Sie waren während 6 Jahren auf der ganzen Welt in der Hotellerie tätig und sind nun froh, im Banking gelandet zu sein?

Laurent Gagnebin: Ich hatte eine tolle Zeit, arbeitete zum Beispiel im Pebble Beach Golf Resort in Kalifornien, einem der grossartigsten Hotelanlagen weltweit. Dann wechselte ich ins Palace in Gstaad, wo ich zwei Jahre lang Food & Beverage Direktor war. Auch das eine schöne Erfahrung. 

Und mit Corona sind Sie froh, das Hotelgewerbe hinter sich gelassen zu haben?

Momentan ist es sicher einfacher im Banking als im Tourismus tätig zu sein.

Was haben Sie im alten Metier gelernt?

Auf die Kunden zu fokussieren, Wünsche und Bedürfnisse zu antizipieren, nicht zu warten, bis er oder sie etwas fragt. Lösungen finden, auch wenn man nicht alle Ressourcen zur Verfügung hat, schnell sein, hart arbeiten. Doch einen grossen Vorteil hat das Banking: Da hat man in der Regel eine längere Beziehung zu den Kunden als in der Hotellerie. Da schaut ein Gast vielleicht für ein paar Tage vorbei, danach hört man längere Zeit nichts mehr, weil er in Thailand oder in Südafrika Golf spielt.

Beim Banking ist der Kontakt intensiver, länger?

Ja, und man sieht über die Jahre persönliche Veränderungen. Der Risikoappetit verändert sich, die Vorlieben für Investmentklassen, man denkt mit dem Alter an die nächste Generation. Daraus entstehen intensivere Beziehungen.

Das war neu fürs Banking, als Sie 2002 aus der Hotellerie ausstiegen?

Damals hat man sich im Banking stark auf regulatorische Fragen und um die Korrektheit von Kundengeldern fokussiert. Dabei hat man dem Kundenfokus etwas weniger Beachtung geschenkt. Gerade hier aber können wir Schweizer Banker mit unseren Servicequalitäten einen Unterschied machen.

Ihren zwei Töchtern empfehlen Sie als heute eher das Banking?

In erster Linie hoffe ich, dass sie etwas finden, das ihnen Spass macht. Empfehlen kann ich ihnen beides, aber die Hotellerie wird mit Corona einer harten Prüfung unterzogen. Aktuell würde ich ihnen bei dieser Auswahl also eher zum Banking raten.

Rothschild ist eine weit verzweigte Familie mit vielen Unternehmen. Da ist es nicht immer leicht, den Überblick zu halten. Sie sind Chef der Rothschild & Co Bank in der Schweiz. Dann gibts noch Edmond de Rothschild in Genf. 

Ja, dies sind in der Tat zwei grosse Firmengruppen mit dem Namen Rothschild, die aber komplett unabhängig voneinander sind. Sie sind auch sehr unterschiedlich, was für Externe aber nicht immer so leicht zu erkennen ist. Die Familiengeschichte kann schon mal zu Gesprächsstoff führen. Das kennen wir aber  auch von anderen grossen Familien aus den USA: Da gibt es zum Beispiel die Morgan Family. Daraus entstanden die Banken J.P. Morgan und Morgan Stanley.

Rothschild – das tönt nach Diskrektion, nach «Old Money», nach angestaubt.

Nur weil es uns schon über 200 Jahre gibt? Die Familie war immer sehr unternehmerisch unterwegs und hat es über sieben Generation geschafft, erfolgreich zu sein. Wir haben entsprechend viele Unternehmerfamilien, die bei uns Kunden sind. Für sie ist Rothschild ein bekannter Name, das gilt auch für ihre jüngere Generation. Und man weiss natürlich, dass Rothschild & Co einen sehr starken Investment-Banking-Arm innerhalb der Gruppe hat. Und wer seine Firma verkaufen will, der weiss auch alte Werte wie Diskretion zu schätzen. 

Old Money?

Unser Ansatz ist es, die Vermögen der Kunden über eine lange Zeit zu schützen. Wir verbinden das Alte und das Neue und sind breit aufgestellt. Wie gesagt, wir sind neben dem Wealth Management auch sehr stark im Investment- und im Merchant Banking, da geht es häufig um jüngere Vermögen, etwa von Startup-Unternehmern, die sehr aktiv sind und vielleicht schon den einen oder anderen Exit hinter sich haben. Wir profitieren da stark vom Rothschild-Universum, von den Kontakten in die Unternehmerwelt, und zwar global. Wir sind also auch im Bereich von Jungunternehmern und «neuem Geld» sehr erfolgreich.

Gerade im Investmentbanking in der Schweiz sind Sie sehr aktiv, hört man.

Wir sind in Europa seit ungefähr 10 Jahren die Nummer eins bezogen auf die Anzahl Deals. Wir sind stark in Deutschland, Italien, Frankreich und Grossbritannien. Und waren überzeugt, wir müssten auch in der Schweiz Unternehmer eine breite Palette anbieten. Deshalb haben wir vor drei Jahren unser Global Advisory in der Schweiz lanciert. Seither sind wir sehr dynamisch unterwegs und bei vielen wichtigen Deals involviert. Wir profitieren dabei von unserem Netzwerk in Europa, gerade bei grenzüberschreitenden Deals.

Der Risiko-Appetit der Kunden hat sich mit dem Corona-Virus geändert?

Absolut, das sieht man ja auch an der Wahrnehmung. Zuerst dachte man, Corona sei ein chinesisches Problem, dann dachte man über die globalen Lieferketten nach. Schliesslich realisierte man, dass das Virus die ganze Welt im Griff hatte und so schnell nicht einzudämmen ist. Das hat natürlich auch das Kundenverhalten verändert.

