cash.ch: Die Textilbranche ist unverändert in unruhigen Gewässern. Weshalb?
Thomas Oetterli: Nach dem Covid-Boom war klar, dass in der Textilbranche überinvestiert und vieles zu optimistisch angegangen wurde. Darum haben wir ab 2023 unsere Kostenstrukturen angepasst und dezentralisiert. Zudem wurde die Supply Chain überarbeitet und die Overheadkosten gesenkt. Total haben wir rund ein Drittel unserer Kosten abgebaut.
Für 2025 wurde erneut eine Erholung angekündigt. Warum fiel diese aus?
Wir hatten Anfang Jahr erwartet, dass es gegen das zweite Halbjahr 2025 besser wird. Dann hat uns Donald Trump einen Strich durch die Rechnung gemacht, weil er mit seinen Zöllen bei unseren Kunden in den Hauptmärkten China und Indien eine sehr grosse Verunsicherung auslöste. In China ist man in einer schwierigen Situation, Indien hat eine massive Tariferhöhung von 50 Prozent. Auf der anderen Seite ist Amerika der grösste Textilmarkt der Welt. Das hat zu Verwerfungen geführt.
Warum haben Sie in dieser unsicheren Zeit den Chemiefaserhersteller Barmag gekauft?
So sehr wir unter der verzögerten Markterholung leiden, war dies auf der anderen Seite eine einmalige Gelegenheit, die wir uns nicht entgehen lassen wollten. Über den Zeitpunkt kann man sicherlich streiten angesichts des schwierigen Marktumfeldes. Ein ruhigeres Fahrwasser wäre einfacher, um so eine Akquisition durchzuziehen. Aber wenn die Barmag an einen chinesischen Wettbewerber gegangen wäre, dann wäre diese Chance für immer und ewig dahin gewesen.
Welche Vorteile bringt Barmag-Übernahme mit sich?
Rieter als Textilunternehmen arbeitet stark an der Automatisierung, der Technologieführerschaft, der Digitalisierung sowie dem Recycling. Wir sehen zudem, dass das zukünftige Marktwachstum vor allem im Bereich Chemiefasern wie Polyester und Viskose sein wird, während Rieter bei den Spinnmaschinen für Naturfasern führend ist. Mit der Übernahme von Barmag sind wir nun in beiden Bereichen gesamthaft besser aufgestellt.
Trotzdem: Um aus der Krise herauszukommen, braucht es eine Erholung in 2026, oder?
Wir haben eine bescheidene Erholung in diesem Jahr gesehen, aber unsere Kunden sind immer noch verunsichert. Aber jedes Quartal werden die jetzt eingesetzten Maschinen drei Monate älter. Eigentlich ist ein Investitionsstau entstanden. Wir sehen das an den massiv gestiegenen Offerten, welche bis am 'Liberation Day' um ein Drittel zulegten. Dann kamen die Zolltarife.
Bei den Finanzanalysten kam das nicht gut an.
Im Nachhinein ist man immer schlauer. Die Kritik, dass wir in der Kommunikation mit dem Finanzmarkt zu optimistisch waren, ist fair. Daraus werden wir unsere Lehren ziehen. Entsprechend bleibt der kurzfristige Ausblick eher verhalten, was die Markterholung betrifft. Und wenn es besser wird, dann nehmen wir es gerne mit. Denn wir wissen, dass die Markterholung kommt, aber wir wissen nicht wann. Das drückt auf unseren Börsenkurs.
Es scheint, als würde auch die Barmag-Akquisition auf den Aktienkurs lasten.
Nach der angekündigten Übernahme von Barmag und der erfolgreichen Kapitalerhöhung sind wir unzufrieden, dass der Aktienkurs so tief gesunken ist. Das ist für viele Aktionäre als auch für uns eine Enttäuschung. Wir müssen allerdings berücksichtigen, dass im aktuellen Kurs weder die erfolgreiche Barmag-Übernahme noch die vorhin erwähnte Markterholung eingerechnet sind. Wir sollten nun bis Ende Jahr alle behördlichen Genehmigungen erhalten. Deshalb müssen wir noch um ein bisschen Geduld bitten.
Nach der Kapitalerhöhung bei 5,30 Franken sank der Kurs auf 3,10 Franken ab. Das ist eher ein Kursdebakel...
Wir sind mit dem Kurs nicht zufrieden, das versteht sich von selbst. Ein Problem scheint zu sein, dass wir jetzt 30 Mal mehr Aktien als vorher haben - egal ob die Aktien bei 5,30, bei 3,00 oder bei 3.50 Franken gehandelt werden. Das ist ein riesiger Unterschied. Der rein errechnete, verwässerte Preis müsste meiner Meinung nach irgendwo bei 5,30 Franken sein. Damit wäre die Marktkapitalisierung aus technischer Sicht stimmig.
