Die Schweizerische Nationalbank (SNB) dürfte am Donnerstag nach übereinstimmender Einschätzung von Ökonomen zum dritten Mal in Folge ihren Leitzins anheben. Eine Mehrheit von 18 von 28 befragten Volkswirten erwartet dabei, dass die Währungshüter um Notenbankchef Thomas Jordan mit einer Zinserhöhung um 0,5 Prozentpunkte auf 1,0 Prozent weniger forsch vorgehen werden als im Juni. Doch eine signifikante Minderheit von neun Befragten prognostiziert eine Anhebung erneut um 0,75 Prozentpunkte, wie aus einer am Montag veröffentlichten Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters hervorgeht. Ein Ökonom rechnet mit einem Zinsschritt von 0,25 Prozentpunkten.

Aufgeschreckt von der Gefahr einer ausufernden Inflation hatte die SNB im Juni erstmals nach mehr als sieben Jahren geldpolitischen Beharrens den Leitzins erhöht und sich im September mit einem Rekord-Zinsschritt als eine der letzten Zentralbanken weltweit von Negativzinsen verabschiedet. Zwar ist die im internationalen Vergleich noch immer moderate Teuerung in der Schweiz in den letzten Monaten etwas zurückgegangen. Mit 3,0 Prozent im November liegt sie aber immer noch deutlich über dem von der Notenbank angepeilten Zielbereich von null bis zwei Prozent.

SNB-Präsident Jordan sprach zuletzt dann auch von einer "grosse Wahrscheinlichkeit" für eine weitere Straffung der Geldpolitik. "Die SNB befindet sich trotz der Zinserhöhung von 0,75 Prozentpunkten im September immer noch im expansiven Zinsbereich", erklärte Thomas Stucki, Anlagechef bei der St. Galler Kantonalbank.

Dass zahlreiche Ökonomen einen größeren Zinsschritt der SNB für möglich halten, ist auch der ausgeweiteten Zinsdifferenz der Schweiz zum Euro-Raum geschuldet. Die EZB, die am Donnerstag ebenfalls die Zinssitzug abhält, hat die Zinsen bislang um 200 Basispunkte angehoben, die SNB lediglich um 125 Basispunkte. Höhere Zinsen im Ausland machen den Franken für Investoren weniger attraktiv, und die SNB hat zuletzt auf die inflationsdämpfende Wirkung einer starken Landeswährung gesetzt.

Wo liegt der Höchststand der SNB-Zinsen?

"Unserer Ansicht nach wird die SNB das Ergebnis der EZB-Sitzung nicht vorher kennen und möchte vielleicht nicht riskieren, dass die Zinsdifferenz zu groß wird, zumal die EZB mit einer größeren Anhebung überraschen könnte", sagte Felix Hüfner, Ökonom bei der UBS, der mit einer Zinserhöhung um 0,5 Prozentpunkte rechnet. "Ausserdem glauben wir, dass sich die SNB im Zweifelsfall eher für die falkenartige (hawkish) Variante entscheiden wird."

Christian Schulz von der Citigroup geht davon aus, dass die SNB die Zinsen am Donnerstag um 75 Basispunkte anheben wird. "Die Zinsdifferenzen sind bereits historisch groß, und da weniger Sitzungen zur Verfügung stehen, muss die SNB größere Schritte unternehmen, um Schritt zu halten", sagte der Ökonom. Die reguläre geldpolitische Lagebeurteilung des dreiköpfigen SNB-Direktoriums finden vier mal im Jahr jeweils im März, Juni, September und Dezember statt.

Im März rechnen die befragten Volkswirte mit einer weiteren Anhebung des SNB-Leitzinses im Schnitt um 50 Basispunkte auf 1,50 Prozent. Damit dürfte dann der Höchststand erreicht werden - 125 Basispunkte unter dem erwarteten EZB-Einlagensatz. Gegenüber dem Euro dürfte der Franken einer Reuters-Umfrage zufolge in den kommenden Monaten um weitere 1,5 Prozent sinken, nachdem er seit September mehr als drei Prozent abgewertet hat. Eine andere Meinung hat Thomas Gitzel^, Chefökonom bei der VP Bank. "Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es bis auf 2 Prozent geht. Die SNB ist auf Preisstabilität bedacht und wird deshalb weiter an der Zinsschraube drehen. Ein positiver realer Leitzins ist deshalb das Ziel. Die Inflationsraten werden im Jahr 2023 sinken und die Leitzinsen steigen", sagte Gitzel im Interview mit cash.ch letzte Woche.

