Einige fette Fische tummeln sich im Streaming-Teich: Netflix, Amazon Prime, Apple TV + oder Sky Ticket. Der Markt ist lukrativ und heiss umkämpft. Doch niemand schaffte es bislang, an die Branchenprimi Spotify und Netflix heranzukommen. Beide werden von visionären Gründern geleitet, die die Weichen für die Zukunft stellen. Wer also Aktien von einem der beiden Unternehmen kauft, setzt auch auf die zwei Gründer. Hier deshalb ein Vergleich dieser beiden Köpfe und ihrer Firmen.

Daniel Ek von Spotify: Ein Nerd und Querdenker

Daniel Ek, 38, Multimilliardär, Gründer und Chef von Spotify, konnte es wieder einmal nicht lassen. Kurz vor der Fussball-EM sorgte er für Furore, als er die Welt via Twitter wissen liess, dass er ein Kaufangebot für den FC Arsenal, den englischen Fussball-Erstligisten, unterbreitet hatte. 2,3 Milliarden Franken war er bereit gewesen, auf den Tisch legen. «Sie haben geantwortet, dass sie das Geld nicht brauchen», schrieb er leicht verschnupft.

Ein Fussballclub als Beschäftigungstherapie?, argwöhnten viele daraufhin, klang die Aktion doch ganz nach einem exzentrischen Milliardär, der sich häufig langweilt. Doch der Schein trügt. Daniel Ek, Nummer 622 der «Forbes»-Liste der reichsten Menschen der Welt, mit einem geschätzten Vermögen von 4 Milliarden Dollar, ist gemäss Aussage vieler Leute ein Arbeitstier, mit dem klaren Ziel, die Konkurrenz so weit von sich abzuschütteln, dass er nur noch deren Staub aus der Ferne wahrnimmt.

Spotify, gegründet 2006, baute der Schwede zum weltweit grössten Anbieter von Musikstreaming auf. Mit einem Marktanteil von 35 Prozent ist Spotify heute Branchenprimus, gefolgt von Apple Music mit 19 und Amazon mit 15 Prozent. Sie alle verdienen ordentlich in einer Branche, der Musikindustrie, die noch vor gar nicht allzu langer Zeit am Boden war.

Von der Digitalisierung hart getroffen, konsumierten immer mehr Junge gratis Musik via Downloads von Piratensendern. Erzielte die Musikindustrie um die Jahrtausendwende noch einen Umsatz von 25 Milliarden, hat sich der Umsatz zwischenzeitlich halbiert. Heute liegt er wieder bei 22 Milliarden. Auf einen wie Ek hatte die Musikbranche gewartet. Sein Modell war revolutionär: der legale Zugriff auf fast jeden Song, den man je gehört hat, für eine kleine Gebühr oder für den Aufwand, sich kurz Werbung anzuhören.

Musik und Technologie – damit hatte Daniel Ek bereits früh zu tun. Im Alter von fünf Jahren bekam er eine Gitarre und einen Commodore-Computer. Innerhalb von zwei Jahren beherrschte er beides perfekt. Mit 13 baute er Websites für Kleinunternehmen. Solche Websites kosteten damals 50 000 Euro. Er verkaufte sie für 5000 Euro. Während er sich ums Geldverdienen kümmerte, erledigten seine Schulkameraden seine Hausaufgaben, gegen Bares natürlich.

Schwer gekränkt durch die Ablehnung von Google

Mit 16 nahm er bereits 50'000 Euro im Monat ein und bewarb sich bei Google als Ingenieur. Google sagte jedoch, er solle wiederkommen, wenn er einen Abschluss habe. Schwer gekränkt durch diese Ablehnung machte er sich daran, selbst eine Suchmaschine zu bauen. «So schwer kann das nicht sein», hatte er gedacht, wie er sich in einem TV-Interview erinnerte. «Doch es stellte sich heraus, dass es wirklich, wirklich schwer war.»

Ek gab das Projekt auf und wollte Ingenieurwissenschaften studieren. Nach acht Wochen brach er das Studium ab, als er erkannte, dass er das gesamte erste Jahr hätte ausschliesslich theoretische Mathematik büffeln müssen. Stattdessen schrieb er für ein Stockholmer Werbenetzwerk ein Programm. Dieses verkaufte er 2006 für 2 Millionen Dollar. Nun war er 23, Millionär, gelangweilt und wollte nur noch das machen, woran sein Herz hing: Musik. Er hatte bemerkt, dass die Musikindustrie den Bach runterging, obwohl die Leute mehr Musik hörten denn je. Zusammen mit einem anderen Tech-Millionär gründete er 2006 Spotify. 

