Ein Grund dafür, dass Nico Leonard, ein unflätiger Niederländer aus Belfast, zum beliebtesten Luxusuhren-YouTuber wurde, ist seine Vorliebe, sich über Schweizer Marken lustig zu machen. "Es ist eine Modeuhr für Leute mit mehr Geld als Verstand", sagt Leonard in einem Video von 2023 mit dem Titel "Warum ich Hublot hasse". In einem anderen Wutausbruch über das Unternehmen, das zu LVMH des Milliardärs Bernard Arnault gehört, ist sein Rat noch unverblümter: "Verbrennen Sie das nächste Mal einfach Ihr Geld."
Das Hublot-Bashing ist Teil von Leonards Kunststück und hat ihm geholfen, mehr als 2 Millionen Abonnenten auf seinen YouTube-Kanälen und mehr als eine Million Follower auf TikTok zu gewinnen. Zu den beliebtesten Videos gehören seine jährlichen Marken-Rankings, bei denen die Klassifizierungen von "God Tier" - zu denen sowohl Rolex als auch Casio gehören - bis hin zu "Meh" und, ganz unten, "Hublot" reichen.
Bashing als Marketingstrategie in Zeiten der Krise
Für Schweizer Uhrenunternehmen, die so konservativ sind, wie es das nationale Klischee vermuten lässt, scheinen Grossmäuler wie Leonard nicht besonders geeignet zu sein. Und während sich der Grossteil der Branche von ihm ferngehalten hat, beginnen einige der ältesten und traditionsreichsten Unternehmen, seine rauere Herangehensweise und seine grosse Präsenz in den sozialen Medien zu schätzen.
Der Schritt kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die Branche nach einem Boom in der Covid-Ära mit einer Verlangsamung zu kämpfen hat, die durch einen Einbruch der Nachfrage auf dem wichtigen chinesischen Markt noch verstärkt wird.
Im Juni trat Leonard in einem Video auf, das von Audemars Piguet produziert wurde, dem fast 150 Jahre alten Unternehmen, das vor allem für die Royal Oak bekannt ist, die in den 1970er Jahren auf den Markt kam. Der Uhrenhändler trägt eine Reihe von Modellen und lobt das Unternehmen aus Le Brassus in der Schweiz. Er sagte, er sei für den Auftritt bezahlt worden. "Wir schätzen den echten Dialog, den er führt", sagte Ilaria Resta, Geschäftsführerin von AP, auf Nachfrage. "Wir sehen eine ganze Generation, insbesondere die Gen Z, die ihre Leichtigkeit in der digitalen Welt mit einem neuen Interesse an der mechanischen Uhrmacherei verbindet."
Eine weitere Social-Media-Figur, die umworben wird, ist Mike Nouveau, ein in New York ansässiger Vintage-Uhrenhändler und ehemaliger DJ. Er gilt als der König der sogenannten "Watchtok" auf TikTok und hat fast 450'000 Follower. Der 39-Jährige ist ein produktiver Produzent von Videokurzfilmen für TikTok und Instagram. In vielen dieser Videos hält er Leute auf der Strasse an, um sie zu fragen, was sie am Handgelenk tragen - und trifft dabei oft auf hippe New Yorker, die bereit sind, ihre Ärmel hochzukrempeln. In anderen feilscht er mit einem Händler für gebrauchte Uhren in Chinatown namens Eagle Chen.
Anfang dieses Jahres hat Cartier, das zum Schweizer Luxuskonzern Richemont gehört, Nouveaus Flug nach Genf zur jährlichen Messe "Watches and Wonders" mitfinanziert. Dort wurde er mit einem Hubschrauber nach La-Chaux-de-Fonds geflogen, wo er die Produktionsstätte von Cartier im Jura besichtigen konnte.
Nach Schätzungen von Oliver Müller von LuxeConsult geben Schweizer Uhrenhersteller rund 3 Milliarden Franken pro Jahr für Marketing aus. Da die traditionellen Werbeausgaben zurückgehen, könnte ein grösserer Teil des Budgets in die sozialen Medien fliessen. Es gibt viele Möglichkeiten für Unternehmen, wie zum Beispiel Instagramer wie Giorgia Mondani oder Austen Chu. Letztere hat bereits mit AP zusammengearbeitet und eine spezielle Royal Oak für den chinesischen Markt entwickelt.