EZB wird sich wohl von Mammut-Zinserhöhungen verabschieden

Die EZB wird auf ihrer Zinssitzung am Donnerstag aus Sicht vieler Experten wohl ebenfalls auf eine weniger aggressive Gangart umschalten und sich von Mammut-Zinserhöhungen verabschieden. Denn zuletzt hatte sich der Inflationsschub im Euro-Raum merklich abgeschwächt. Die Verbraucherpreise waren im November nicht mehr ganz so rasant gestiegen. Das schürt Hoffnungen, dass der Inflationshöhepunkt womöglich erreicht ist. Die meisten Volkswirte gehen deshalb davon aus, dass die Europäische Zentralbank (EZB) auf dem Zinstreffen am 15. Dezember die Schlüsselzinsen nur noch um 0,50 Prozentpunkte anheben wird. Noch im Oktober und September hatte sie die Sätze jeweils in Jumbo-Schritten um 0,75 Prozentpunkte nach oben gesetzt.

Die europäischen Währungshüter liessen keine Zweifel darüber aufkommen, dass man sich weiter entschlossen gegen die unerwünscht hohe Inflation stemmen werde, meint DZ-Bank-Analyst Christian Reicherter. "Zugleich sind aber Hinweise auszumachen, welche auf eine Drosselung des Zinserhöhungstempo hindeuten", führte er aus. So wachse bei den Währungshütern allmählich die Zuversicht, wonach das Schlimmste des Inflationsschubs bereits überstanden sein könnte. Reicherter rechnet mit einer Zinsanhebung um 0,50 Prozentpunkte. Der Einlagensatz, den Banken für das Parken überschüssiger Gelder von den Währungshütern erhalten, würde dadurch auf 2,0 Prozent steigen, der Leitzins auf 2,50 Prozent.

Die Inflationsrate im Euro-Raum hatte sich im November auf 10,0 von 10,6 Prozent im Oktober verringert - es war der erste Rückgang seit Mitte 2021. Und auch die Produzentenpreise in der Industrie stiegen zuletzt deutlich weniger rasant. Sie erhöhten sich im Oktober nur noch um 30,8 Prozent. Im September hatte das Plus noch bei 41,9 Prozent gelegen. EZB-Chefökonom Philip Lane hatte unlängst gesagt, er sei einigernaßen zuversichtlich, dass die Inflation wahrscheinlich nahe dem Gipfelpunkt sei.

EZB wird sich Tür für weitere Zinserhöhungen offen halten

"Für ein geringeres Zinserhöhungstempo sprechen auch die aktualisierten Inflationsprojektionen der EZB", sagt Commerzbank-Chefökonom Jörg Krämer. Zur Zinssitzung liegen den Währungshütern neue Konjunkturprognosen der EZB-Volkswirte zu Inflation und Wirtschaftswachstum vor. Die Inflationsprognosen würden am aktuellen Rand zwar erneut angehoben, mittelfristig aber praktisch unverändert bleiben. Krämer rechnet damit, dass die dann erstmals veröffentlichte Prognose zur Inflation 2025 sogar unter der Schwelle von zwei Prozent bei 1,8 Prozent liegen wird. Die EZB strebt mittelfristig zwei Prozent Inflation als Optimalwert für die Wirtschaft im Euro-Raum an. Die Tür für weitere Zinserhöhungen dürfte sich die EZB am Donnerstag den Experten zufolge offen halten.

Mit Spannung wird am Finanzmarkt zudem erwartet, was die EZB zum geplanten Bilanzabbau - in der Fachwelt quantitative Straffung oder kurz QT genannt - beschließen wird. Durch die jahrelangen Anleihenkäufe ist die EZB-Bilanz inzwischen auf rund 8,5 Billionen Euro angeschwollen - rund fünf Billionen Euro entfallen auf Bestände an aufgekauften Staatsanleihen und anderen Bonds. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte bereits in Aussicht gestellt, dass die Notenbank auf der Zinssitzung dazu wichtige Weichen stellen wird. Der Bilanzabbau soll aus ihrer Sicht maßvoll und vorhersehbar gestaltet werden.

Dabei hat die EZB zunächst die Anleihen-Bestände im Volumen von 3,3 Billionen Euro aus dem eingestellten Kaufprogramm APP im Blick, mit dem sie ab 2015 die Konjunktur und die Inflation anschieben wollte. EZB-Vizechef Luis des Guindos hatte sich für ein passives Vorgehen ausgesprochen, bei dem die EZB auslaufende Anleihen nicht mehr im Bestand ersetzt, wie es gegenwärtig noch der Fall ist. Die Bondbestände würden dadurch passiv abgeschmolzen.

"Angesichts des größeren Risikos einer Fragmentierung der Euro-Märkte erwarten wir in unserem Basisszenario, dass die EZB auf die Option aktiver Verkäufe verzichtet", meinen auch die Volkswirte der Deutschen Bank. Bundesbank-Präsident Joachim Nagel hatte sich für einen Start von QT im ersten Quartal 2023 ausgesprochen. Von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Volkswirte gehen davon aus, dass die Euro-Wächter 2023 ihre Bondbestände um 175 Milliarden Euro abbauen werden. 

(Reuters/cash)