cash: Herr Braunschweiler, im Mai berichtet Sonova über das Geschäftsjahr 2013/14. Sind Sie bezüglich der Jahresziele auf Kurs?

Lukas Braunschweiler: Mit der Publikation der Halbjahreszahlen haben wir die Finanzziele gegen oben angepasst. Wir liegen gut auf Kurs.

Und wie steht es um die Langfristziele für 2016/17 beim EBITA und bei der Kapitalrendite (ROCE) aus?

Wir sind zuversichtlich. Die EBITA-Marge hat sich stetig nach oben entwickelt. Dies, weil sich die Investitionen in den Jahren 2009 bis 2011 nun auszahlen. Bei Advanced Bionics ist der Turnaround geschafft, und das Business mit dem Implantatmodell Lyric wird mittelfristig auch positiv werden. Bei der Kapitalverzinsung lagen wir im vergangenen Jahr über 20 Prozent, inklusive Goodwill. Das gesetzte mittelfristige Ziel im tiefen 30-Prozent-Bereich sollten wir schaffen.

Wie stark wächst der Hörgerätemarkt global?

Der Hörgerätemarkt wächst im Schnitt zwischen 2 bis 4 Prozent pro Jahr. Unsere Erhebungen zeigen im Moment eher in Richtung 4 Prozent. Europa liegt gesamthaft tendenziell am unteren Ende, mit Ausnahme von England und Deutschland – zwei Märkte, die sich stark entwickeln. Die USA liegt in etwa im Mittelfeld und Asien klar darüber. Dabei ist das Marktwachstum im Volumen und im Wert sehr ähnlich.

Und Sonova wird auch künftig stärker wachsen als der Weltmarkt?

Ja, unsere Umsatzannahme liegt im mittleren bis oberen einstelligen Prozentbereich.

Asien gilt als der Wachstumsmarkt für viele Produkte – auch für Hörgeräte?

Die Industrie hat fundamentale Wachstumstreiber. Zum einem das Bevölkerungswachstum, dann die relative Überalterung der Bevölkerung. Der Grossteil der Patienten leidet unter altersbedingter Schwerhörigkeit. Und die Gesundheitsversorgung vor allem in den aufstrebenden Märkten wird besser. Die Penetration im Markt ist tief. Nach WHO-Daten leiden etwa 15 Prozent der erwachsenen Weltbevölkerung an einem Hörverlust. Aber nicht mal drei Prozent der Menschheit hat eine akustische Korrektur. Und in den Schwellenländern wie China liegt die Quote im Promille-Bereich. Das zeigt, dass solche Märkte ein grosses Nachholbedürfnis haben. Wir reden hier von möglichen Wachstumsraten im hohen zweistelligen Prozentbereich.

Wie sieht Ihre China-Strategie aus?

Wir haben stark investiert. Sowohl in Produktionsstätten als auch in Manpower. Wir haben ein Team in China aufgebaut, das die Wachstumsstrategie umsetzt. In China basiert die Strategie nicht auf dem direkten Retail; wir wollen keine eigenen Geschäfte betreiben. Stattdessen verfolgen wir eine klare B2B-Strategie. Wir versuchen, über zentrale und provinzielle Ämter, aber auch über die private Anbieter in den Markt zu kommen. Wir können sagen, dass wir in diesem Geschäftsjahr bezüglich der Umsetzung der Strategie sehr gut auf Kurs sind.

Die seit einigen Monaten dauernde Konjunkturschwäche in China bereitet Ihnen keine Sorgen?

Man muss sehen, die Marktpenetration in China ist dermassen tief, da gibt es sehr viel Raum nach oben. China will das Gesundheitswesen weiter entwickeln und nimmt dafür viel Geld in die Hand. Hinzu kommt, dass die Unterstützung von Behinderten in China ein grosses Thema ist. Deshalb sind auch die Behinderten-Organisationen in China sehr stark und einflussreich. Von beiden Seiten kommen somit verstärkt Programme zur Unterstützung für Hörbehinderte. Diese Programme laufen unabhängig von der wirtschaftlichen Entwicklung.

Den Pharmaunternehmen leiden unter Budgetkürzungen diverser Staaten. Dies ist sicher auch ein Problem für Sonova.