Inwiefern?

Diskussionen über Risiken haben viel mehr Gewicht erhalten. Fielen die Märkte sehr stark, dann gab es eine Erholung. Allerdings traut man dem Aufwärtstrend nicht so richtig, weil kaum abzusehen ist, wann wir wieder auf festen Füssen stehen. 

Und sonst?

Die Krise bot auch Chancen für Anleger. Wir konnten profitieren, weil plötzlich Aktien zu vernünftigen Preisen käuflich waren, die vorher überpreist waren. 

Welche Herausforderungen sehen Sie nach Corona?

Ich glaube nicht, dass die Zinsen in den nächsten zwei Jahren ansteigen werden. Das macht es nicht einfach, die Margen zu halten. Gleichzeitig gilt es, die Digitalisierung voranzutreiben. Die Kunden haben in den letzten Wochen mit uns via Videokonferenz kommuniziert. Deshalb sind wir gut beraten, wenn wir hier weiter investieren. Für kleine Banken wird dieser Kapitalbedarf sicher eine Herausforderung.

Und beim Personal?

Gerade die jüngeren Mitarbeitenden wollen wissen, wie flexibel wir als Arbeitgeber sind. Ob sie weiterhin von zuhause arbeiten können. 

Ihre Antwort?

Wir haben zwei, drei Monate fast nur aus dem Homeoffice gearbeitet – es hat bestens funktioniert. Diese Flexibilität werden wir beibehalten müssen. Das wiederum löst neue Fragen aus: Wer bleibt wann zuhause? Welche technischen Instrumente stellen wir zur Verfügung? Wie steht es um die Datensicherheit, welche Prozesse brauchen wir? Ein ganz wichtiges Thema wird die E-Signatur; in unserer Branche wird noch viel per Hand unterschrieben.

Wie lange dauert das Onboarding bei Rothschild?

Bei Ihnen wären es vielleicht zwei Tage, bei ihrem Cousin aus dem Ausland länger, vielleicht bis zu einem Monat. Schliesslich gibt es rund um das Prinzip Know your Client (KYC) einige Dinge einzuhalten. Bei einem Unternehmer brauchen wir zum Teil amtliche Papiere oder Unterlagen, die von einer Behörde oder Firma testiert oder abgestempelt sind. Das alles kann Zeit beanspruchen, vor allem, wenn wir mit ihm noch keine lange Geschäftsbeziehung haben. Aber mein Ziel ist es nicht, möglichst schnell zu sein, sondern möglichst präzis und fehlerlos. 

Wieviel investieren Sie in IT?

Jedes Jahr mehr. Heute arbeiten 10 bis 15 Prozent unserer Leute in der IT. Speziell die EU-Regulierung MiFID hat es noch komplexer gemacht. IT und Compliance verschlingen heute riesige Summen, sie wachsen am schnellsten.

Ihr Cost-Income-Ratio ist sehr hoch und liegt bei 82 Prozent. Das heisst, von einem Franken Ertrag gehen 82 Rappen grad wieder weg.

Wir sind heute unter 80 Prozent, was für uns passt. Das erlaubt uns, verstärkt in die IT zu investieren oder eine Krise, wie wir sie mit Corona erleben, besser abzufedern. Wir sind als Gruppe aber auch ausserordentlich gut kapitalisiert. Wenn ein Markt um 30 Prozent einbricht und die Erträge sinken, schläft man so natürlich besser. 

Sie haben Ihre Büros in Singapur und in Hongkong geschlossen. Weshalb?

Wir beraten die Kunden direkt aus der Schweiz, womit wir sehr gute Erfahrungen machen. Zudem waren diese Büros eher klein.

Andere setzen auf Asien.

Wir auch. Wir haben sehr vermögende Kunden in Asien. Meine Erfahrung ist, dass diese Leute sich teils lieber aus der Schweiz heraus beraten lassen wollen statt von einer lokalen Zweigstelle vor Ort. Zudem machen wir nicht jene schnellen Trades, die andere effizienter abwickeln: Um 10 Uhr am Morgen Aktien einer Firma kaufen und um 14 Uhr verkaufen. Das ist nicht, was wir anstreben. Wir sind langfristig orientiert und setzen auf eine nachhaltige Beziehung. Wir fokussieren auf jene Leute, die aus der Schweiz heraus mit profundem Wissen beraten werden wollen.

Welche anderen Märkte stehen im Fokus?

Deutschland ist für uns ein sehr wichtiger Markt, bei dem wir über die vergangenen Jahre ein gutes organisches Wachstum ausweisen können. Dieses wollen wir weiter vorantreiben und haben dazu kürzlich Henrik Herr als neuen Geschäftsleiter der Vermögensverwaltung in Deutschland an Bord geholt. 

Auf den Gängen Ihrer Bank hängen millionenteure Bilder von Künstlern wie Picasso oder Lichtenstein. Diese Werke sind im Eigentum der Bank?

Einige gehören Kunden, andere der Bank.

Keine Verkaufsabsichten?

Kunst ist ein gutes Investment. Und mit den gefluteten Finanzmärkten ist es gut, wenn man in Realwerten investiert ist. Dazu gehört Kunst. Kunst ist aber mehr als nur eine gute Investition: Ein schönes Bild an der Wand macht dem Kunden auch Freude. Nein, wir haben keine Verkaufsabsichten.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der «Handelszeitung» unter dem Titel: «Bei den gefluteten Finanzmärkten ist es gut, wenn man in Realwerten investiert ist».