"Wenn wir das alles richtig machen, dann liegt vor uns ein sozialdemokratisches Jahrzehnt in Deutschland, aber auch in Europa", hatte der heutige SPD-Chef Lars Klingbeil selbstbewusst im Dezember 2021 gesagt. In den Monaten danach traf sich der neue SPD-Kanzler Olaf Scholz wiederholt mit seinen sozialdemokratischen Kolleginnen und Kollegen etwa aus Schweden, Finnland, Spanien und Portugal, um sich in der Europapolitik abzustimmen.

"Aber jetzt wird es in Europa einsam um Scholz und die SPD", sagt Nicolai von Ondarza, Europa-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), zu Reuters und verweist auf das spanische Regionalwahlergebnis und die angesetzten Neuwahlen. Nur eineinhalb Jahre nach dem Regierungsantritt erlebt Scholz, wie eine Sozialdemokratin nach der anderen abgewählt wird und rechtspopulistische Parteien Auftrieb haben.

In vielen Ländern punkten bei Wahlen dabei sowohl konservative als auch Rechtsaussen-Parteien. In Italien wurde Giorgia Meloni von der postfaschistischen Partei "Geschwister Italiens" sogar Regierungschefin. In Schweden regiert ein konservativer Politiker mit den rechten Schweden-Demokraten. In Finnland kann die Rechtspartei "Finnen" Königsmacher werden.

Und die Umfragewerte sehen nicht nur in Spanien nach der Regionalwahl für Ministerpräsident Pedro Sanchez, sondern auch in Portugal für Regierungschef Antonio Costa schlecht aus. In Österreich ist die FPÖ in Umfragen stark, in Deutschland verzeichnet die AfD Rekordergebnisse. Laut einer neuen Forsa-Umfrage liegt sie nun bei 17 Prozent.

Die Gründe für das Erstarken sieht von Ondarza vor allem darin, dass es Regierungen in Zeiten hoher Inflation und sinkender Reallöhne schwer hätten, Zustimmung zu erhalten. "Sozialdemokratische Parteien in Europa haben offenbar noch keine Antwort auf die hohen Lebenshaltungskosten gefunden", sagt er. Die Unterstützung der EU-Regierungen für die Ukraine sieht von Ondarza dagegen nicht verantwortlich für den Aufschwung der Rechten.

Denn anders als die AfD und die FPÖ hielten die meisten Rechtspopulisten in der EU eher Abstand zu Russland. Meloni etwa steht zu den Waffenlieferungen an die Ukraine und EU-Sanktionen gegen Russland. In Schweden und Finnland sorgte das Bedrohungsgefühl vor Russland dafür, dass auch die Rechtsaussen für eine Nato-Beitritt der skandinavischen Länder waren.

Schleichende Veränderung der Agenda

Auch den Migrationsdruck macht von Ondarza zumindest mitverantwortlich für den schleichenden politischen Umschwung in Europa. "Das Thema wird von den Rechtsparteien sicher verstärkt bei der Europawahl 2024 nach vorne gespielt", erwartet er. Damit verschiebt sich das Machtgefüge in der EU: Denn die konservative EVP-Parteienfamilie, zu der auch CDU und CSU gehören, scheint mittlerweile klar stärkste Kraft in der EU zu sein, was sich auf die Besetzung der Spitzenposten nach der Europawahl auswirken dürfte.

Sehr stark geworden ist auch die nationalkonservative Parteienfamilie EKR, zu der etwa Melonis Partei und die nationalkonservative PiS aus Polen gehören. "Man muss sehen, inwieweit die EKR die Konsolidierung des rechten Spektrums gelingt", meint von Ondarza und verweist auf den möglichen Einfluss auf die Besetzung der EU-Institutionen nach der Europawahl.

Der Rechtsruck bringt noch eine tektonische Verschiebung mit sich, weil Tabus bei der Zusammenarbeit gebrochen werden: "Nach Italien, Schweden und Finnland droht in Spanien der nächste Pakt zwischen Konservativen und der extremen Rechten in Europa", kritisiert etwa Achim Post, SPD-Fraktionsvize im Bundestag und gleichzeitig Generalsekretär der europäischen Sozialisten. "Dies wäre ein Jahr vor der Europawahl nichts weniger als die Aufkündigung des pro-europäischen Grundkonsenses der demokratischen Kräfte in Europa."

Die Wahl in Spanien sei deshalb "ein Moment der Wahrheit" für die Konservativen in Europa, fügt Post hinzu und fordert CDU-Chef Friedrich Merz auf, eine Brandmauer gegen eine Kooperation mit den Rechtspopulisten zu ziehen - nicht nur in Deutschland.

Ob dies allerdings etwa bei der Benennung der nächsten EU-Kommissionspräsidentin gelingt, ist fraglich. Denn dazu müssen sich die stärksten Parteienfamilien im EU-Rat der Regierungschefs und im Europäischen Parlament nun einmal absprechen. Die Europa-Expertin des European Council on Foreign Relations (ECFR), Jana Puglierin, verweist zudem darauf, dass der Rechtsruck möglicherweise noch nicht beendet ist. Denn die regierende PiS-Regierung macht sich Hoffnung im Herbst wiedergewählt zu werden - auch dank deutlich antideutscher Töne und trotz harscher Kritik der EU und der USA an der Einschränkung rechtsstaatlicher Prinzipien wiedergewählt.

Und hinter vorgehaltener Hand verweist man in Regierungskreisen in Berlin mit Sorge darauf, dass völlig offen ist, welche politische Kraft beim wichtigsten Partner Frankreich nach Emmanuel Macron an die Macht kommt. Sollte Marine Le Pen vom rechtsradikalen Rassemblement National Präsidentin werden, dürfte sich die gesamte Statik der EU ändern. Als kleiner Trost gilt derzeit nur, dass in Frankreich erst 2027 ein neuer Präsident gewählt wird.

(Reuters)