Streaming-Dienste wie Netflix und Amazon Prime laufen seit der Corona-Pandemie den bunten Tanz-Spektakeln den Rang ab. Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene halten die Heile-Welt-Idylle für veraltet und unmodern. In diesem Jahr kamen 26 Bollywood-Filme ins Kino - 20 davon, 77 Prozent, waren Flops, spielten also weniger als die Hälfte der Kosten ein, wie aus den Daten des Branchendienstes Koimoi hervorgeht. "Die Filme funktionieren nicht mehr", gestand einer der grössten Bollywood-Stars, Akshay Kumar, nach dem Misserfolg seines neuesten Films ein. "Ich muss herausfinden, was das Publikum will."

Etwa Christina Sundaresan, eine 40-jährige Mutter von zwei Mädchen im Teenageralter in Mumbai. Vor der Pandemie sah sie sich jede Woche mindestens einen Bollywood-Film im Kino an. Jetzt gehe sie nur noch selten, sagt sie. "Sie sind in Ordnung, wenn man lachen will, aber ich würde nicht dafür ins Kino gehen", sagte sie. "Meine Töchter haben sich früher jeden Film mit uns angesehen, aber jetzt sind sie auch nicht mehr interessiert. Sie stehen mehr auf koreanische Shows und Serien, die auf diesen Streaming-Plattformen ausgestrahlt werden."

Netflix und Amazon Prime kamen erst 2016 nach Indien. Sie locken Kunden mit einem grossen Angebot von Filmen und Serien aus Amerika, Europa und Asien wie etwa dem koreanischen Thriller "Parasite", den Superhelden-Filmen "Avengers" oder der Fantasy-Serie "Game of Thrones". Laut der Marktdaten von Statista nutzt mittlerweile ein Viertel der 1,4 Milliarden Menschen in Indien solche Streamingdienste, gegenüber etwa zwölf Prozent im Jahr 2019. Es wird erwartet, dass der Anteil bis 2027 auf 31 Prozent steigt. Und es gibt weiter Luft nach oben: In Nordamerika erreichen die Dienste etwa 80 Prozent der Menschen.

Bollywood - Was ist das Problem?

Lange waren die Bollywood-Filme Garanten für klingelnde Kinokassen in Indien. Die Einnahmen stiegen ein Jahrzehnt kontinuierlich und erreichten im Jahr 2019 einen Umsatz von rund zwei Milliarden Dollar. In der Pandemie brachen sie ein. Anzeichen für eine Erholung gibt es nicht. Vielmehr zeigen Branchendaten, dass die Einnahmen an den Kinokassen monatlich schrumpfen. Laut Untersuchungen der auf Indien spezialisierten Investmentbank Elara Capital werden die Einnahmen aus Bollywood-Filmen im Zeitraum Juli bis September wohl um 45 Prozent im Vergleich zur Vorkrisenzeit sinken.

In der Branche herrscht Ratlosigkeit und Verwirrung. Was vor der Pandemie funktionierte, finde heute keinen Anklang mehr, sagt Rajender Singh Jyala, Programm-Chef bei Indiens zweitgrösstem Multiplex-Betreiber INOX. "Keiner weiss, was das eigentliche Problem ist." Während der Pandemie habe es keine Veröffentlichungen gegeben, alles sei geschlossen gewesen und die Leute hätten viel Zeit gehabt, sich auf anderen Diensten Inhalte anzuschauen.

Doch es gebe auch Anlass zur Hoffnung, hoffen Jyala und andere Führungskräfte. Die Bollywood-Blütezeit sei zwar nicht zurückzuholen, aber ein paar grosse Hits könnten der Branche neues Leben einhauchen und ein neues Gleichgewicht mit Streaming-Diensten bringen.

Kino-Ticket-Preise schrecken ab

Das Problem sind wohl nicht nur die Inhalte der Filme, sondern auch die Kosten eines Kinobesuchs. Eine vierköpfige Familie muss dafür 3000 bis 50000 Rupien (35 bis 60 Euro) bezahlen. Ein hoher Preis in einem Land, in dem das jährliche Durchschnittseinkommen bei 160'000 Rupien liegt. Monatliche Abonnementgebühren für Streaming-Dienste wie Netflix beginnen dagegen bei etwa 150 Rupien.

"Irgendwo muss es eine Korrektur geben – Budgets müssen überarbeitet und die Kosten für Kinobesuche müssen ebenfalls gesenkt werden", sagt Anil Thadani, der eine Filmproduktions- und Vertriebsfirma besitzt und mit der Bollywood-Schauspielerin Raveena Tandon verheiratet ist. "Die Hindi-Filmindustrie macht Filme, die die Masse nicht erreicht. Ein grosser Teil unserer Bevölkerung identifiziert sich nicht immer mit diesen Filmen."

Karan Taurani, Medienanalyst bei Elara Capital, erwartet eine Neuausrichtung der Gagen, wobei die meisten Produzenten zu einem Modell übergehen könnten, das die Gehälter an den Erfolg an der Kinokasse knüpft. Zudem könnte künftig ein grösserer Teil des Budgets eines Films für Produktion und Spezialeffekte verwendet werden. Doch das greift erst ab dem nächsten Jahr, wenn die Saison der aktuellen Filme, die vor und während der Pandemie abgedreht wurden, abgelaufen sei.

(Reuters)