Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gibt kurz vor den geplanten Gesprächen mit US-Vertretern in Berlin die Ambitionen für einen Nato-Beitritt auf. Sicherheitsgarantien der USA sowie europäischer und anderer Partner anstelle einer Nato-Mitgliedschaft seien ein Kompromiss, sagte Selenskyj am Sonntag in einem WhatsApp-Chat auf Fragen von Journalisten. «Von Anfang an war es der Wunsch der Ukraine, der Nato beizutreten, denn das sind echte Sicherheitsgarantien», sagte der Präsident. «Einige Partner aus den USA und Europa haben diesen Weg nicht unterstützt.» Bilaterale Sicherheitsgarantien seien aber eine Möglichkeit, «eine weitere russische Invasion zu verhindern», betonte Selenskyj. Dieser Schritt markiert eine bedeutende Wende für die Ukraine, die sich für einen Beitritt zum Militärbündnis Nato als Schutz vor russischen Angriffen eingesetzt und dieses Ziel in ihrer Verfassung verankert hat.

Sowohl Selenskyj als auch der US-Sondergesandte Steve Witkoff trafen am Sonntag zu Verhandlungen in Berlin ein. Denkbar sind auch Dreier-Gespräche mit der deutschen Regierung. Das Regierungsviertel in der Hauptstadt ist weiträumig abgesperrt. Am Montag sollen die Europäer mit am Tisch sitzen.

Die kommende Woche gilt als vorentscheidend für die Suche nach einem Waffenstillstand zwischen der 2022 von Russland überfallenen Ukraine und der Regierung in Moskau. Am Montag findet in Berlin nicht nur eine deutsch-ukrainische Wiederaufbaukonferenz statt. Merz hat zudem neben Selenskyj fast ein Dutzend europäischer Staats- und Regierungschefs sowie die Spitzen der EU und der Nato eingeladen. Bei dem Treffen wollen die Europäer - ungeachtet der amerikanisch-russischen Kontakte - der Ukraine ihre Solidarität versichern.

Am Donnerstag wollen die Europäer dann auf dem EU-Gipfel den Weg frei machen, um mehr als 200 Milliarden Euro an eingefrorenen russischen Staatsvermögen für die Finanzierung des ukrainischen Abwehrkampfes zu nutzen. Dies würde den Militäretat der Ukraine für die kommenden zwei, drei Jahre finanzieren und gilt als entschiedenes Signal an Russlands Präsident Wladimir Putin, dass er nicht mit einem Kollaps der Ukraine rechnen kann. Dies gilt auch deshalb als wichtig, weil Selenskyj innenpolitisch durch einen Korruptionsskandal im engsten Mitarbeiterkreis als schwer angeschlagen gilt.

Sowohl Russland als auch die USA lehnen die Nutzung dieser sogenannten «frozen assets» ab. Umgekehrt hat Kanzler Friedrich Merz US-Präsident Donald Trump mehrfach gewarnt, die Ukraine nicht in einen Diktatfrieden zu drängen, in dem sie besetztes Land an den Aggressor abtreten muss. Russland könnte sich danach ermutigt fühle, den Krieg gegen die Ukraine später fortzusetzen oder weitere europäische Staaten anzugreifen, so die Warnung.

Die US-Regierung versucht nun ihrerseits, mit den Gesprächen am Sonntag die Ukraine noch vor der versuchten europäischen Stärke-Demonstration zu Zugeständnissen zu bewegen. Trump dringt auf einen schnellen Waffenstillstand. Selenskyj sagte in Kiew gegenüber Journalisten, dass für ihn ein Ersatz für eine Nato-Mitgliedschaft bilaterale Sicherheitsgarantien der USA sowie weiterer westlicher Länder wären, die etwa dem Beistandspakt innerhalb der Nato (Artikel fünf) entsprächen. «Das ist bereits ein Kompromiss unsererseits», sagte er und fügte hinzu, dass die Sicherheitsgarantien rechtsverbindlich sein sollten.

Selenskyj hatte zuvor einen «würdevollen» Frieden verlangt. Er bezeichnete einen Waffenstillstand mit Russland entlang der aktuellen Frontlinien als eine faire Option. Die russische Forderung nach einem Abzug ukrainischer Truppen aus Teilen der östlichen Regionen Donezk und Luhansk sei hingegen unfair. Der ukrainische Präsident verwies darauf, dass Russland tägliche Angriffe auf sein Land unternehme. «Insgesamt haben die Russen diese Woche mehr als 1500 Kampfdrohnen, fast 900 gelenkte Luftbomben und 46 Raketen verschiedener Typen gegen die Ukraine eingesetzt», sagte er. Russland setzt die Angriffe ungeachtet der Kontakte mit der US-Regierung fort. Anfang Dezember hatte der russische Präsident Putin Witkoff und Trumps Schwiegersohn Jared Kushner empfangen. Der Kreml hatte die Gespräche als «konstruktiv» gelobt, Durchbrüche gab es aber keine.

Die europäischen Verbündeten der Ukraine werfen der Trump-Regierung vor, die Ukraine mit ihren Angeboten an Russland massiv zu schwächen. US-Waffenhilfe für die Ukraine hatte Trump schon früh in seiner Amtszeit fast vollständig eingestellt.

(Reuters)