Der Ostschweizer Konzern hat Beschwerde gegen die Vergabe des Riesenauftrags an den deutschen Konkurrenten eingelegt. Die SBB wiesen die Vorwürfe zurück: Siemens habe mit grossem Vorsprung gewonnen.Die SBB hatten am 7. November die Bestellung für 116 Doppelstockzüge für die Zürcher S-Bahn und die Westschweiz an Siemens vergeben. Der Auftrag hat ein Volumen von 2,1 Milliarden Franken. Hinzu kommt eine Option auf 84 weitere Züge, womit der Rahmenvertrag 200 Doppelstöcker im hochgerechneten Wert von 3,6 Milliarden Franken umfasst. Stadler-Patron Peter Spuhler sprach kurz darauf von einem Fehlentscheid und kündigte an, einen Rekurs zu prüfen.
Nun hat Stadler kurz vor Ablauf der Beschwerdefrist den Rekurs beim Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen eingereicht. Man könne die Bewertung der SBB auch nach vertiefter Analyse der Unterlagen nicht nachvollziehen, schrieb der Zughersteller am Freitag in einem Communiqué. Eine unabhängige Überprüfung der Vergabe sei angebracht. Zuvor hatten die CH-Media-Zeitungen über die Einsprache berichtet.
Stadler: Zu tief bewertet
Das Angebot von Stadler, das auf dem im täglichen Einsatz bewährten Doppelstockzug basiere, sei gegenüber einem Zug, der lediglich auf dem Papier existiere, zu tief bewertet worden. «Es ist für Stadler nicht nachvollziehbar, wie sich das siegreiche Angebot in bewerteten Kriterien wie beispielsweise Betriebskosten, Qualität, Instandhaltung, Nachhaltigkeit oder Serviceverträge abheben konnte», schrieb der Konzern.
Stadler habe in der Kategorie Nachhaltigkeit nur halb so viele Punkte wie Siemens erhalten. Dies, obwohl Stadler als einziger Anbieter den Zug vollständig in der Schweiz produzieren würde, hiess es. Rund 80 Prozent Wertschöpfung würden hierzulande anfallen.
Siemens hatte angekündigt, die Doppelstockzüge in der westdeutschen Stadt Krefeld herzustellen.
Für Stadler stelle sich zudem die Frage der Plausibilität: Welche Kriterien hätten dazu geführt, dass ein Zug, der erst auf dem Papier existiere, bessere Werte erhalte als ein seit vielen Jahren bewährter Doppelstockzug von Stadler, für den es belastbare Daten gebe?
«Solche und weitere offenen Fragen konnten auch in einem Debriefing-Gespräch mit der SBB nicht ausreichend geklärt werden», schrieb der Konzern. Die Preisdifferenz zum siegreichen Angebot von Siemens liege bei nur 0,6 Prozent.
SBB: Grosser Preisvorsprung von Siemens auf Stadler
Die SBB konterten die Kritik am Freitag in einer Stellungnahme: Der Preisvorsprung des deutschen Konzerns auf Stadler sei gross.
Die von Stadler genannte preisliche Differenz von 0,6 Prozent beziehe sich nur auf die Investitionskosten, betonten die SBB. Das Angebot von Siemens habe jedoch auch beim Betriebsaufwand, also den Kosten für Energie, Trassen und Instandhaltung, am besten abgeschnitten.
«Der Preisunterschied der Angebote ist signifikant: Er summiert sich über die ganze Lebensdauer von 25 Jahren auf einen dreistelligen Millionenbetrag», schrieben die SBB.
Kein Kopf-an-Kopf-Rennen
Siemens habe das vorteilhafteste Angebot eingereicht und deshalb die Ausschreibung gewonnen. Massgebend für den Entscheid sei die sachliche und unabhängige Bewertung der einzelnen Kriterien durch rund 100 Fachspezialisten der SBB gewesen.
«Die Auftragsvergabe war kein Kopf-an-Kopf-Rennen: Der Vorsprung von Siemens Mobility fiel klar aus», erklärte die SBB.
Zudem sei die Vergabe streng nach den rechtlichen Vorgaben abgelaufen, betonten die SBB. In der Politik und Öffentlichkeit hatte es heftige Kritik gegeben, die Bestellung ins Ausland vergeben zu haben.
Die SBB wehrten sich: Als Unternehmen im Bundesbesitz müsse die SBB den Auftrag zwingend an das «vorteilhafteste Angebot» vergeben. Die Bevorzugung inländischer Unternehmen sei gemäss dem Gesetz für öffentliche Beschaffungen nicht erlaubt. Ein Teil der Wertschöpfung fliesse aber auch bei diesem Projekt in die Schweiz, teilten die SBB mit.
«Stadler will keinen Heimatschutz»
Stadler betonte nun am Freitag in der Medienmitteilung, keinen Heimatschutz zu wollen und ihn auch noch nie gefordert zu haben: «Das Unternehmen stellt sich immer dem harten internationalen Wettbewerb und akzeptiert immer klare Resultate, die zu negativen Vergabeentscheiden führen. Stadler greift nur in Ausnahmefällen zum entsprechenden Rechtsmittel.»
Siemens erklärte in einer Stellungnahme, den Rekurs von Stadler zur Kenntnis genommen zu haben.
Dauer der Verzögerung noch nicht abschätzbar
Wie lange die Beschaffung der 116 Doppelstockzüge durch die Beschwerde verzögert werde, könne zum heutigen Zeitpunkt noch nicht abgeschätzt werden, schrieben die SBB: Man bedauere die entstehende Verzögerung. Eigentlich sollten die neuen Züge ab 2031 fahren.
(AWP)