Warum ist der Preis dann bei 3 Franken?
Der Markt sieht Rieter und unsere kurzfristigen Zukunftsaussichten derzeit kritisch. Gründe sind wohl das ganze Umfeld, die geopolitischen Unsicherheiten und der Umstand, dass die Transaktion noch nicht abgeschossen ist und wir noch keine kombinierte Guidance vorlegen können. Hinzu kommt auch noch die geringe Liquidität im Titel. Grundsätzlich sind wir der Überzeugung, dass die Aktie unterbewertet ist, wenn man von einer erfolgreichen Akquisition und einer Normalisierung des Nachfragezyklus ausgeht.
Könnte es nicht auch sein, dass der Markt Angst vor einer weiteren Kapitalerhöhung hat, wenn die Erholung in der Textilindustrie ausbleibt?
Wir sind solide finanziert und haben bewusst ein Finanzierungspaket von 855 Millionen Franken geschnürt. Davon stammen rund 480 Millionen Franken aus der Kapitalerhöhung und 375 Millionen Franken sind fremdfinanziert. Somit finanzieren wir über 50 Prozent der Transaktion mit Eigenkapital. Wichtig ist herauszustreichen, dass wir dieses Jahr trotz der Reduktion unserer Umsatzerwartung auf 700 Millionen Franken von rund einer Milliarde Franken Anfang Jahr an unsere Profitabilitäts-Bandbreite von 0 bis 4 Prozent festgehalten haben auf einer Standalone-Basis.
Das nächste Jahr dürfte noch einmal schwierig werden?
Das ist unser Basisszenario. Hoffnungsvoll stimmen uns indes drei Punkte. Erstens haben wir einen positiven, operativen Leverage, wenn der Markt nur ein bisschen besser wird. Mit der Barmag akquirieren wir zweitens ein sehr solides, finanziell gesundes Unternehmen, das einen guten freien Cashflow generieren sollte. Der dritte Punkt ist der Zeitpunkt der Akquisition, der uns in die Karten spielt. Denn bei einer Marktbelebung erhalten wir durch die Bestellungen Anzahlungen. Das dürfte einen positiven Einfluss auf den Cashflow haben. Wenn der Markt nicht so fest anzieht, dann wird sich der Schuldenabbau zeitlich verzögern. Wir haben intern hierzu Stresstests gemacht und bereiten uns auf alle möglichen Szenarien vor.
Werden Sie für 2025 eine Dividende auszahlen?
Es braucht Zeit und wir wünschen uns mehr Visibilität beim Auftragseingang, ehe wir 2026 hierzu eine Entscheidung treffen.
Am mittelfristigen Ziel, eine Dividende auszuzahlen, halten Sie fest?
Kurzfristig liegt der Fokus auf der finanziellen Stabilität. Mittelfristig muss die Priorität zuerst sein, die Firma so schnell wie möglich zu entschulden. Und wenn man dann auf einem Level ist, wo man sagt, die Schuldenlast ist nachhaltig, dann kann man anfangen, attraktive Dividenden zu zahlen. Das muss klar die Ambition sein.
Hauptaktionär Peter Spuhler hat zuletzt gesagt, dass er nicht zu 100 Prozent garantieren könne, dass er an allen Beteiligungen unverändert festhalten könne. Haben Sie das intern besprochen?
Ohne das strategische Engagement von Peter Spuhler über viele Jahre wäre Rieter nicht dort, wo wir heute sind. Peter Spuhler hat von Anfang an die Akquisition von Barmag unterstützt, hat anteilsmässig komplett an der Kapitalerhöhung teilgenommen und hat uns von der ersten Sekunde an Rückenwind gegeben. Ohne ihn wäre die Übernahme nicht möglich gewesen. Er ist ein Vollblutunternehmer und hat frühzeitig erkannt, dass die Akquisition strategisch eine einmalige Chance ist. Zu Ihrer Frage: Es gibt keine Indikation, dass Peter Spuhler nicht ein strategischer Investor bleibt. Ob er genau auf diesen 33 Prozent bleibt, kann ich Ihnen heute nicht sagen. Aber vom Grundsatz gehe ich davon aus, dass er in mittel- und langfristiger Zukunft ein Grossaktionär bei Rieter bleiben wird.
Thomas Oetterli, ehemaliger langjähriger Chef von Schindler, leitet seit März 2023 als CEO den Textilmaschinenhersteller Rieter. Er absolvierte ein Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität Zürich, welches er mit dem Titel Lic. oec. publ. abschloss. Dieses ökonomische Fundament bildete die Basis für seine Karriere im Finanzbereich und seine späteren Führungspositionen in der Schweizer Industrie.

