Wovon hängt die Schweizer Stromversorgungssicherheit ab?
Die Schweizer Stromversorgung wird neben der inländischen Produktion - vor allem aus Wasser- und Kernkraft - stark von der Stromproduktion der Nachbarländer beeinflusst. In den vergangenen zwanzig Jahren musste die Schweiz im Winter 18 Mal Strom importieren, nur zwei Mal gab es einen Exportüberschuss. Solange Importe möglich und günstig sind und die umliegenden Länder selber keine Engpässe zu verzeichnen haben, stellt dies kein grosses Problem dar. Die Witterung, also Temperaturen, Niederschläge und Sonnenscheindauer, hat einen wachsenden Einfluss auf das europäische Stromangebot. Das Wetter hat sowohl Auswirkungen auf die Stromnachfrage als auch auf die Stromproduktion, insbesondere auf den verfügbaren Strom aus erneuerbaren Energien - auch, weil der Anteil von Solarstrom in der Schweiz wegen des Photovoltaikausbaus auf Dächern laufend zunimmt, wenn auch auf tiefem Niveau.
Wie lief es im vergangenen Winter 2024/2025?
Laut der unabhängigen staatlichen Aufsichtsbehörde im Elektrizitätsbereich, der Elektrizitätskommission (Elcom), war die Stromversorgungssicherheit im vergangenen Winter durchgehend gewährleistet. Das lag vor allem an der hohen Verfügbarkeit französischer Kernkraftwerke. Dafür wurde in Europa deutlich weniger Windenergie erzeugt, und die Preise für kurzfristig gehandelten Strom im sogenannten Spotmarkt waren hoch. Die Schweiz importierte aus diesem Grund weniger Strom als im langjährigen Durchschnitt. Deshalb entleerten sich die Schweizer Speicherseen zu Beginn des Winters deutlich schneller als in den Vorjahren. Dennoch lag der Restspeicherstand am Winterende noch deutlich über der vorab beschafften Wasserkraftreserve, wie die Elcom schreibt.
Was ist die Wasserkraftreserve?
Diese Reserve hatte die Schweiz als Präventivmassnahme für kritische Versorgungssituationen geschaffen. Sie ist eine Art Stromvorrat, der in Form von Wasser in Stauseen gespeichert ist. Wenn es zu wenig Strom aus anderen Quellen gibt, insbesondere im Winter, kann dieses Wasser kontrolliert zur Stromproduktion eingesetzt werden. So bleibt das Stromnetz auch in Krisenzeiten stabil.
Wie lautet die Prognose für den kommenden Winter 2025/2026?
Die Schweiz ist mit Blick auf die Stromversorgung für den kommenden Winter grundsätzlich gut aufgestellt, wie die Elcom schreibt. Jedoch gibt sie für den vierten Winter nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs und der damit einhergehenden Energiekrise keine vollständige Entwarnung. Es gebe weiterhin Risiken - vor allem im Zusammenhang mit der Wiederbefüllung europäischer Gasspeicher. Diese Speicher weisen aktuell einen tiefen Füllstand aus. Aufgrund fehlender Anreize auf dem Markt bestehen laut der Elcom «Unsicherheiten über das Tempo und das Ausmass einer Wiederbefüllung». Zudem gebe es im Kontext der geopolitischen Entwicklungen weiterhin Unwägbarkeiten im globalen Gasmarkt. Dennoch zeigte sich Elcom-Mitglied Jürg Rauchenstein «vorsichtig optimistisch» und «zuversichtlich, dass wir jederzeit importieren können, wenn es nötig ist».
Wie sieht es mittel- und langfristig aus?
Laut der Aufsichtsstelle des Bundes bestehen kurz-, mittel- und langfristig nach wie vor Unsicherheiten. So sei beispielsweise unklar, wie viel Strom importiert werden kann, wie schnell der Ausbau der einheimischen Energieproduktion vorwärtsgeht und wie stark der Stromverbrauch ansteigt. Deshalb seien die Massnahmen für Reservekapazitäten weiterzuführen. Das Festhalten an dieser Empfehlung begründet die Aufsichtsbehörde mit den Resultaten einer Mittelfrist-Analyse, die die Netzbetreiberin Swissgrid durchgeführt hat.
Wie lautet diese Empfehlung?
Aus Sicht der Elcom sind weiterhin vorsorgliche Massnahmen in Form der Winterreserve - also einer Wasserkraftreserve sowie einer thermischen Reserve - angezeigt. Nötig sind laut der Behörde bis ins Jahr 2030 Reserven im Umfang von mindestens 500 Megawatt (MW) und bis ins Jahr 2035 von 700 bis 1400 MW. Wegen der anhaltenden Unsicherheiten sei ein etappiertes Vorgehen sinnvoll, um den Zubau von Reserven bei Bedarf anpassen zu können. Derzeit sei die Schweiz mit verschiedenen kurzfristigen Massnahmen für den Notfall (Wasserkraftreserve, Reservekraftwerke und Notstromaggregate-Pooling) zwar sehr gut aufgestellt. Es bleibe aber ein Restrisiko.
Welche weiteren Massnahmen empfiehlt die Aufsicht?
Langfristig braucht es laut Elcom-Präsident Werner Luginbühl einen schnelleren Zubau einheimischer Energie. «Es ist besorgniserregend, wenn man sieht, dass es einfach nicht vorwärtsgeht.» Auch die Planung allfälliger neuer Reservekraftwerke brauche Zeit und müsse frühzeitig in Angriff genommen werden. Schliesslich braucht es laut Luginbühl ein Stromabkommen mit der EU. «Damit würden wir uns die Importkapazitäten sichern, und wir hätten eine stabile und längerfristig verlässliche Situation.» Zwar könne sich die Schweiz mit technischen Abkommen ähnliche Importkapazitäten sichern. Diese Abkommen müssten aber jedes Jahr verlängert werden.
Welche anderen Risikofaktoren bestehen?
Die Elcom weist auf eine zunehmend unausgeglichene Systemstabilität im Stromnetz hin. In den vergangenen Monaten habe Swissgrid deswegen zehn Mal ins Netz eingreifen müssen, sagte Elcom-Mitglied Jürg Rauchenstein. Ursache dafür seien «ungenügende Prognosen» von Netzversorgern gewesen, was die Photovoltaikproduktion betrifft. Das verursache hohe Kosten. Die Aufsichtsbehörde evaluiert nach eigenen Aussagen derzeit Massnahmen. «Wenn die Entwicklung weitergeht, wird es zu einem Sicherheitsrisiko», sagte Rauchenstein.
Ist ein Blackout wie kürzlich in Spanien wahrscheinlich?
«Das Blackout-Risiko in der Schweiz kann beispielsweise aufgrund von Cyberangriffen nicht ausgeschlossen werden, ist aber etwas geringer als in Spanien und Portugal», sagte Elcom-Präsident Werner Luginbühl. Die Schweiz sei viel besser eingebettet in das gesamteuropäische System. Sie habe über vierzig Verbundleitungen ins Ausland, Spanien nur deren vier.
Wie entwickeln sich die Strompreise?
«Es zeichnen sich tendenziell sinkende Preise ab», sagte Elcom-Geschäftsführer Urs Meister. Aktuell seien die Preise auf den Strommärkten stabil. Es könne davon ausgegangen werden, dass sich die Energietarife zwar auf höherem Niveau als vor der Krise einpendelten, jedoch weit entfernt blieben vom Niveau während der Krise.
(AWP/cash)