Klar ist in Ländern, wo das Gesundheitswesen primär vom Staat organisiert und finanziert wird, die Gefahr für Umsatzrückgänge und Preisdruck höher, als in privat organisierten Märkten. Insofern sind wir froh über jeden Markt, der privatisiert wird. Solche Märkte sind grundsätzlich stabiler, und man kann mit den Angeboten besser arbeiten. Bestes Beispiel ist England. Der Markt wird zunehmend privatisiert und entwickelt sich überdurchschnittlich gut. Etwa ein Viertel unseres Umsatzes erwirtschaftet Sonova global in staatlich regulierten und den Rest in teil- oder vollprivatisierten Märkten.

Inwiefern betrifft Sonova das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative?

Von unseren rund 9500 Mitarbeitern sind zirka 1000 in der Schweiz tätig. Wir hatten aber schon vor der Personenfreizügigkeit keine Probleme, die Leute zu kriegen, die wir brauchen. Für uns spielt das nicht so eine Rolle, ob wir nun Kontingente haben oder nicht.

Mit der Mindestlohninitiative steht eine weitere Abstimmung an, welche die unternehmerische Freiheit einschränkt.

Bei Sonova sind wir von dieser Initiative nicht betroffen. Das hat marktliche und regionale Gründe. Am oberen Ende des Zürichsees ist das Lohnniveau generell höher als in anderen Regionen der Schweiz.

Sie halten somit am Forschungsplatz Schweiz definitiv fest?

Auf jeden Fall. Wir haben weltweit sechs Forschungsplätze, worunter der grösste in Stäfa ist. Weiter unterhalten wir weltweit vier Fabriken. Eine in Kalifornien, eine ganz wichtige in Stäfa, wo die Chips und die Spritzguss-Elemente hergestellt werden. In Vietnam und China werden die Hörgeräte zusammengebaut.

Der starke Franken plagte die Sonova in der Vergangenheit. Wie sieht die aktuelle Lage aus?

Wir erwirtschaften praktisch den gesamten Umsatz im Ausland und haben relativ viele Kosten in der Schweiz. Mit den heutigen Kursniveaus zum Euro können wir aber gut leben. Dieses Jahr schmerzen uns Währungseinbussen unter anderem auf dem Dollar aber auch bei anderen Währungen. Aber es ist bei weitem nicht so schlimm, wie in den Jahren 2010 und 2011, als wir allein durch Währungsverluste auf Stufe EBITA etwa 140 Millionen Franken ans Bein streichen mussten.

Sie machen rund eine halbe Milliarde Franken Umsatz in den USA. Ist das nicht ein Klumpenrisiko?

Amerika ist schlicht der grösste Markt für Hörhilfen, und es lief auch in Zeiten, wo die USA konjunkturell unten durch mussten gut für uns. Das Gesundheitswesen in den USA hat generell einen hohen Stellenwert. Ein Viertel unseres Umsatzes in den USA ist in den Veteran Affairs. Wir decken über die Hälfte dieses Geschäfts ab. Das US-Geschäft ist sehr konjunkturresistent.

Welches sind die grössten Risiken?

Es gibt Märkte, die ihre Rückerstattungspolitik rasch ändern können, wie dies in der Schweiz vor zwei Jahren der Fall war. Damals wurden die Versicherungsleistungen gekürzt. Kurz bevor die Kürzungen eintraten, nahm die Nachfrage nach Hörgeräten sprunghaft zu. Danach sank die Nachfrage deutlich. Nun scheint sich der Markt aber wieder zu erholen. Es gibt natürlich auch Produktrisiken. Ein Implantat wird von der US-Behörde FDA in die Medizinklasse 3  eingeteilt. Ein klassisches Hörgerät, das ausserhalb des Ohrs platziert wird, gehört in die Produktklasse 1.

Insofern ist das Risiko von juristischen Klagen bei Implantaten erhöht?

Ja, es handelt es sich um einen exponierten Markt für juristische Klagen. Mit der US-Tochter AB haben wir diesbezüglich Erfahrungen. Damals bei der Akquisition in 2009 haben wir einzelne Klagen geerbt. Derzeit sind wir daran, die letzten Fälle abzuarbeiten. 

