause, mehr GLP-1-Nutzer und mehr Interesse an Themen wie Gewichtserhalt, Langlebigkeit und gesundem Altern. Für das Resort lohnt sich das — Programme mit individueller Betreuung für GLP-1-Anwender kosten über 12'400 Dollar für sechs Nächte. Ein Standardaufenthalt liegt bei 9200 Dollar.
«Wir beobachten eine deutliche Verschiebung hin zur Erhaltung der Gesundheit», sagt Nicky Swierszcz, leitende Programmleiterin und klinische Ernährungsberaterin am Hudson-Valley-Standort von The Ranch in Sloatsburg, New York.
Auch andere Resorts passen sich an. Neue Aspekte wie die veränderten Ernährungsbedürfnisse bei GLP-1-Nutzung rücken in den Fokus. «Wir wollen nicht, dass Gäste nur durch Dehydrierung oder Muskelabbau mit weniger Gewicht nach Hause gehen», sagt Alex Timmons, Inhaber des Mountain Trek Health Reset Retreat in Ainsworth Hot Springs im kanadischen British Columbia. Das Resort, bekannt für seine intensiven ein- bis zweiwöchigen Fitnessprogramme, setzt nun auf eine präzise Abstimmung von Kalorienzufuhr, Makronährstoffen, Essenszeiten, körperlicher Belastung und deren Timing – abgestimmt auf den natürlichen Hormonrhythmus.
Auch Skyterra im US-Bundesstaat North Carolina, bekannt für massgeschneiderte Retreats in den Blue Ridge Mountains, hat reagiert: In Zusammenarbeit mit einem lokalen Arzt werden Gäste betreut, die GLP-1 bereits nutzen, damit beginnen wollen oder gerade aussteigen. Retreats, die eine Beratung zum Erhalt der Muskelmasse während der GLP-1-Nutzung beinhalten, kosten 18.480 Dollar für vier Wochen. Ergänzt wird das Angebot durch wöchentliche Online-Selbsthilfegruppen, die helfen sollen, Fortschritte im Alltag zu sichern.
Die Zukunft von GLP-1 und Spas
Die Wellness-Branche musste sich schon öfter neu erfinden. Craig Oliver, Gründer von Spas of America, erinnert an frühere Paradigmenwechsel — von der Aerobic-Welle der 80er bis zum Yoga-Revival der 2000er. «Spas mussten über Nacht Aerobic-Kurse anbieten», sagt er. «Pilates wurde zum Mega-Trend. Plötzlich mussten Räume für Reformer-Geräte umgebaut werden.»
Laut einer KFF-Umfrage aus dem Jahr 2024 hat rund jeder achte erwachsene Amerikaner ein GLP-1-Medikament wie Ozempic verwendet. Zum Vergleich: Laut der US-Behörde CDC praktiziert etwa jeder sechste Yoga. Doch der GLP-1-Boom ist unaufhaltsam: Für 2025 wird ein Wachstum von über 73% erwartet — auf etwa jeden fünften erwachsenen Amerikaner. Ein Grund: der vereinfachte Zugang. Im August halbierte Novo Nordisk den Preis für Ozempic von 1.000 auf 499 Dollar. Konkurrent Eli Lilly plant noch in diesem Jahr die Zulassung einer täglich einzunehmenden Pille namens Orforglipron durch die US-Arzneimittelbehörde FDA.
Kurzum: Resorts haben keine Wahl – sie müssen sich anpassen. Susie Ellis, CEO des Global Wellness Institute, spricht von einer «neuen Verbindung» zwischen Medizin, Wellness und Hightech-Biohacking. «Alle Spas und Resorts müssen ihre Angebote neu denken, um den spezifischen Bedürfnissen von GLP-1-Nutzern gerecht zu werden», sagt sie.
Michelle Kelsch von Movara hat diesen Wandel bereits vollzogen. Die beeindruckenden Erfolge ihrer Gäste überzeugten sie, selbst GLP-1 auszuprobieren. Im März begann die sechsfache Mutter — die sich nach eigenen Worten nicht mehr wie die Mitgründerin eines Abnehm-Resorts fühlte — mit 2,5-Milliliter-Injektionen von Zepbound in den Bauch. Übliche Nebenwirkungen wie Übelkeit, Verstopfung oder Bauchschmerzen blieben bei ihr aus. Innerhalb von sechs Monaten verlor sie neun Kilo. Auch ihr Mann und vier ihrer Kinder begannen mit der Behandlung — alle wollten abnehmen.
Heute sagt die Resort-Betreiberin: GLP-1-Präparate könnten für Menschen mit Übergewicht «genauso essenziell» sein wie eine Brille für Menschen mit Sehschwäche.
(Bloomberg)