Schmuggler bringen illegal Drogen, Fälschungen, verbotene Pflanzen, Tiere oder sogar Menschen über die Grenze – und Zollbeamte versuchen, sie aufzuhalten. Es gibt jedoch noch eine andere Art von amerikanischen Schmugglern.
Sie erinnern an die Zeit, als die US-Zölle zuletzt so hoch waren wie heute: Durch die Handelspolitik von Präsident Donald Trump haben die Reichen des Landes nun einen starken Anreiz, im Ausland Luxusgüter zu erwerben und diese dann zollfrei ins Land zu bringen.
Risiko-Ertrags-Kalkül
In den USA war der Schmuggel früher weit verbreitet. 1915 etwa wurde Charlotte Warren, eine reiche Erbin aus den «New York Four Hundred» — der elitären High Society des «Gilded Age» — beschuldigt, bei der Rückkehr von einer Hilfsmission aus Europa französische Kleider im Wert von Tausenden Dollar zu niedrig verzollt zu haben.
Warren sprach von «Kriegs-Schnäppchen» aus Paris, doch die Beamten widersprachen. Ein Richter verhängte 8'000 Dollar Strafe und deutete an, er habe sie nur wegen ihres humanitären Einsatzes vor einer Haftstrafe bewahrt. Warren zahlte die Strafe sofort in bar mit einem Bündel 100-Dollar- Scheine.
Man kann sich mit Schadenfreude ausmalen, wie heutige Influencer oder modeverrückte Milliardäre an der Grenze blossgestellt würden. Doch solche Schmuggler sind schwer zu erkennen. Sie wirken wie normale Reisende und führen scheinbar unauffällige Waren mit sich. Anstelle von Drogen oder Schildkröten müssen Zöllner heute nach Schweizer Uhren, französischen Handtaschen, italienischen Schuhen oder koreanischer Luxuskosmetik Ausschau halten.
Warrens Kleider unterlagen damals einem Zollsatz von 50 Prozent – derselbe, den die USA jüngst auf Importe aus Indien verhängt haben, das Modeexperten zufolge für Stickereien und Perlenarbeiten bekannt ist. Schweizer Uhren traf ein Satz von 39 Prozent. Selbst bei «nur» 15 Prozent, wie für die EU, lohnen sich Auslandsreisen für US-Bürger: Wer in Paris einkauft, kann sich die Mehrwertsteuer erstatten lassen und so insgesamt mehr als 35 Prozent sparen.
Obwohl Schmuggel eindeutig illegal ist, sei «das Risiko- Ertrags-Verhältnis angesichts der steigenden Zölle sicherlich günstiger», sagt Susan Scafidi, Direktorin des Fashion Law Institute der Fordham University in New York. Schon früher hätten Verkäufer ihren Kunden Tipps zum Umgehen der Abgaben gegeben.
Laut Yale’s Budget Lab liegen die Zölle aktuell bei durchschnittlich 17,4 Prozent – dem höchsten Wert seit 1935. Kleidung verteuere sich dadurch um 35 Prozent, Lederwaren um 37 Prozent. Vor rund hundert Jahren konnten Reiche solchen Anreizen kaum widerstehen. Wohlhabende Schmuggler waren fester Bestandteil populärer Medien und ein ständiges Ärgernis für den Zoll.
Die Motive reichten über Geldersparnis hinaus: Oft ging es darum, Luxuswaren zu bekommen, die in den USA nicht verfügbar waren – edle Spirituosen, Wein, Zigarren, Seide oder Spitzenstoffe. Bräute reisten gern nach Paris oder Kanada, um sich für ihre Hochzeit auszustatten.
Nach Trumps Ende der Zollfreigrenze für Lieferungen bis 800 Dollar könnte ein ähnlicher Trend zurückkehren. Online-Shopping wird teurer, Reisen zum Einkaufen lohnen sich wieder. (Amerikaner dürfen bei Reisen über 48 Stunden Waren im Wert von bis zu 800 Dollar zollfrei einführen.) In Asien sind Shopping- Reisen längst etabliert. Die New Yorker Reiseagentur Embark Beyond meldete im Mai ein Plus von 45 Prozent bei Buchungen für Shopping-Trips im Vergleich zum Vorjahr.
Das Drehbuch der Schmuggler
Fragen Zöllner nach Luxusartikeln, versuchen es manche mit Ausreden: Die 3'000-Dollar-Louis-Vuitton-Tasche sei alt, oder gar eine Fälschung. Doch Kreditkarten-Abrechnungen entlarven solche Lügen oft. Viele Schmuggler fliegen später auf, wenn sie ihre Beute weiterverkaufen.
Heute kontrollieren US-Zöllner selten Kleidung oder Gepäck. Früher hingegen war die Abfertigung mühsamer. So gaben die Aronsons bei der Einreise 1910 Einkäufe im Wert von 100 Dollar an – damals die Freigrenze. Weil Carrie Aronson nervös wirkte, durchsuchten Beamte fast ein Dutzend Koffer und fanden ein leeres Schmuckkästchen. Eine Leibesvisitation brachte schliesslich eine Brosche, ein Armband und eine Uhr zutage.