Risiken der "modernen Echokammern"
Die Branche hat in der Vergangenheit einen konservativen Ansatz verfolgt und sich eher auf vertrauenswürdige Stellen in der Uhrenpresse verlassen. Sie hat Botschafter - oder Testimonials in der Rolex-Sprache - wie den grossen Tennisspieler Roger Federer (Rolex) oder Filmstars wie George Clooney (Omega) und Charlize Theron (Breitling) eingesetzt, um das Gesicht für ihre Marken zu sein.
Es ist mit Risiken behaftet, sich ausserhalb des traditionellen Bereichs zu bewegen. Viele Social-Media-Persönlichkeiten haben sich mit unverblümten Ansichten oder einem einzigartigen Stil einen Namen gemacht, der mit dem Image kollidieren kann, das ein Schweizer Unternehmen über Jahrzehnte hinweg gepflegt hat. Auch wenn nicht jeder so frech ist wie Leonard, der sich dieses Jahr einen Online-Streit mit dem US-Rapper Rick Ross lieferte, ist die Wahrscheinlichkeit grösser, dass er eine Kontroverse auslöst und damit einen Unternehmenspartner in Mitleidenschaft zieht.
Frank Müller, Berater für die Luxusindustrie und ehemaliger CEO von Swatch Group's Glashütte Original, sagt, dass es für Marken zwar sinnvoll ist, junge Kunden in "ihren modernen Echokammern" zu treffen, es aber auch viele Herausforderungen gibt, insbesondere wenn unhöfliches Verhalten eskaliert. Wenn ein Influencer "seinen Vertragspartner auf den Social-Media-Kanälen lobt, während er andere kritisiert, können Konkurrenten mit ihren eigenen Botschaftern, die die Atmosphäre vergiften, kontern", so Müller.
"Bislang galt der Ruf der Uhrenindustrie als einer der respektvollen Gentlemen", fügte er hinzu. "Und das war ein gutes Verkaufsargument". Wenn die Unternehmen jedoch eine jüngere Generation von Verbrauchern mit verfügbarem Einkommen ansprechen wollen, die in der Online-Welt verankert sind, ist die Ansprache ausgewählter Stars in den sozialen Medien ein naheliegender Weg.
Authentizität als Verkaufsschlager
"Der Grund, warum ich gross geworden bin und warum ich immer noch die grösste Persönlichkeit in der Branche bin, ist, dass ich authentisch bin", sagte Leonard. "Die meisten Marken haben keine Ahnung, wie sie mit ihren eigenen Kunden, mit neuen Kunden und neuen Menschen sprechen sollen."
AP ist nicht die einzige Schweizer Marke, die mit Leonard zusammengearbeitet hat. Vor kurzem hat er sich mit Ulysse Nardin zusammengetan, um das Modell "Freak" des Unternehmens zu bewerben. Pride & Pinion, Leonards Unternehmen, verkauft Ulysse Nardin-Uhren auf seiner Website und bezeichnet sich selbst als "authentifizierten Händler".
Es überrascht nicht, dass noch keine Partnerschaft mit Hublot zustande gekommen ist. Auf die Kritik angesprochen, sagte das Unternehmen, es sei "dafür bekannt, in der Welt der Uhrmacherei ein Unruhestifter zu sein, so dass es nicht überrascht, dass Einzelpersonen manchmal sehr polarisierte Meinungen über unsere Produkte äussern". Tatsächlich bietet CEO Julien Tornare einen Olivenzweig an und lädt den schärfsten Kritiker von Hublot zu einem Besuch der Produktionsstätte in Nyon ein. "Wir respektieren zwar die Ansichten aller, glauben aber, dass eine solche Erfahrung Nico Leonard eine neue und vor allem fundierte Perspektive auf unser Haus bieten könnte", so das Unternehmen.
(Bloomberg)