Vor zweieinhalb Monaten nahm sich Swisscom-CEO Carsten Schloter das Leben. Er wurde 49 Jahre alt. Und bloss einen Monat später, am 23. August, schied auch der 53-jährige Finanzchef der Zurich Insurance Group, Pierre Wauthier, freiwillig aus dem Leben. Die Selbstmorde setzten die Schweizer Wirtschaftswelt unter Schock. Und sie lösten eine intensive Debatte über die Arbeitsbelastung von Schweiz Topmanagern und die Unternehmenskultur aus.
Was haben die betroffenen Firmen seither unternommen? Und haben auch Unternehmen, die nicht von den Selbstmorden tangiert waren, Vorkehrungen getroffen?
Zurich Versicherung leitete Untersuchung ein
"In den Tagen nach Herrn Wauthiers Suizid hat die Zurich Versicherung eine Telefonhotline eingerichtet, an die sich Mitarbeiter wenden können", sagt Björn Emde, Mediensprecher bei Zurich Insurance, auf Anfrage von cash. Die Telefonhotline, welche von psychologisch geschultem Personal ausserhalb der Zurich betrieben wird, sei von den Mitarbeitern gut aufgenommen geworden, so Emde. "Mit dem Einverständnis der betroffenen Mitarbeiter konnte jeweils nach individuellen Hilfen gesucht werden."
Weiter hat die Zurich Versicherung eine Untersuchung eingeleitet, um herauszufinden, wie es zum Suizid von Herrn Wauthier kommen konnte. Der Abschluss der Untersuchung dauert laut Emde vermutlich noch einige Wochen. Der Versicherungskonzern erhoffe sich, aus der Untersuchung Erkenntnisse zu gewinnen, um künftig beispielsweise die Suizidgefahr von Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen frühzeitig zu erkennen. "Je nach Resultat der Untersuchung werden wir dann eine Ausweitung der Beratungsangebote für Mitarbeiter innen und Mitarbeiter erwägen", sagt Emde.
Wauthiers Selbstmord sorgte auch im Zurich-Verwaltungsrat für Turbulenzen. Der Verwaltungsratspräsident Josef Ackermann trat von seinem Posten aus persönlichen Gründen zurück, nachdem ein Abschiedsbrief Wauthier auftauchte. Darin erhob der Finanzchef schwere, wenn auch allgemein gehaltene Anschuldigungen gegen Ackermann.
Swisscom sieht kein Handlungsbedarf
Anders dagegen die Reaktion von Swisscom nach dem Selbstmord ihres CEO. "Wir haben nach dem Suizid von Carsten Schloter keine zusätzlichen internen Massnahmen zur Prävention solcher Fälle ergriffen", sagt Sepp Huber, Medienchef bei Swisscom. Die Swisscom überprüfe aber die Führungs- und Unternehmenskultur laufend, und würde wenn nötig auch Massnahmen ergreifen. Derzeit stünden aber keine Änderungen an, so Huber.
Grund für die "Passivität" der Swisscom liegt in den bestehenden breiten Hilfsangeboten für Mitarbeitende. Angestellte aller Stufen können eine kostenlose Sozialberatung oder auch eine Hotline für dringende Anfragen in Anspruch nehmen. "Die Sozialberatung unterstützt bei Fragen und Anliegen, die mit der Arbeits- und Lebenssituation verbunden sind", sagt Huber. Für Führungskräfte organisiert die Swisscom bei Bedarf interne oder externe Spezialisten etwa fürs Coaching. "Seit Carsten Schloters Suizid stellen wir keine Zunahme bei der Sozialberatung oder den Coachings fest", sagt Huber.
Der Arbeits- und Gesundheitsforscher Georg Bauer vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin an der Universität Zürich bezeichnet den Umgang der Schweizer Unternehmen mit dem Stress ihrer Mitarbeiter als "hilflos", wie er jüngts der Wochenzeitung "Die Zeit" sagte. Doch auch bei den Unternehmen, die nicht von Selbstmorden auf höchster Führungsebene betroffen waren, verlässt man sich auf die bisherigen Anti-Stress-Angebote für Mitarbeiter. Unisono sagen die Firmen, sie hätten nach den tragischen Ereignissen bei Zurich und Swisscom keine Zusatzmassnahmen eingeführt oder geplant.