Schmuggler haben zu einfallsreichen Methoden gegriffen: Sie trugen mehrere Kleidungsschichten, nähten Edelsteine in Stoffe ein oder versteckten sie in ihren Körperöffnungen. Ein Mann schmierte Uhren mit einer klebrigen Masse ein und presste sie in seine Achselhöhlen. Eine Lieferung französischer Uhren wurde in einem Sarg entdeckt, in dem sich aus Gründen der Authentizität eine echte Leiche befand.
Die Beamten mussten wachsam sein: Ein Inspektor durchsuchte sogar Picknickkörbe kanadischer Tagesausflügler an den Niagarafällen, weil er vermutete, sie könnten «einen riesigen Korb voller Handschuhe anstelle von Sandwiches» schmuggeln. Mit den neuen Zöllen Trumps könnte solche Wachsamkeit zurückkehren. Das Justizministerium bereitet laut Medienberichten strengere Verfolgung vor, während ein von Trump am 4. Juli unterzeichnetes Gesetz Milliarden für Zoll und Grenzschutz bereitstellt. «Diese Regierung hat unmissverständlich klargemacht, dass sie Zollumgehungen energisch bekämpfen will», sagt der Handelsanwalt Jonathan Todd von Benesch in Cleveland.
Der Schwerpunkt liegt derzeit allerdings auf Firmen, nicht auf Einzelpersonen. Zudem fliessen die neuen Mittel vor allem in die Bekämpfung von Fentanyl-Schmuggel und illegaler Migration. Die Zollbehörde erklärte, man setze «verschiedene Methoden der Risikoanalyse» ein und nutze «nicht-invasive Inspektionstechnologien», um geschmuggelte Ware und Personen herauszufiltern.
«Ein Verbrechen ohne Opfer»
Doch nur weil man spart – sollte man auch schmuggeln und damit gegen das Gesetz verstossen? Rechtlich gibt es hier keine Grauzone. Susan Scafidi vermutet aber, dass Trump-kritische Reisende ihr Verhalten als zivilen Ungehorsam verstehen könnten.
Schmuggel wird seit jeher romantisiert: Fiktive Schmuggler wie Rhett Butler in Vom Winde verweht oder Han Solo in Star Wars werden als sexy Schurken dargestellt. Auch einige der Gründerväter der USA waren mit ziemlicher Sicherheit in Schmuggelaktivitäten verwickelt. So lösten britische Anschuldigungen, John Hancock habe 1768 illegal Wein in den Hafen von Boston gebracht, eine Kontroverse aus, die zur Amerikanischen Revolution beitrug.
«Viele sehen Schmuggel als ein Verbrechen ohne Opfer», sagt der Historiker Andrew Wender Cohen von der Syracuse University. Doch die Wahrnehmung kann sich ändern. Nach dem Bürgerkrieg galt es als patriotisch, Zölle zu zahlen, erklärt Cohen, dessen Buch Contraband: Smuggling and the Birth of the American Century die Epoche beschreibt. Obwohl einige Amerikaner – insbesondere in ländlichen Gebieten – die Zahlung von Zöllen hassten, waren diese bis zur Einführung der Einkommenssteuer durch eine Verfassungsänderung im Jahr 1913 die wichtigste Einnahmequelle der Regierung.
Befürworter argumentierten, dass Zölle die demokratischen Werte Amerikas aufrechterhielten, indem sie ausländische Luxusgüter fernhielten und US-Arbeiter vor unlauterem Wettbewerb durch ausländische Arbeitskräfte schützten. Letztere wurden oft als versklavt und ausgebeutet angesehen. Die Zollumgehung galt als Praxis der Konföderierten, die sich während des Krieges durch Schmuggel finanzierten.
Heute haben Reiche dank Einkommen und Mobilität die besten Schmuggelchancen. Doch auch Flugbegleiter oder Anwohner an den Grenzen zu Mexiko und Kanada könnten in Versuchung geraten. Besonders verlockend ist es in Detroit, das über den Detroit River nur wenige Minuten von der kanadischen Grenze entfernt liegt. Schon während der Prohibition wurde dort Alkohol geschmuggelt. 1872 schätzte eine Zeitung, dass «mindestens jede zehnte Frau» bei ihrer Rückkehr verbotene Waren mitbrachte.
Auf den Autobahnen von Detroit passieren Autofahrer heute Ausfahrtsschilder mit der Warnung: «Brücke nach Kanada, keine Wiedereinreise in die USA». Nach Angaben der Zoll- und Grenzschutzbehörde fuhren im letzten Geschäftsjahr mehr als 5 Millionen Autos und Lastwagen über die Brücke und einen nahe gelegenen Tunnel in die USA ein. Ein dritter Grenzübergang — die Gordie Howe International Bridge — soll nach siebenjähriger Bauzeit im Herbst dieses Jahres eröffnet werden. Neben sechs Fahrspuren für Fahrzeuge wird sie einen Weg für Fussgänger und Radfahrer bieten.
Auf US-Seite stehen hochmoderne Kontrollanlagen bereit: 36 Spuren, ein gigantischer Lkw-Röntgenscanner, ein landwirtschaftliches Gebäude mit Tierställen und eine Station zur Kontrolle von Fussgängern, Radlern und Joggern. Es ist schwer vorstellbar, dass Touristen und Sportler grosse Mengen an Schmuggelware in die USA einführen – doch jemand wird es gewiss versuchen.
(Bloomberg)