Die grösste Oppositionspartei CHP verteidigte am Sonntag ihre Bürgermeisterposten in den Metropolen Istanbul und Ankara und eroberte weitere Städte. Istanbuls Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu gilt als grösste Herausforderung für die Regierung um Erdogan. Landesweit holte die säkular-sozialdemokratische CHP bei den Bürgermeisterwahlen die meisten Stimmen.

Erdogan sagte am späten Abend vor Anhängern, die Wahl sei nicht wie gewünscht ausgegangen. Man werde nun Selbstkritik üben und Mängel beheben. Dies sei aber nicht das Ende, sondern ein Wendepunkt für sein Bündnis. Erdogan selbst war erst im Mai 2023 für weitere fünf Jahre gewählt worden. Die Kommunalwahlen, bei denen auch Stadt- und Gemeinderäte neu bestimmt wurden, galten dennoch als wichtiger Stimmungstest.

In Istanbul erklärte Oberbürgermeister Imamoglu, nach Auszählung der Stimmzettel aus 96 Prozent der Wahlurnen liege er deutlich vor seinem Herausforderer Murat Kurum von der AKP. Umfragen vor der Wahl hatten auf ein knappes Rennen hingedeutet. Imamoglus Sieg wäre auch ein persönlicher Rückschlag für Erdogan, der sich für eine Rückeroberung des Bürgermeisterpostens durch die AKP eingesetzt hatte. Imamoglu hatte 2019 die traditionelle Vorherrschaft der AKP auf dem Posten des Stadtoberhaupts gebrochen.

Erdogan hatte seine eigene Karriere als Oberbürgermeister von Istanbul begonnen. In der Metropole am Bosporus wohnen rund 16 Millionen Menschen und damit etwa 20 Prozent der türkischen Bevölkerung. In der Stadt wird ein grosser Teil des türkischen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet.

In der Hauptstadt Ankara erklärte sich der Amtsinhaber und CHP-Kandidat Mansur Yavas zum Wahlsieger.

Für schlechte Wirtschaftslage abgestraft

Von der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu veröffentlichte Zwischenergebnisse zeigten, dass die AKP und ihre Verbündeten Bürgermeisterämter in zehn grossen Städten verloren hätten. Darunter waren den Angaben zufolge Bursa und Balikesir im industriell geprägten Nordwesten des Landes.

Beobachtern zufolge wurde die AKP für die schlechte Wirtschaftslage abgestraft. «Die Wirtschaft war der entscheidende Faktor», sagte Hakan Akbas von der Politikberatung Albright Stonebridge Group. «Die türkische Bevölkerung wollte einen Wechsel, und Imamoglu ist jetzt der natürliche Gegner von Präsident Erdogan.»

Die Türkei leidet unter einer Wirtschaftskrise, die mit einer galoppierenden Inflation von zuletzt mehr als 67 Prozent einhergeht. Die Talfahrt der Landeswährung Lira ist ein Grund dafür, da sich importierte Waren verteuern. Für die Zeit nach der Kommunalwahl wird mit einer restriktiveren Finanzpolitik gerechnet, die viele Türken wirtschaftlich treffen dürfte.

Der Politikwissenschaftler Mert Arslanalp von der Bogazici-Universität in Istanbul bezeichnete den Ausgang als Erdogans «schwerste Wahlniederlage» seit dem Aufstieg des früheren Ministerpräsidenten vor mehr als 20 Jahren. Imamoglu sei es gelungen, über mehrere Gruppen der tief gespaltenen Gesellschaft hinweg Wähler anzusprechen. «Das macht ihn auf nationaler Ebene zum stärksten Rivalen von Erdogans Herrschaft.»

(Reuters)