Die Börsen notieren auf oder nahe ihren Allzeithochs. Doch nicht alle Anleger haben Grund zur Freude. Aktionäre einiger Schweizer Traditionsunternehmen können weniger gut lachen: Die Aktien dieser Gesellschaften haben sich während der vergangenen Jahre oder Jahrzehnte wenig verändert - oder sind sogar deutlich gesunken.
Die nachfolgenden Beispiele verdeutlichen, dass weder ein langes Bestehen noch eine starke Marktpositionierung Unternehmen, und damit auch deren Aktionäre, davor verschont, den Wandel der Zeit zu verpassen. Doch nicht für jedes dieser Unternehmen ist jegliche Hoffnung verloren. Bei einigen der Firmen dürfte es sich trotz ungünstiger Lage nicht um die traditionelle Value-Falle handeln: Die Aktien sind nur eine Restrukturierung von einer Kurserholung entfernt.
1) OC Oerlikon: Turnaround vor dem Abschluss
1991 notierten die Aktien von OC Oerlikon bei etwa 11 Franken, heute sind sie bei etwas weniger als 4 Franken. Das Allzeithoch lag irgendwo dazwischen bei fast 110 Franken. Der industrielle Traditionsbetrieb übte in seiner Geschichte schon sehr viele Tätigkeiten aus: Von der Rüstung über die Raumfahrt bis hin zum Immobiliengeschäft, Zulieferbetrieb in der Chipproduktion oder im Bereich der Beschichtungstechnologie. Nach dem kürzlich bekannt gegebenen Verkauf der Textilmaschinensparte an Rieter wandelt sich Oerlikon nun zu einem reinen Oberflächentechnologie-Unternehmen.
Die Börse reagierte erfreut - die Oerlikon-Papiere schossen zeitweise 20 Prozent in die Höhe. Führt die Fokussierung auf nur einen Tätigkeitsbereich zum wirtschaftlichen Durchbruch? Von dem gehen jedenfalls die Analysten der Bank Vontobel aus: «Das Abstossen von Barmag bildet den Abschluss der Portfoliobereinigung, die vor über einem Jahrzehnt in Gang gesetzt wurde.» Dabei sehen sie ein Aufwärtspotenzial von weiteren 20 Prozent für das fokussierte Unternehmen.
Kursverlauf der Oerlikon-Aktien in Franken.
In dieser Einschätzung sind sie nicht alleine. Im Durchschnitt schätzen Analysten den Gewinn pro Aktie für das Geschäftsjahr 2028 bei knapp 50 Rappen - aktuell liegt es bei 28 Rappen. Zwar führt der Verkauf des Geschäftsbereichs zu Umsatzeinbussen und einer mittelfristigen Umsatzstagnation, doch die Erlöse aus dem Verkauf werden zur Schuldenreduktion verwendet und das verbleibende Geschäft ist stabiler - wenn auch etwas tiefmargiger. Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von unter 8 auf die 2028er-Ergebnisse ist Oerlikon tief bewertet. Erweist sich die Portfolio- und Schuldenbereinigung als positiver Faktor, dürften höhere Kurse winken.
2) Rieter: Achterbahnfahrt
Einen vergleichbaren Kursverlauf zeigen die Valoren von Rieter. 1987 notierten die Aktien bei etwas über 91 Franken. Heute sind sie bei 86 Franken. Wie bei Oerlikon hatten sich die Rieter-Papiere zwischenzeitlich fast versechsfacht. Die Geschichte von Rieter hat dagegen weniger mit einem fehlenden Fokus als mit dem Niedergang eines wichtigen Schweizer Industriesektors zu tun: die Textilbranche.
1965 zählte die Schweiz über 1700 Textilunternehmen. 40 Jahre später waren es weniger als 800, und heute dürfte die Zahl noch tiefer sein. In der gleichen Zeit stieg die Gesamtzahl der global tätigen Textilfirmen von 248’000 auf 383’000. Diese Gewichtsverlagerung verdeutlicht die Abwanderung der Wertschöfpung ins günstigere Ausland. Zwar produziert Rieter die Produktionsmaschinen und dürfte von der Gesamtzahl der Textilhersteller profitieren. Doch in einer Zeit in der «Fast Fashion» und Unternehmen wie Shein oder Temu an Bedeutung gewinnen, stellt sich die Frage, wie stark die Nachfrage nach teureren Schweizer Qualitätsmaschinen wirklich ist.
Kursverlauf der Rieter-Aktien in Franken.
Analysten erwarten bei Rieter ein stark schwankendes Geschäft auf sämtlichen Ebenen - Umsatz, operative Ergebnisse und Gewinne. Bis 2028 wird mit einer Verdoppelung des Gewinns pro Aktie auf 8 Franken gerechnet. Dies scheint beachtlich, relativiert sich aber aufgrund der tiefen letztjährigen Werte und liegt weit unter dem Niveau bis vor der Finanzkrise von über 30 Franken. Das zyklische Geschäft ist ebenfalls nicht zu unterschätzen: Gewinnverdoppelungen und -halbierungen sowie hohe Verluste gehören seit Jahren zur Normalität. Nicht jeder Investor ist bei solchen Rahmenbedingungen bereit, ein 2028er-KGV von 10 zu bezahlen.
3) Schlatter: Die günstigste Schweizer Industrieaktie?
