Der SNB-Leitzins werde um 0,25 Prozentpunkte auf 1,50 Prozent gesenkt, teilte die Notenbank am Donnerstag mit. Von Reuters im Vorfeld der vierteljährlichen geldpolitischen Lagebeurteilung der SNB befragte Ökonomen hatte mehrheitlich einen unveränderten Schlüsselzins prognostiziert.

Hier die Expertenstimmen zur geldpolitischen Lagebeurteilung der SNB:

JULIEN STÄHLI, BONHÔTE

Die SNB hat den Krieg gegen die Inflation wahrscheinlich gewonnen, aber nur, um wieder in ihren alten Kampf zurückzufallen: den Kampf gegen den starken Franken. Politische Stabilität, eine im internationalen Vergleich sehr geringe Staatsverschuldung, eine Arbeitslosenquote nahe der Vollbeschäftigung und eine widerstandsfähige Wirtschaft - all diese Trümpfe der Schweizer Wirtschaft ebnen den Weg für einen starken Franken.

Die SNB hat ihre Devisenreserven in den letzten zwei Jahren abgebaut und dazu beigetragen, dass ihre Bilanz seit dem Mitte 2022 erreichten Höchststand von über einer Billion Franken um mehr als 25 Prozent reduziert wurde. Diese Reduzierung verschafft ihr wieder einen gewissen Handlungsspielraum für mögliche Interventionen am Devisenmarkt im Kampf gegen den starken Franken. Die Nationalbank ist sich jedoch bewusst, dass das Spiel mit Deviseninterventionen an den Märkten gefährlich ist. Im Bedarfsfall bleibt ihr jedoch ihre absolute Waffe: Die Negativzinsen. Die Negativzinsen sind schmerzhaft für die Ersparnisse und den Bankensektor und haben riskante Nebenwirkungen.

DANIEL HARTMANN, BANTLEON

Die SNB hat mit der jüngsten Zinsentscheidung einmal mehr ihre unabhängige Handlungsweise unterstrichen. Bereits im Juni 2022 war sie – damals mit einer Leitzinsanhebung – überraschend vorangeprescht. Mithin avanciert die SNB immer stärker zum Vorreiter im globalen Zinszyklus. Den Schweizer Währungshütern ist dabei durchaus bewusst, dass die Inflationsrate in den nächsten Monaten – vor allem aufgrund ungünstiger Basiseffekte und weiteren Mietsteigerungen – nochmals leicht in Richtung 1,5/1,6 Prozent ansteigen wird.

Darüber hinaus bleiben die Inflationsgefahren jedoch gering. Auch wir gehen davon aus, dass 2025 aller Voraussicht nach die Inflation im Durchschnitt nur noch rund 1,0 Prozent betragen wird. Die SNB dürfte daher auf den kommenden beiden Sitzungen (Juni, September) den Leitzins weiter auf 1,25 Prozent beziehungsweise 1,00 Prozent absenken. Zusätzlicher Abwärtsdruck geht dann von den übrigen Notenbanken (EZB, Fed) aus, die voraussichtlich im Juni den Zinssenkungszyklus einleiten werden. Daneben rechnen wir mit einer weltwirtschaftlichen Abschwächung, was der SNB weitere Argumente für geldpolitische Lockerungen liefert.

ADRIEN PICHOUD, BANK SYZ

Sofern es in den kommenden Monaten keine unerwarteten Entwicklungen an der Inflationsfront gibt, dürften auf die heutige Zinssenkung bis zum Jahresende weitere Zinssenkungen folgen. Die Zukunftsmärkte erwarten nun eine weitere Zinssenkung um 25 Basispunkte auf der nächsten Juni-Sitzung, der eine dritte Senkung im September folgen könnte, um den Franken-Leitzins bis Ende 2024 auf ein Prozent zu senken.

Sollte sich das Szenario einer Stabilisierung der Inflation um ein Prozent tatsächlich bewahrheiten, wird die Senkung des Leitzinses auf dasselbe Niveau den realen Leitzins (Zinssatz minus Inflation) bei Null halten und damit eine unnötige Belastung für die Schweizer Wirtschaft und die Schweizer Unternehmen vermeiden. Die heutige Entscheidung ist positiv für Schweizer Exportunternehmen, die von der Aufwertung der Fremdwährungen, in denen sie ihre Einnahmen erzielen, gegenüber ihrer Berichtswährung, dem Franken, profitieren werden.