Heute zählt Spotify 350 Millionen Nutzerinnen und Nutzer, ist Branchenprimus und verteidigt seine Pfründe mit aller Macht. «Das Wachstumspotenzial von Spotify ist riesig», sagt Christoph Wirtz, Analyst bei Rothschild & Co. «Potenzieller Nutzer ist jeder, der ein Smartphone besitzt, also rund drei Milliarden Menschen. Zudem basiert das Prinzip von Spotify auf einem ‹Two-sided Platform›-Businessmodell. Einerseits erzielt Spotify Einnahmen durch zahlende Kunden, die Premiumangebote nutzen, anderseits durch die Musikanbieter, die dafür bezahlen, dass ihre Musik beworben und platziert wird.»

Musikplattformen sind austauschbar

So weit, so gut, aber Musikplattformen sind austauschbar. Songs von Pink, Deep Purple oder Mozart können auch auf Amazon Prime oder Apple Musik abgespielt werden. Daher hat Ek beschlossen, mehr Künstler und Künstlerinnen direkt unter Vertrag zu nehmen. So kann er die Plattenfirmen umgehen und Kosten sparen. Das Titelangebot explodiert mittlerweile. Jeden Tag werden 25'000 bis 30'000 neue Lieder auf die Plattform hochgeladen. Für die Musikerinnen und Musiker liegen die Vorteile auf der Hand: Die Eintrittsbarrieren sind heute um ein Vielfaches niedriger als noch in den 1980er Jahren.

Damals kostete es zwischen 80'000 und 250'000 Dollar, ein Album zu produzieren – heute zahlt man bei Spotify rund 30 Dollar, um das Album hochzuladen. Mit dem Vorteil für die Künstler, dass mit einem Schlag 350'000 Millionen User erreicht werden können. Eks jüngster Coup ist das Podcast-Geschäft. Gemäss Statistiken explodieren auch hier die Zahlen: 104 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner hören einmal die Woche Podcasts. Rund 168 Millionen einmal pro Monat. 70 Prozent der User sind unter 35 Jahre alt. «Via Podcast kann man junge Leute an die Plattform binden, die später vielleicht bereit sind, dafür zu bezahlen», sagt Analyst Christoph Wirtz.

Der Wermutstropfen: Bislang gibt es noch keine Einnahmequelle dafür. Ebenso unschön ist, dass das Unternehmen noch immer Verluste schreibt. Nicht zuletzt aufgrund hoher Investitionen, um Grösse zu erlangen und so die Kosten besser verteilen zu können. Zudem muss der Streamingpionier rund die Hälfte seiner Einnahmen an die Labels abgeben und kommt so mit 21 Prozent auf eine tiefere Bruttomarge als anderen Plattformen. Noch. 

Reed Hastings von Netflix: Ein Nerd und Visionär

Reed Hastings, 62, ist ebenfalls ein Pionier des Entertainments. Er veränderte das TV-Verhalten von Millionen von Menschen. Rund 203 Millionen zahlende Kunden und Kundinnen in 190 Ländern sehen heute auf Netflix ihre Lieblingsfilme on demand, werbefrei.

Die Zuschauer bekommen exakt jene Filme und Serien vorgeschlagen, die ihren Wünschen entsprechen. In seiner Biografie «Keine Regeln» schreibt Hastings, was Netflix ausmacht: die Abwesenheit von Kontrolle und Regeln. «Möglichst viele Entscheidungen selber treffen – davon sollten Chefs unbedingt die Finger lassen», so sein Credo. Er hält nichts von Mikromanagement. Ein eigenes Büro in seiner Firma hat er keines. «So kann ich öfter die Kollegen besuchen und ausserdem früher nach Hause gehen, ohne dass es jemandem auffällt.»

