Die Europäische Zentralbank (EZB) hält ihren Leitzins angesichts einer Inflationsrate nahe ihrem Zielwert konstant. Den wichtigen Einlagensatz beliess der EZB-Rat um Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag bei 2,0 Prozent. Darüber steuert die EZB massgeblich ihre Geldpolitik. Es ist bereits die vierte Zinspause in Folge. Von Mitte 2024 bis Mitte 2025 wurde der Leitzins wegen sinkender Inflationsrisiken von vier auf zwei Prozent halbiert.
Finanzexperten sagten dazu in ersten Reaktionen:
MICHAEL HEISE, CHEFÖKONOM HQ TRUST:
«Es gibt momentan einfach keinen Anlass, die Zinsen zu verändern. Die Konjunktur ist leicht aufwärtsgerichtet und die Inflation stabil in der Nähe des mittelfristigen Zwei-Prozent-Ziels der Notenbank. Das dürfte auch 2026 so bleiben. Stabilität dürfte zum neuen Credo der Zinspolitik in 2026 werden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Einlagensatz von zwei Prozent auch am Jahresende 2026 noch gültig ist. Zinserhöhungen würden eine deutlich negative Überraschung bei der Inflation voraussetzen. Dazu sollte es jedoch nicht kommen, denn bei absehbar moderatem Lohnanstieg, etwas verbesserter Produktivität und massiver Konkurrenz, unter anderem durch Anbieter aus China, dürfte kein starker Preisauftrieb drohen.»
SILKE TOBER, GEWERKSCHAFTSNAHES INSTITUT FÜR MAKROÖKONOMIE UND KONJUNKTURFORSCHUNG:
«Eine Zinssenkung war auf der heutigen EZB-Sitzung nicht zu erwarten, sie ist aber überfällig. Die Inflationslage im Euroraum ist entspannt, während die starke Euro-Aufwertung und die hohen US-Zölle die Wirtschaft in Deutschland und im Euroraum insgesamt belasten. Dennoch verharrt die EZB seit Juni in einer Wartehaltung.»
VOLKER TREIER, CHEFANALYST DIHK:
«Mit der Zinspause liefert die EZB heute das, was die Unternehmen in Deutschland am dringendsten brauchen: Verlässlichkeit. Weil die Inflationsrate um den Zielwert liegt, bleiben auch die relevanten Zinssätze unverändert. Das ist eine willkommene Atempause für die Wirtschaft, weil damit auch die Finanzierungskosten stabil bleiben. Die Unternehmen haben von dieser Seite her die notwendige Sicherheit, um Investitionen zu planen. Wir dürfen uns aber nichts vormachen: Eine Zinspause ist kein Konjunkturprogramm und sie ersetzt auch keine strukturellen Reformen. Der Ball liegt nun im Feld der Wirtschafts- und Finanzpolitik und der Unternehmen selbst.»
ULRICH WORTBERG, HELABA:
«Am Tonfall der EZB hat sich wenig geändert: Sie vermeidet eine Festlegung auf einen festen Zinspfad und entscheidet weiterhin von Sitzung zu Sitzung - stets im Lichte der aktuellen Datenlage. Einer Zinssenkung im ersten Quartal des kommenden Jahres wird marktseitig eine nur sehr geringe Wahrscheinlichkeit beigemessen. Auch wir gehen davon aus, dass an der derzeitigen Geldpolitik vorerst festgehalten wird.»
JÖRG KRÄMER, COMMERZBANK-CHEFVOLKSWIRT:
«Hoffentlich bleibt die EZB weiter standhaft und senkt ihre Zinsen nicht, wenn die Inflation nach der Jahreswende wegen eines Basiseffekts vorübergehend unter das Ziel von zwei Prozent fällt. Der gegenwärtige EZB-Einlagensatz von zwei Prozent ist ohnehin bereits niedrig und schiebt die Konjunktur und langfristig auch die Inflation an. Ausserdem bewegt sich die Teuerung ohne die stark schwankenden Preise für Energie und Nahrungsmittel langsamer auf das Inflationsziel zu, als die EZB erwartet hatte.»
LENA DRÄGER, KIEL INSTITUT FÜR WELTWIRTSCHAFT (IFW):
«Die abwartende Geldpolitik ist folgerichtig in der aktuellen wirtschaftlichen Situation der Euro-Zone und bewahrt gleichzeitig die Flexibilität, Zinsen nach oben oder nach unten anpassen zu können. Diese Flexibilität sollte sich die EZB in der weiter sehr hohen wirtschaftlichen und politischen Unsicherheit bewahren und daher bei ihrem 'Meeting-by-meeting'-Entscheidungsansatz bleiben.
EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat jüngst angemerkt, dass eine weitere Zinssenkung aktuell nur aufgrund eines grösseren negativen ökonomischen Schocks erfolgen würde. EZB-Ratsmitglied Isabel Schnabel erwähnt gleichzeitig mögliche Aufwärtsrisiken für die Inflation in der Euro-Zone aufgrund von anhaltend hohen Preissteigerungen bei Dienstleistungen, hohen Lohnsteigerungen und erhöhten Inflationserwartungen von Haushalten. Dies würde eher für eine Zinsanhebung als nächsten Zinsschritt sprechen. Beide betonen jedoch, dass die Zinsen in der Euro-Zone aktuell passend zum Mandat der Preisstabilität sind und damit eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese länger konstant gehalten werden.»
JÖRG ASMUSSEN, HAUPTGESCHÄFTSFÜHRER DES GESAMTVERBANDS DER DEUTSCHEN VERSICHERUNGSWIRTSCHAFT (GDV) UND EX-EZB-DIREKTOR:
«Die Entscheidung der EZB, den Leitzins unverändert zu lassen, ist gut begründet. Die Inflation lag im November in der Euro-Zone bei 2,2 Prozent, also weiter knapp über dem Zwei-Prozent-Ziel. Gleichzeitig zeigt die jüngste Entwicklung, dass die europäische Industrieproduktion wieder zugelegt hat, ein wichtiges Zeichen für eine sich festigende Konjunktur nach einer längeren Schwächephase. Beides spricht für Kontinuität. Spannend wird, wann und wie weit die EZB im nächsten Jahr die Zinsen anheben wird.»
GIANLUIGI MANDRUZZATO, SENIOR ÖKONOM VON EFG:
«Die EZB hat die Zinsen unverändert gelassen, da die Inflation weiterhin knapp über dem Zielwert von 2 Prozent liegt und die Wachstumsaussichten sich zwar zuletzt verbessert haben, die Unsicherheit jedoch weiterhin hoch bleibt. Die neuen makroökonomischen Prognosen deuten darauf hin, dass es kurzfristig wenig Spielraum für eine weitere Lockerung gibt und dass die Risiken für die EZB-Zinsen eher nach oben tendieren. Eine Änderung der geldpolitischen Ausrichtung scheint nicht unmittelbar bevorzustehen. Wenn sich das Szenario jedoch wie erwartet entwickelt, dürfte dies ab der zweiten Hälfte des Jahres 2026 wieder ein Thema werden.»
(Reuters)