1996 bei 63 Franken und heute unter 24 Franken: Der Aktienkurs von Schlatter weist wie Oerlikon oder Rieter die gleichen Kursbewegungen inklusive den markanten Anstiegen in den Jahren 1996 bis 1999 und 2004 bis 2007 um bis zu dem Zehnfachen auf.
Die Industriegruppe aus Schlieren produziert Schweissanlagen und -maschinen, sowie Webmaschinen. Grund für die markanten Kursverluste seit 2007 waren sprunghaft verschlechterte Rahmenbedingungen. In nur zwei Jahren halbierte sich der Umsatz, wovon sich das Unternehmen lange Zeit nicht erholte, und ein damit einhergehender Anstieg der Verschuldung.
Kursverlauf der Schlatter-Aktien in Franken.
Mit Ausnahme des letzten Geschäftsjahres verzeichnet Schlatter seit mehreren Jahren fundamentale Verbesserungen. Umsätze und Margen weisen tiefere Schwankungen als während den Restrukturierungsjahren auf und die Verschuldung konnte reduziert werden. Gleichzeitig stiegen die Gewinne sukzessive an.
Der Aktienkurs hat darauf nicht reagiert. Gründe könnten die geringe Visibilität - das Unternehmen wird von keinem Analysten abgedeckt - oder der tiefe Börsenwert sein. Viele institutionelle Anleger halten sich von derart kleinen Unternehmen mit einer geringen Zahl frei handelbarer Aktien fern. Das KGV auf die letztjährigen Resultate beträgt etwa 14. Werden die Durchschnittswerte von den letzten vier Jahren berücksichtig liegt die Bewertung bei nur 5,5. Wenn es sich bei den letztjährigen Ergebnissen um einen Ausreisser handelt, ist das Unternehmen in der Tat sehr niedrig bewertet.
4) Ascom: Margenschwäche und Wachstumsprobleme zu angemessenem Preis
Im Gegensatz zu Oerlikon, Rieter und Schlatter haben sich die Ascom-Valoren seit dem Kurssturz von 2000 bis 2003 nicht mehr erholt. Nachdem sie von 15 Franken im Jahr 1995 bis auf 132 Franken fünf Jahre später stiegen, notieren sie nun bei 3,5 Franken.
Verantwortlich für den Kurszerfall war das Fallen des Schweizer Telefonverkaufsmonopols und die Privatisierung der Swisscom. Ascom, Siemens und Alcatel waren jahrzehntelang Lieferanten der staatlichen Institutionen inklusive der Armee mit Abnahmegarantie. Mit den veränderten Rahmenbedingungen versuchte sich Ascom in diversen und themenfremden Geschäftsbereichen. Nachdem sich das Unternehmen einen Ruf als «Gemischtwarenladen» gemacht hatte, schrumpfte Ascom auf den heutigen Geschäftsbereich: Die Kommunikation im Gesundheitssektor.
Die positiven Aussichten anderer Gesundheitsunternehmen teilt Ascom nur begrenzt. Experten gehen von einem Umsatzwachstum von etwa 10 Prozent bis 2027 aus und einer Steigerung der operativen Marge von 7,4 auf über 10 Prozent. Beim Gewinn pro Aktie rechnen sie dagegen mit einer Vervierfachung. Aber Achtung: Diese Wachstumsraten können täuschen. Die letztjährigen Gewinne wurden nur während der Pandemie und der Finanzkrise unterboten - die tiefen Referenzwerte führen zu scheinbar hohen Wachstumsraten.
Die Aktien handeln bei einem 2027er-KGV von 8,3. Die Analysten der UBS sehen für das Kommunikationsunternehmen drei Problemfelder: Die versprochenen Margensteigerungen wurden nicht erfüllt, Sparmassnahmen und Investitionszurückhaltung im Gesundheitswesen und tiefe Industrieaussichten in Europa. Vor diesem Hintergrund sind die Aktien nicht teuer, aber eben auch nicht unterbewertet. Die UBS setzt das Kursziel bei 3,75 Franken fest - ein Gewinnpotenzial von lediglich 4 Prozent.
Hohe Gewinnchancen mit hohem Risiko
Die Anlagerisiken von in Schieflage geratenen Schweizer Traditionsunternehmen sind nicht zu unterschätzen. Erfolgreiche Beispiele wie Georg Fischer oder Cicor sind verlockend: Der Aktienkurs von Georg Fischer konnte sich erst nach zwanzig Jahren nach der Finanzkrise entfesseln, und die Aktien des Technologieunternehmen aus der Ostschweiz sind auf bestem Weg, die Kursverluste der Tech-Blase bis zur Hälfte zu egalisieren. In der Spitze sassen Cicor-Aktionäre auf einem Kursverlust von 97 Prozent.
Viele solcher Unternehmen haben es hingegen nicht geschafft. Beispiele dafür sind Swissair, Saurer, Bally, Von Roll, der Reiseveranstalter Kuoni oder Wiederholungstäter Swiss Steel, vormals Swissmetal. Sie sind entweder untergegangen, übernommen oder einfach dekotiert worden - meist zu niedrigeren Preisen und zum Nachteil der Anleger.
1 Kommentar
Bei Rieter wäre sicherlich noch erwähnenswert, dass Rieter infolge einer erfolgversprechenden, bevorstehenden Übernahme in Zukunft wesentlich wachsen wird.