Lange Zeit deutete nichts darauf hin, dass der Amerikaner – «Forbes» schätzt sein Vermögen mittlerweile auf 4,9 Milliarden Dollar – mehr sein könnte als ein hochspezialisierter Computer-Nerd. Hastings studierte Mathematik, später kamen Computerwissenschaften hinzu. Er wurde Softwareentwickler und gründete 1991 seine erste Firma, Pure Atria. Sie wurde eines der fünfzig grössten börsennotierten Softwareunternehmen des Landes, das schliesslich 1997 für circa 700 Millionen Dollar aufgekauft wurde. Von da an hatte Hastings – verheiratet, zwei Kinder, im sonnigen Santa Cruz in Kalifornien lebend – genügend Zeit und Kleingeld, sich neuen Dingen zu widmen.

«House of Cards» ein durchschlagender Erfolg

Dazu gehörte beispielsweise, die DVDs seiner Kinder dem Verleih zurückzugeben. Und da er sie verspätet zurückgab, durfte er eine Strafe von 40 Dollar zahlen. So grübelte er darüber nach, welche Möglichkeit es geben könnte, mit dem Ausleihen von Filmen Geld zu verdienen, ohne der Kundschaft Verspätungsgebühren zu belasten. Noch im gleichen Jahr gründete er Netflix, als DVD-Online-Handel.

Anfangs durften die Kunden und Kundinnen jede DVD, die per Post verschickt wurde, sieben Tage lang ausleihen, dann einen Monat. Ein Jahr später gab es bereits eine Abo-Möglichkeit: Kunden, die ein Netflix-Abo kauften, mussten sich nicht nach Rückgabefristen, monatlichen Beschränkungen oder Verzugsgebühren richten. 2002 ging das Unternehmen an die Börse. Der Preis für eine Aktie betrug damals 15 Dollar. Heute steht der Kurs bei 550 Dollar.

Im Februar 2007 hatte Netflix die milliardste DVD ausgeliefert und setzte neu auf Streaming. Das heisst, die Kundinnen und Kunden konnten via Downloads auf Filme und Fernsehsendungen zugreifen. Eine neue Zeitrechnung begann. Doch Hastings Visionen gingen noch weiter. 2013 begann er mit der Produktion von eigenen Filmen. Damals wurde er dafür milde belächelt, viele sahen bereits den Pleitegeier über Netflix kreisen. Nur gut, wurde die Serie «House of Cards» ein durchschlagender Erfolg. Hastings war die Wette mit «House of Cards» nur deswegen eingegangen, weil er bei den Nutzerzahlen gesehen hatte, dass sich die Kunden jeweils ähnliche Filme angeschaut hatten. Also kaufte er die Serie für 100 Millionen, obwohl Disney und Fox bereits abgelehnt hatten. 

Hollywood-Gigant

«Mit Exklusiv-Content kann sich Netflix von Konkurrenten wie Amazon Prime Video, Apple TV oder Disney abheben», sagt Analyst Christoph Wirtz. «Gleichzeitig muss Netflix bei Eigenproduktionen keine Urheberrechte bezahlen.» Keine andere Unterhaltungsfirma der Welt investiert mehr Geld. 17 Milliarden gab Netflix 2020 für Eigenproduktionen aus, bei einem Umsatz von 25 Milliarden Dollar im gleichen Jahr. Zum Vergleich: Amazon gab 7 Milliarden Dollar für originalen Content aus, bei Disney + waren es 1,5 Milliarden. Natürlich bergen Eigenproduktionen das Risiko, dass die Filme und Serien beim Publikum durchfallen.

Deshalb arbeitet die Heerschar der mittlerweile 9000 Mitarbeitenden dafür, alles über die Filmpräferenzen der Kunden und Kundinnen zu erfahren und künftig nur noch jene Filme zu drehen, deren Inhalte nachgefragt werden. Die Serie «Marco Polo» etwa wurde gleich nach der ersten Staffel eingestellt, weil die Zuschauerzahlen nicht gestimmt hatten. 

Heute ist Netflix ein Gigant in Hollywood. Und übertrumpft selbst Streaminggigant Spotify. Denn Netflix’ Bruttomarge mit 40 Prozent ist wesentlich höher als jene von Spotify. Und soll weiter zulegen. «Wir gehen davon aus, dass die Bruttomarge über die nächsten zehn Jahre auf über 55 Prozent steigen wird durch die erzielten Skaleneffekte, mit mehr Abonnentinnen und Abonnenten, die mehr Geld zahlen, bei gleichbleibenden Kosten», sagt Wirtz. Gute Aussichten also für Anleger. 

Dieser Artikel erschien zuerst bei handelszeitung.ch mit dem Titel: "Profite mit Streamern".

 

 

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