In Kiew schlugen vor allem in der Innenstadt zahlreiche Geschosse ein, dabei starben mehrere Zivilisten. Es waren die schwersten Angriffe auf die Hauptstadt seit Beginn des russischen Angriffs am 24. Februar. Raketenschläge wurden auch in Lwiw im Westen, in Dnipro in der Zentral-Ukraine, in Charkiw in Nordosten und Saporischschja im Südosten gemeldet. Die Polizei berichtete von insgesamt mindestens zehn Toten und 60 Verletzten. Die ukrainische Regierung und westliche Staaten verurteilten das Vorgehen Russlands scharf.

Der russische Präsident Wladimir Putin erklärte in einer Fernseh-Ansprache, er habe massive Angriffe mit Langstreckenraketen angeordnet gegen Energie- sowie die Kommando- und Kommunikations-Infrastruktur. Dabei seien Raketen aus der Luft, vom Wasser und von Land aus abgefeuert worden. Dies sei die Antwort auf den "terroristischen Angriff" gegen die Kertsch-Brücke, die die 2014 von Russland annektierte ukrainische Halbinsel Krim mit dem russischen Kernland verbindet. "Das Regime in Kiew hat sich mit seinen Taten auf dieselbe Ebene wie internationale terroristische Organisationen begeben", sagte Putin. "Solche Akte unbeantwortet zu lassen, ist schlicht unmöglich."

Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko schrieb in sozialen Medien: "Die Hauptstadt wird von den russischen Terroristen angegriffen." Die Angriffe konzentrierten sich demnach auf die Innenstadt sowie den Stadtteil Solomjanskyj, Luftsirenen ertönten, die Menschen brachten sich in Schutzkellern oder in U-Bahn-Stationen in Sicherheit. Rauchwolken waren über der Stadt zu sehen. An einem Verkehrsknotenpunkt standen zerbombte Autos. Nach ukrainischen Angaben feuerte Russland am Vormittag 83 Raketen ab. Die ukrainischen Streitkräfte hätten davon mindestens 43 Raketen abgeschossen, teilte die stellvertretende Verteidigungsministerin Hanna Maljar mit.

Ukraine: Angriffe schon vor Brücken-Vorfall geplant

Am Samstag war es zu einer schweren Detonation auf der für Russland strategisch äusserst wichtigen Krim-Brücke gekommen. Die 19 Kilometer lange Verbindung führt über die Strasse von Kertsch, eine Meerenge zwischen dem Schwarzen und dem Asowschen Meer. Für Moskau spielt die Brücke eine entscheidende Rolle, denn über sie wird ein erheblicher Teil des Nachschubs für die Soldaten auf der Krim und in der grösstenteils besetzten südukrainischen Region Cherson geliefert. Die Krim war in den vergangenen Monaten wiederholt Ziel ukrainischer Angriffe.

Die ukrainische Regierung hat sich zu dem Angriff auf die Brücke bislang nicht bekannt, aber offen Sympathien für die Tat erkennen lassen. Nach Erkenntnissen des ukrainischen Militärgeheimdienstes hat Russland die Raketenangriffe bereits seit Anfang Oktober geplant und damit schon vor der Explosion auf der Krim-Brücke. Die russischen Streitkräfte hätten am 2. und 3. Oktober vom Präsidialamt die Anweisung erhalten, massive Raketenangriffe auf die zivile Infrastruktur der Ukraine vorzubereiten, teilte der Geheimdienst mit.

Nato verspricht Unterstützung gegen russische Aggressoren

Die Nato verurteilte die Raketenangriffe. Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte auf Twitter, die Angriffe seien schrecklich und wahllos erfolgt. Dem ukrainischen Aussenminister Dmytro Kuleba sicherte er weiterhin Unterstützung zu gegen die "Aggression des Kreml" zu. Die EU-Kommission sprach von "barbarischen und feigen Angriffen". Sie seien ein Verstoss gegen das Völkerrecht und eine weitere Eskalation des Krieges. Aussenministerin Annalena Baerbock äusserte sich schockiert. "Bewohner*innen von Kiew in Todesangst im Morgenverkehr. Ein Einschlagskrater neben einem Spielplatz", schrieb sie auf Twitter und betonte.

Deutschland will der Ukraine in den kommenden Tagen ein neues Luftabwehrsystem liefern. "Der neuerliche Raketenbeschuss auf Kiew und die vielen andere Städte macht deutlich, wie wichtig die schnelle Lieferung von Luftverteidigungssystemen an die Ukraine ist", sagte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht. "Deshalb unterstützen wir jetzt besonders mit Flugabwehrwaffen. In den nächsten Tagen steht das erste von vier hochmodernen IRIS-T SLM Luftverteidigungssystemen zum wirksamen Schutz für die Menschen in der Ukraine bereit."

Die Staats- und Regierungschefs der sieben führenden westlichen Industrienationen (G7) wollen am Dienstagnachmittag (deutscher Zeit) über den Krieg in der Ukraine beraten. Daran soll auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj teilnehme. Selenskyj erklärte auf Twitter, er habe sich mit Bundeskanzler Olaf Scholz als amtierendem G7-Vorsitzenden auf dieses Sondertreffen verständigt. Er selbst werde dabei über die Angriffe der Russischen Föderation berichten.

(Reuters)