BRIAN MANDT, LUZERNER KANTONALBANK

Die SNB ist immer für eine Überraschung gut. Sie senkte den Leitzins auf 1,5 Prozent. Grund hierfür ist, dass sich die Inflationsaussichten deutlich verbessert haben. Die Inflationsrate war bereits schon seit Mitte Juni im Zielband von 0 bis 2 Prozent. Nun erwartet die SNB, dass sich die Inflationsrate bis 2026 auf gut ein Prozent stabilisiert. Das entspricht auch unserer Erwartung. Mit der Zinssenkung trägt die SNB auch Rechnung, dass der Franken in den letzten Monaten real aufgewertet hat, was die Wirtschaft beeinträchtigt. Mit der Zinssenkung stemmt sie sich also gegen die reale Aufwertung. Gleichzeitig verbessert sie damit die Finanzierungsbedingungen für Investitionen. Wir erwarten, dass die SNB den Leitzins allmählich auf ein Prozent senken wird, vorausgesetzt die Inflationsrate bleibt auf niedrigem Niveau.

PHILIPP BURCKHARDT, LOMBARD ODIER IM

Entgegen der Markterwartung senkt die SNB den Leitzins überraschend auf 1,5 Prozent. Die bedingte Inflationsprognose wurde klar nach unten angepasst und der Endpunkt steht nun bei 1,1 Prozent im Vergleich zu den vorangehenden 1,6 Prozent im Dezember. Dies gab der SNB genug Sicherheit in ihrem Vorhaben, wohl auch vor dem Hintergrund eines erwarteten Wachstums von «nur» einem Prozent, während die grössten Handelspartner auch eher zu schwächeln scheinen.

Der Schweizer Franken hat zwar im ersten Quartal leicht abgewertet, neigt aber schon seit längerer Zeit zu realer und nominaler Aufwertung. Auf der einen Seite führt dies zwar zu tieferer importierter Inflation, hemmt aber gleichzeitig auch das Wachstum. Insofern war die Zinssenkung die logische Konsequenz. Wir erwarten nun auch noch weitere Zinssenkungen in diesem Jahr. Dies ist auch ein ideales Abschiedsgeschenk von Thomas Jordan, der damit die Stossrichtung für seinen Nachfolger schon klar vorgeben kann.

KATJA MÜLLER, LBBW RESEARCH

Die SNB prescht vor und senkt ihren Leitzins vor der EZB und der Fed. Die deutlich gesunkene Inflation macht’s möglich: Die SNB stellt fest, dass die Inflationsbekämpfung wirksam war. Die Teuerung liegt im Wohlfühlbereich der SNB und dürfte dort nach den aktualisierten Prognosen auch in den nächsten Jahren verharren. Die Währungshüter verwiesen zudem explizit auf die reale Aufwertung des Schweizer Franken im letzten Jahr. Der Franken reagierte mit einer Abwertung gegenüber dem Euro und dem US-Dollar auf die Lockerung der Geldpolitik.

THOMAS GITZEL, VP BANK GROUP

Wow, die SNB weiss zu überraschen. Die deutliche Mehrheit der Volkswirte rechnete mit einem gleichbleibenden Leitzins. Not am Mann bestand für die SNB sicherlich nicht. Einerseits war der Leitzins mit 1,75 Prozent in absoluter Betrachtung nicht hoch, andererseits sind die Inflationsrisiken noch nicht vollständig gebannt. Die SNB hätte sich aus unserer Sicht Zeit mit Zinssenkungen lassen können. Doch vermutlich war den Währungshütern auch der starke Franken ein Dorn im Auge. Ein schwächerer Franken hilft der exportstarken Schweizer Industrie.

Nachdem nun die SNB mit einer Zinssenkung reagierte, ist nicht auszuschliessen, dass noch weitere geldpolitische Lockerungen folgen. In der langen Historie der SNB-Zinssenkungszyklen ist zu sehen, dass wenn die Währungshüter erst einmal mit Leitzinssenkungen begonnen haben, weitere Reduktion des Schlüsselzinses folgten. Weitere zwei Zinssenkungen auf ein Prozent sind deshalb im laufenden Jahr nicht auszuschliessen. Allerdings dürfte im aktuellen Umfeld die Marke von ein Prozent eine Untergrenze darstellen.

(Reuters)