Lyric befindet sich im Gehörgang und ist komplett unsichtbar für Dritte. Damit nimmt Sonova eine Pionierrolle ein. Was ist ihr Ziel mit Lyric hinsichtlich der Bruttomarge?

Bei Lyric liegt die Bruttomarge derzeit bei 55 Prozent. Das Ziel ist eine Marge von über 65 Prozent. Unsere Bruttomarge konzernweit liegt bei 69 Prozent. Bei Lyric handelt es sich um ein anderes Business-Modell, daher versuchen wir eine Bruttomarge zwischen 65 und 70 Prozent zu erreichen.

Der Preis für Lyric scheint mit 150 Dollar pro Monat und pro Ohr relativ hoch.

Es ist nicht billig, aber das Produkt ist eine High-End-Lösung, und wir sind die einzigen, die ein solches anbieten. In Zukunft, wenn sich das Produkt im Markt etabliert hat, werden wir über Preisanpassungen nachdenken müssen, um den Umsatz weiter zu beschleunigen. Allerdings ist die Preiselastizität in unsere Branche relativ gering. Preisreduktionen bringen in der Regel keine grossen Umsatzzugewinne über Volumina.

Fürchten Sie sich vor Kopien Ihres Newcomers Lyric 3? 

Nein, Lyric 3 zu kopieren ist relativ schwierig. Zum einen sind die Produkte durch Patente geschützt. Aber auch das Herstellungsverfahren ist komplex. Weiter bräuchte es grosse Bemühungen, das Business-Modell, so wie wir es für Lyric 3 aufgebaut haben, zu kopieren. Es wird Konkurrenz geben, aber nicht nur unbedingt aus der klassischen Hörgeräte-Industrie von unseren direkten Konkurrenten, sondern auch von der breiteren Medizinaltechnik-Industrie her, da diese Branche grundsätzlich Know-how hat, um so ein Produkt zu entwickeln.

Sich eine Hörschwäche einzugestehen fällt vielen schwer. 

Ja, das ist wohl die grösste Herausforderung der Branche. Am klassischen Hörgerät haftet ein Stigma an. In Ländern wie Frankreich wird für den Akustiker sogar noch der Name des Audioprothésiste verwendet. Das hilft sicherlich nicht, dieses Stigma zu überwinden. Aber mit unserm unsichtbaren Lyric 3 wird die Hemmschwelle deutlich sinken, weil es komplett unsichtbar ist.

Aber zuerst muss man den Schritt zum Audiologen wagen.

Zwischen dem Bemerken einer Hörschwäche und dem Kauf eines Hörgeräts vergehen im Schnitt sieben Jahre. Man kann ein Hörschwäche verheimlichen, indem man den Fernseher lauter macht, oder vermehrt nachfragt: Was hast du gesagt? Um diese Zeit zu verkürzen, gehen wir den Endkunden auf verschiedenen Wegen an. Zum einem arbeiten wir mit den Audiologen zusammen. Bei Lyric 3 schalten wir TV- und Internetwerbung. Und über unsere Web-Plattform Hearing Planet holen wird den Patienten gezielt ab, indem wir sie mit Informationen über Hörverlust und Hörgeräte versorgen und sie dann mit einem Audiologen in Kontakt bringen, falls sie bereit sind, diesen nächsten Schritt zu wagen.

Im cash-Video-Interview spricht Lukas Brunschweiler über das neue Implantant Lyric 3, das im Video zu sehen ist. Weiter äussert sich der Sonova-CEO zum Hörgerät der Zukunft und sagt, weshalb ihn die Branche fasziniert.

Das Gespräch mit Lukas Brunschweiler wurde am Rande der Audiologen-Konferenz 2014 vergangene Woche in Orlando (USA) geführt.

Lukas Braunschweiler (58) ist seit November  2011 CEO der Sonova. Zuvor war er CEO des Schweizer Technologiekonzerns RUAG. Von 2002 bis 2009 leitete er als Präsident und CEO das an der US-Technologiebörse Nasdaq kotierte Unternehmen Dionex. Zuvor war er von 1995 bis 2002 in der Schweiz und den USA in der Konzernleitung des Herstellers von Präzisionsinstrumenten Mettler Toledo in verschiedenen Positionen tätig. Lukas Braunschweiler ist zudem Verwaltungsrat-Mitglied der Schweiter und der Tecan.