Städte im ganzen Land arbeiteten deshalb auch am Dienstag unter Hochdruck daran, zusätzliche Klinik-Betten und weitere Behandlungskapazitäten zu schaffen. Die Entscheidung der Regierung von Präsident Xi Jinping, das zuvor äusserst strenge Regime zu lockern, trifft das Gesundheitssystem völlig unvorbereitet. Auch das Ausland zeigt sich besorgt, nicht zuletzt wegen möglicher Auswirkungen auf Wirtschaft und Handel. Ein Sprecher des US-Auaaenministeriums verwies auf die Gefahr, dass eine groaaflächige Covid-Ausbreitung in China zu weiteren, gefährlichen Mutationen des Virus führen könnte. Das sei "eine Bedrohung für die Menschen überall". Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sprach auf Twitter von einer "sehr besorgniserregenden Lage in China".

Nach dem Ausbruch der Pandemie Anfang 2020 hat China teils ganze Städte schon bei kleineren Corona-Ausbrüchen abgeriegelt. Doch Anfang Dezember wurde der strikte Kurs gelockert, nachdem bei Protesten gegen die Beschränkungen auch der Sturz von Präsident Xi gefordert worden war - ein in China zuvor unerhörter Vorgang. Nun sind einige Kliniken überfüllt, Apotheken wie leergefegt, und viele Menschen haben sich selbst isoliert. In Peking, das sich zum Hauptinfektionsherd entwickelt hat, fuhren Pendler - teils in ihre Masken hustend - am Dienstag wieder mit den Zügen zur Arbeit. Die Straaaen belebten sich, nachdem sie zuletzt weitgehend menschenleer gewesen waren.

In Shanghai hingegen waren die U-Bahnen nur halb gefüllt. "Die Menschen bleiben weg, weil sie krank sind oder Angst haben, krank zu werden", sagte Yang, ein Trainer in einem fast leeren Fitnessstudio in der Stadt. "Aber ich glaube, dass sie jetzt vor allem deshalb wegbleiben, weil sie tatsächlich krank sind."

"Jede neue Epidemiewelle in einem anderen Land birgt das Risiko neuer Varianten, und dieses Risiko ist umso höher, je grösser der Ausbruch ist", umschrieb Alex Cook, Experte für öffentliche Gesundheit an der National University of Singapore, die Gefahren der Öffnung auch für die Weltgemeinschaft. "Und die derzeitige Welle in China hat das Zeug dazu, gross zu werden." Allerdings müsse China unweigerlich eine grosse Corona-Welle durchmachen, wenn es einen endemischen Zustand seiner Bevölkerung und eine Zukunft ohne Abriegelungen bei Corona-Ausbrüchen erreichen wolle.

Zweifel an Chinas Statistiken

Die Regierung meldete am Dienstag fünf neue Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus, nach zwei am Montag. Es waren den offiziellen Angaben zufolge die ersten Corona-Toten seit Wochen. Insgesamt hat China mit seinen rund 1,4 Milliarden Einwohnern seit Ausbruch der Pandemie Anfang 2020 bislang lediglich 5242 coronabedingte Todesfälle gemeldet - eine im weltweiten Vergleich verschwindend geringe Zahl. Allein die USA haben mehr als eine Million Corona-Tote gemeldet, in Deutschland sind es mehr als 160'000. Es gibt aber zunehmend Zweifel an Chinas Statistiken. So standen in Peking Sicherheitskräfte am Eingang eines Krematoriums, wo Reuters-Journalisten noch am Samstag viele Leichenwagen und Arbeiter in Schutzanzügen gesehen hatten, die Tote hinein trugen. Einige Gesundheitsexperten schätzen, dass 60 Prozent der Bevölkerung in China - das entspricht zehn Prozent der Weltbevölkerung - in den kommenden Monaten infiziert werden und mehr als zwei Millionen Menschen sterben könnten.

Das Virus belastet auch Chinas Wirtschaft, die in diesem Jahr wohl um nur drei Prozent wachsen wird - das geringste Plus seit fast einem halben Jahrhundert. Die Erkrankung von Arbeitern und Lastwagenfahrern bremst die Produktion und reisst Lücken in die Logistik. Das ist auch weltweit zu spüren.

Gesundheitsminister Lauterbach verwies auf Twitter auf einen Beitrag, wonach eine Corona-Welle mit Millionen Toten wohl in den nächsten 90 Tagen über China kommen werde. "Dies ist nur der Anfang", hiess es in dem geteilten Tweet. Dort war auch ein Video verlinkt, das bewusstlose Menschen an Beatmungsgeräten in eng an eng gestellten Klinik-Betten und zum Teil auch auf dem Fußboden liegend zeigte. 

(Reuters)