Die Schweizer Regierung hatte noch nicht einmal angekündigt, die formellen Gespräche mit dem grössten Handelspartner wieder aufzunehmen, als schon die Gegenreaktion einsetzte. Die Gewerkschaften äusserten sich besorgt über die Arbeitsnormen, und die rechtsgerichtete SVP, die grösste Partei im Parlament, machte ihrem Ärger über die hohe Zuwanderung Luft und warf der Regierung den Ausverkauf des Landes vor.

Die Gespräche zielen darauf ab, die derzeitige Vielzahl bilateraler Abkommen — vom Zugang zum Binnenmarkt über die Freizügigkeit bis hin zur Finanzmarktregulierung — in ein kompakteres Abkommen zu verpacken.

Die Schweiz ist vor zwei Jahren aus Verhandlungen zu einem möglichen Rahmenabkommen ausgestiegen, was die politischen und wirtschaftliche Beziehungen erschütterte und die Union frustrierte. Angesichts der Tatsache, dass die EU die Hälfte der Schweizer Exporte abnimmt und sich der Warenhandel auf mehr als 300 Milliarden Euro pro Jahr beläuft, war dies ein gewagter Schritt der Schweiz.

Auch wenn die derzeitigen Abkommen im Grossen und Ganzen funktionieren, ist die EU mit dem Flickenteppich nach wie vor unzufrieden. Und dieses Mal haben die Schweizer vielleicht nicht den Luxus eines solch dramatischen Schrittes.

In einer zunehmend zersplitterten und angespannten geopolitischen Welt, in der nationale Interessen dominieren, muss die Schweiz etwas guten Willen zeigen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass sie von ihrem grösseren Nachbarn zunehmend ausgegrenzt wird und sich in schwierigen Zeiten nicht auf die EU verlassen kann.

Die Spannungen wirken sich bereits in der Praxis aus. Sie haben Auswirkungen auf die Börse und auf Schweizer Aktien, die seit 2019 nicht mehr in der EU gehandelt werden dürfen. Stromversorger sehen die Energiesicherheit gefährdet und Schweizer Wissenschaftler haben keinen Zugang zu Forschungsgeldern aus dem EU-Programm Horizon.

«Klar, irgendwie hat das Durchwursteln über die vergangenen Jahre geklappt», sagt Georg Lutz, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Lausanne. «Aber die Schweiz wird immer isolierter in Europa. Wenn es mal eine Krisensituation gibt — wie die Energiekrise letzten Winter —, dann kann die Schweiz nicht auf Europas Solidarität zählen.»

Die Kontroverse um die Beziehungen der Schweiz zur EU erinnert an die Brexit-Debatte, die die britische Politik seit Jahren beherrscht. Sie ist geprägt von emotionaler Sprache und düsteren Warnungen, dass ein neues Abkommen zu unkontrollierter Einwanderung führen und die Schweiz in einen EU-Vasallenstaat verwandeln würde. Solche Befürchtungen sind auch in Europa aufgetreten, zuletzt beim Wahlsieg von Geert Wilders in den Niederlanden.

Die Regierung sei «bereit, die Souveränität der Schweiz preiszugeben und unser Land der EU zu unterwerfen», erklärte die SVP im November und fügte hinzu, sie werde dies «mit allen Mitteln bekämpfen».

Die Schweiz hat 1999 ein Abkommen mit der EU geschlossen, das den freien Personenverkehr ermöglicht, ohne den die Schweizer Unternehmen nicht genügend Arbeitskräfte bekommen könnten. Doch vor den Wahlen im Oktober zählte die Sorge über zu viele Ausländer zu den wichtigsten Themen. Bei dieser Abstimmung erzielte die SVP ihr drittbestes Ergebnis in der Geschichte.

Das ist eine komplizierte Mischung, die es der Regierung schwer macht, denn sie muss jedes neue Abkommen im eigenen Land verkaufen, wahrscheinlich in einer Volksabstimmung im Rahmen der direkten Demokratie der Eidgenossenschaft.

Im Alpenort Grindelwald, bekannt für die berühmte Lauberhorn-Skiweltcup-Piste unterhalb des Dreigestirns Eiger, Mönch und Jungfrau, kann man diesen Kampf der Ideen in Aktion erleben.

In den Schweizer Alpen hat die SVP ihre traditionellen Hochburgen, und mehr als 60% der Wähler in Grindelwald gaben der Partei im Oktober ihre Stimme. Das war eines ihrer besten Ergebnisse, obwohl die Hotels, Restaurants und Bars in der Region von der Zuwanderung abhängig sind.

«Arbeitskräfte, die in die Schweiz kommen — dagegen hat niemand etwas», sagt Stefan Grossniklaus, Chef des Grindelwalder Hoteliervereins und ehemaliger SVP-Ortsvorsitzender. «Aber Asylbewerber aus Afrika und dem Nahen Osten, das ist ein Problem. Es geht darum, die Zuwanderung zu regulieren.»

Diese Ansicht wird auf der Website der SVP anschaulich dargestellt, wo Bilder von blutigen Messern neben Aufrufen zur Bekämpfung der durch Einwanderer verursachten Kriminalität zu sehen sind. Ein Foto, das Flüchtlinge in Bewegung zeigt, erinnert an das berüchtigte Anti-Einwanderungsplakat «Breaking Point», das während der Brexit-Kampagne in Grossbritannien verwendet wurde.

Das Einwanderungsthema ist nicht auf ländliche Gebiete beschränkt. Bei der Ständeratswahl in Genf hat der Kandidat des populistischen Mouvement Citoyens Genevois einen der beiden Sitze gewonnen — ein seltener Erfolg für eine kleine Partei.

Die Bürgerbewegung gewann an Zugkraft, indem sie sich für ein Gesetz einsetzte, das Arbeitgeber dazu verpflichtet, Einheimische vor Arbeitnehmern aus dem benachbarten Frankreich einzustellen, sowie für traditionell linke soziale Massnahmen.

Beamte in Brüssel und Bern gehen davon aus, dass die Verhandlungen über ein neues Abkommen zwischen der EU und der Schweiz im Frühjahr beginnen werden, aber es ist noch lange nicht klar, wie lange sie dauern werden.

Die Sondierungsgespräche haben mehr als ein Jahr gedauert, so dass einige Details bereits ausgearbeitet sein könnten. Möglicherweise will die Schweizer Regierung aber auch nicht, dass sich das Ganze zu schnell entwickelt, um nicht den Eindruck zu erwecken, dem grossen Nachbarn zu schnell nachzugeben. Dies würde ihre Fähigkeit untergraben, das breite Spektrum von Gegnern zu überzeugen, die bereits Hürden errichten.

«Um den Wohlstand in der Schweiz zu gewährleisten, brauchen wir Zuwanderung», sagte Grossniklaus. «Aber: es braucht die richtige Zuwanderung.»

(Bloomberg)