Bei den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) interveniert indes der Chef bisweilen persönlich: "Ich habe selber schon unseren internen Sozialdienst gebeten, sich eines Problems anzunehmen, wenn ich ein gewisses Risikopotenzial bei Mitarbeitenden vermutete", sagte SBB-Chef Andreas Meyer kürzlich im Gespräch mit cash.
Wie die Mitarbeiter reagieren, wenn sie ohne eigenes Dazutun vom Sozialdienst der SBB kontaktiert werden, wollte die SBB nicht kommentieren. Nur so viel: "Die Reaktionen variieren je nach Fall und Mitarbeiter", lässt die Medienstelle auf Anfrage ausrichten. Der Sozialdienst der SBB für seine derzeit knapp 30'000 Mitarbeitenden besteht seit rund 60 Jahren. In den letzten Jahren wurden laut der SBB keine Veränderungen der Beanspruchung festgestellt.
Vorgesetzter steht in der Pflicht
Auch die UBS führt seit 50 Jahren eine interne, unabhängige Sozialberatung, welche allen Mitarbeitern zur Verfügung steht und Hilfe leistet. Zum Beispiel bei persönlichen und familiären Fragen, Schwierigkeiten und Konflikten am Arbeitsplatz, Krankheit - darunter auch Burnout oder Mobbing. "Die Nutzung ist in den letzten Jahren etwa konstant geblieben", sagt UBS-Mediensprecherin Dominique Scheiwiller.
Spezielle Massnahmen nach den beiden Suiziden wurden laut der UBS nicht aufgegleist. Dasselbe gilt auch für die Zürcher Kantonalbank (ZKB). Sie verweisen jeweils auf die bestehenden Hilfsangebote. Bei der ZKB erschoss im Juli 2004 ein ZKB-Kadermitglied in der Filiale beim Tessinerplatz in Zürich seine beiden Chefs und beging danach Selbstmord. Als Gründe wurden Spannungen am Arbeitsplatz und Schwierigkeiten mit dem Leistungsdruck angegeben.
Bei der ZKB obliegt das rechtzeitige Erkennen von Problemen dem Vorgesetzten. Eine spezielle Sensibilisierung zum Beispiel im Erkennen von Burnout-Syndromen bietet die ZKB aber nicht an. Hingegen werden Seminare für einen konstruktiven Umgang mit Konflikten angeboten, sagt Sprecher Igor Moser.
«Politik der offenen Tür»
Die Förderung der Life-Work-Integration ist laut dem Pharmaunternehmen Novartis ein Thema, das fortwährend diskutiert und weiterentwickelt werde. So erwarte die Firma nicht, dass die Mitarbeitenden auch nach Feierabend, am Wochenende und in den Ferien erreichbar sein müssten, sagt Novartis-Sprecherin Esther Keller.
Bei der Migros herrscht eine ähnliche Unternehmenskultur wie bei der SBB: "Vorgesetzte, aber auch gleichgestellte Mitarbeiter sollen das Gespräch suchen mit Mitarbeitern, die ein auffälliges Verhalten wie zum Beispiel Verschlossenheit oder Gereiztheit an den Tag legen", sagt Urs Peter Naef, Mediensprecher beim Migros-Genossenschafts-Bund. Bei der Migros herrsche eine "Politik der offenen Tür", so Naef. Zudem sucht der grösste Detailhändler der Schweiz bei überdurchschnittlichen vielen Absenzen von Mitarbeitern nach den Gründen und versucht zu helfen. Weiter können sich Migros-Mitarbeiter auch an internen Ombudsstellen und HR-Spezialisten wenden.
Ob diese Massnahmen und Angebote reichen? Gesundheitsforscher Bauer von der Universität Zürich bezeichnet den Umgang der Schweizer Unternehmen mit dem Stress ihrer Mitarbeiter zumindest als "verpasste Chance".