Die Spannungen im Nahen Osten erreichen einen neuen Höhepunkt: Nach den Luftangriffen der USA auf iranische Atomanlagen richten Anlegerinnen und Anleger besorgte Blicke auf die Reaktion des Irans, eines der grössten Ölländer der Welt. Insbesondere beobachten sie die Strasse von Hormus – die Meerenge zwischen dem Iran im Norden und Oman, durch die rund ein Fünftel der weltweit gehandelten Rohölmenge transportiert wird. Sollte der Iran die Wasserstrasse, die den Persischen Golf mit dem Indischen Ozean verbindet, blockieren oder zu einem militärischen Gegenschlag ausholen, rückt die Entwicklung des Ölpreises stärker in den Fokus.
Angesichts der Versorgungsängste verteuerte sich Rohöl der Sorte Brent am Montag kurzeitig um fast 6 Prozent auf 81,40 Dollar. Im Lauf des Tages bildete sich der Preis auf 77 Dollar zurück. Seit Jahresbeginn hat der Preis 16,0 Prozent zugelegt.
Zwar spielen reine Ölaktien an der Schweizer Börse, spätestens seit der Dekotierung von Transocean im Jahr 2016, keine Rolle mehr. Jedoch beliefern einige Firmen die globale Öl- und Gasindustrie und hängen zumindest indirekt von der Ölpreisentwicklung ab.
Im Fall einer Hormus-Blockade könnte Brent innert kurzer Zeit auf 120 Dollar pro Barrel steigen, schätzen Ökonomen der Deutschen Bank und ING. «Bei einer längeren Blockade, bis Ende 2025, würden die Preise wahrscheinlich über 150 Dollar je Barrel steigen und neue Rekordhöhen erreichen», sagte ING-Chefökonom Carsten Brzeski laut Reuters.
Zulieferer als einige der wenigen Profiteure
Wenn der Konflikt weiter eskaliert und die Strasse von Hormus blockiert wird, das heisst der Rohstoff verknappt und der Ölpreis infolgedessen weiter steigt, «dann könnten nur wenige Schweizer Firmen davon profitieren». Das schätzt Matthias Geissbühler, Anlagechef von Raiffeisen Schweiz.
Ein möglicher Profiteur könnte Burckhardt Compression sein als Zulieferer von Kolbenkompressoren für die grossen Energiekonzerne wie Shell oder BP, welche diese zur Öl- und Gasförderung einsetzen, sagt Geissbühler. Kurz: Wenn der Ölpreis steigt, kann Burckhardt Compression von zusätzlichen Bestellungen profitieren und höhere Preise verlangen.
Das bestätigt auch Stephan Sola, Anlageberater beim «Plutos Schweiz Fund». Allerdings könne ein steigender Ölpreis bereits im Aktienkurs eingepreist sein, denn dieser sei weniger stark angestiegen als der Ölpreis selbst, erklärt Sola.
Am Montag verlieren die Aktien Burkhard Compression 1,2 Prozent auf 648 Franken. Seit Jahresbeginn haben die Titel gut 1,2 Prozent zugelegt, auf 52-Wochen-Sicht steht das Plus bei fast 13 Prozent.
Auch andere Zulieferer für Ölförderkonzerne wie Georg Fischer, der Rohrleitungen herstellt, könnte aus denselben Gründen wie Burckhardt Compression profitieren, wenn der Ölpreis über längere Zeit höher notieren sollte, schätzt Geissbühler.
Im Zusammenhang mit dem Ölpreis werden jeweils auch die Industriekonzerne ABB und Sulzer genannt. Die Anlageexperten rechnen bei ABB allerdings mit einem geringen Einfluss des Ölpreises. Schliesslich reduziert das auf Elektrifizierung und Automatisierung spezialisierte Unternehmen seinen Umsatzanteil im öl- und gasverarbeitenden Gewerbe zusehends. Entsprechend dürfte eine Ölpreis-Hausse unter dem Strich den Aktienkurs der ABB kaum positiv beeinflussen, erwartet Geissbühler.
Ähnlich ist die Ausgangslage bei Sulzer. Dennoch würde es sowohl Sola wie auch Geissbühler nicht überraschen, wenn der Turbinenhersteller von den gestiegenen Ölpreisen profitieren könnte, zumal der Aktienkurs die jüngsten Entwicklungen noch nicht eingepreist zu haben scheint und sich in der Vergangenheit - mit Ausnahme der Pandemie - nahe am Ölpreis bewegt hat.
Sola sieht einen weiteren Profiteur in Accelleron, dem weltweit führenden Anbieter von Turboladern für Schiffsmotoren. Sollte die Strasse von Hormus geschlossen oder nur eingeschränkt befahrbar sein, müssten die Schiffe Umwege fahren, länger unterwegs sein und ihre Motoren früher warten, so Sola. 75 Prozent des Accelleron-Umsatzes stammen aus Service-Leistungen.
Der Aktienkurs scheint die jüngsten Entwicklungen bereits antizipiert zu haben: Er hat in den letzten zwei Wochen um 14 Prozent zugelegt. «Das ist ganz klar der Ölpreis», sagt Sola.
Noch am Freitag markierten die Titel mit 55,00 Franken ein neues Allzeithoch. Accelleron wurde im Herbst 2022 von ABB abgespalten und an der Schweizer Börse kotiert.
Hausse belastet konjunkturabhängige Firmen
Auf der Verliererseite eines steigenden Ölpreises sehen die beiden Anlageexperten konjunkturabhängigen Unternehmen - also jene Firmen, deren Produktionskosten beispielsweise durch eine Rezession steigen und damit zu sinkenden Gewinnen führen.
Konkret sind damit Firmen aus dem Chemiesektor wie die EMS Chemie oder der Spezialchemiekonzern Clariant gemeint. Zwar würde aufgrund der gestiegenen Ölpreise der Umsatz steigen - ob die Margen im gleichen Masse zunehmen, ist laut Sola von Plutos aber ungewiss.
Aber auch Industriefirmen mit energieintensiver Produktion wie Holcim wären betroffen. «Um Beton herzustellen, braucht man eine enorme Energiemenge, die man nicht eins zu eins weitergeben kann», erklärt Sola. Diese Kosten bleiben letztlich beim Unternehmen hängen und beeinflussen die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen.
Experten sehen Ölpreis-Zenit erreicht
Ob die Kriegsspirale weiter drehen wird, weiss niemand. Dass der Ölpreis massiv ansteigen und sogar ein neues Allzeithoch erreichen wird, wie von einigen Marktteilnehmern behauptet, damit rechnet Geissbühler von Raiffeisen aber nicht. Wegen der ungewissen Entwicklung schliesst er zwar nicht aus, dass der Preis weiter steigen könnte. Er geht davon aus, dass der Konflikt länger andauern und sich der Ölpreis zwischen 75 bis 80 Dollar je Barrel einpendeln wird.
Sola sieht mit dem Angriff der Amerikaner den Zenit des Preisanstiegs vorerst erreicht. Denn: «Politisch motivierte Marktreaktionen halten selten lange an», sagt Sola.
Fakt ist jedoch: Je länger der Konflikt anhält, desto mehr Bremsspuren hinterlassen er in der Wirtschaft, sagt Geissbühler. Entsprechend würden die Märkte auch volatil bleiben.