Herr Noser, die Schweiz will nun einen Last-Minute-Deal mit den USA wegen der Zölle von 39 Prozent. Wie beurteilen Sie die Chancen dazu?
Die Schweiz sollte ihre Optionen gut überdenken. Ein Last-Minute-Deal dürfte sehr teuer werden, und eine Einigung um jeden Preis ergibt keinen Sinn.
Welche Zugeständnisse müsste die Schweiz machen? Dass die grossen Pharmaunternehmen die Preise in den USA senken?
Der Bund sollte sich hier heraushalten. In der Schweiz bestimmt nicht die Politik, zu welchen Preisen ein Unternehmen in andere Länder exportiert. In einer Krise muss man sich gut überlegen, welche Werte einem wirklich wichtig sind.
Könnte es Zugeständnisse bei der Landwirtschaft oder bei der Goldverarbeitungsindustrie geben?
Bei der Landwirtschaft hätte man schon längst Zugeständnisse machen sollen, da isoliert sich die Schweiz komplett.
Ihr Parteikollege Hans-Peter Portmann fordert jetzt die Überprüfung der Beschaffung der F-35-Kampfjets als mögliche Gegenmassnahme. Was halten Sie davon?
Auch hier stellt sich die Frage: Nach welchen Werten handeln wir? Wenn der F-35 zuvor die beste Wahl war, dann ist er es auch jetzt noch. Wir können unsere Armeeangehörigen doch nicht mit zweitklassigem Material ausrüsten, um unser Land zu verteidigen.
Sie warnen auf X vor Panik und schreiben, die Schweiz könne aus eigener Kraft erfolgreich sein, wenn sie es wirklich wolle. Wie soll das bei einer Exportnation wie der Schweiz gehen?
18 Prozent unserer Exporte gehen in die USA. Laut BAK käme es zu einem Verlust von 12’500 Arbeitsplätzen in der Schweiz, solange die Pharmabranche vom 39-Prozent-Zollsatz ausgeschlossen bleibt. Die Zölle würden laut BAK rund 0,3 Prozent an Wachstum kosten über die nächsten Jahre. Wir haben 5,4 Millionen Arbeitsplätze insgesamt. Es ist ein ernstzunehmendes Problem, aber mit den richtigen Massnahmen können wir es selbst lösen. Man muss es richtig einordnen: Als sich der Franken 2015 auf einen Schlag stark aufwertete, musste die Exportwirtschaft Mehrkosten von über 20 Prozent verkraften - und sie hat es geschafft.
Sie schreiben auch, man müsse nun sofort aufhören mit allen Regulierungen, welche die Wirtschaft negativ belasten. Das klingt ziemlich einfallslos.
Gute Politik darf auch einfach sein! Schauen Sie sich nur die aktuellen Verschärfungen in der Bankenregulierung an – sie verteuern Kredite in der Schweiz und schwächen unsere Wettbewerbsfähigkeit. Gleichzeitig sollten wir dringend die Rahmenbedingungen für Zukunftsbranchen wie Künstliche Intelligenz, die gesamte Softwareindustrie, Krypto und Fintech verbessern. Diese Sektoren sind nämlich von den US-Massnahmen nicht betroffen. Genau dort liegt ein Teil unseres Potenzials.
Von linker Seite wird nun gefordert, Arbeitsplätze durch staatliche Hilfe zu schützen, etwa durch eine Ausweitung der Kurzarbeit auf drei Jahre – also bis zum Ende der Amtszeit von Trump. Was halten Sie davon?
Die Schweiz hat grundsätzlich zwei Optionen: Erstens, jetzt einen überteuerten Deal auszuhandeln, oder zweitens, abzuwarten, bis Trump bei den Zwischenwahlen seine Mehrheit verliert. Option zwei erfordert aber kurzfristig Massnahmen im Inland. Ich unterstütze die Verlängerung der Kurzarbeit. Ich wäre sogar dafür, betroffenen Unternehmen steuerliche Erleichterungen zu gewähren – und Ähnliches.
Bundesrätin Karin Keller-Sutter, Ihrer Parteikollegin, wird nun vorgeworfen, sie habe sich in einem Telefonat mit Donald Trump letzten Donnerstag 'oberlehrerhaft' benommen und den US-Präsidenten verärgert. War Ihr Verhalten Ausdruck von zu hoher Selbstsicherheit des Bundesrates?
Es ist immer einfach, den Bundesrat zu kritisieren, wenn man selbst nicht in der Verantwortung steht. Das mache ich nicht.
Keller-Sutter sagte vor den Medien am 1. August, nicht sie habe mit den USA verhandelt, sondern das Seco. War das geschickt?
Grundsätzlich gilt: Während laufender Verhandlungen ist es ohnehin besser zu schweigen - und höchstens die Gegenseite zu loben. Schuldzuweisungen bringen uns nicht weiter; auf sie sollten wir verzichten.
Den Befürwortern des EU-Abkommens wird der US-Zollhammer wohl Auftrieb geben. Sehen Sie das ähnlich?
Wie beim F-35 gilt: Was vorher gut oder schlecht war, ist es auch jetzt noch. Wer wegen dieses Konflikts plötzlich seine Meinung ändert, sollte seinen Wertekatalog überdenken.
Ruedi Noser ist Gründer, Verwaltungsrat und Alleinaktionär der Noser Group mit Sitz in Zürich. Er war für den Kanton Zürich von 2003 bis 2015 Nationalrat und von 2015 bis 2023 Ständerat der FDP.
Das Interview mit Ruedi Noser wurde schriftlich geführt.