Europas grösstes Atomkraftwerk Saporischschja im Südosten der Ukraine ist einer der Hauptstreitpunkte im Friedensplan von US-Präsident Donald Trump zur Beendigung des Krieges zwischen Russland und der Ukraine. Hier einige Fakten über die seit 2022 von Russland kontrollierte Anlage.
Was ist der aktuelle Status?
Das Kernkraftwerk befindet sich in Enerhodar am Ufer des Flusses Dnipro und des im Krieg zerstörten Stausees Kachowka, 550 km südöstlich der Hauptstadt Kiew. Es verfügt über sechs Reaktoren sowjetischer Bauart und hat nach Daten der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) eine Gesamtleistung von 5,7 Gigawatt. Nachdem Russland die Kontrolle über das Kraftwerk übernommen hatte, wurden fünf der sechs Reaktoren abgeschaltet, der letzte Reaktor stellte seine Stromproduktion im September 2022 ein.
Russland und die Ukraine beschuldigen sich gegenseitig, das Atomkraftwerk angegriffen und Stromleitungen gekappt zu haben. In den vergangenen vier Jahren kam es mindestens elfmal zu Unterbrechungen der Stromversorgung, bei denen das Kraftwerk auf Dieselgeneratoren ausweichen musste.
Welche Pläne haben Russland, die USA und die Ukraine?
Russland betrachtet das Kraftwerk als russisch. Moskau will die Anlage als Teil des staatlichen Atomkonzerns Rosatom ans russische Stromnetz anschliessen. Die meisten anderen Länder betrachten das Kraftwerk als Eigentum der Ukraine.
Nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hat die US-Seite einen gemeinsamen trilateralen Betrieb des Kernkraftwerks unter einem amerikanischen Chefmanager vorgeschlagen. Selenskyj sagte, der ukrainische Vorschlag sehe eine ukrainisch-amerikanische Nutzung des Kraftwerks vor, wobei die USA bestimmen würden, wie 50 Prozent der erzeugten Energie genutzt werden. Russland hat der Zeitung «Kommersant» zufolge eine gemeinsame russisch-amerikanische Nutzung des Werks erwogen.
Warum will Russland das Werk?
Russland bereitet die Wiederinbetriebnahme des Kraftwerks vor, betont aber, dies sei von der Lage in der Region abhängig. Rosatom-Chef Alexei Lichatschow hat die Lieferung von dort erzeugtem Strom in Teile der Ukraine nicht ausgeschlossen. Olexandr Chartschenko vom Energieforschungszentrum in Kiew sagt, Moskau wolle mit dem Kraftwerk ein erhebliches Energiedefizit im Süden Russlands ausgleichen. «Deshalb kämpfen sie so hart für dieses Kraftwerk», sagte er.
Warum braucht die Ukraine das Werk?
Russland attackiert seit Monaten die ukrainische Energieinfrastruktur, in einigen Gebieten kam es im Winter zu Stromausfällen. In den letzten Monaten hat Russland sowohl den Umfang als auch die Intensität seiner Angriffe auf den ukrainischen Energiesektor drastisch erhöht und zeitweise die Versorgung in ganzen Regionen unterbrochen. Analysten zufolge fehlt der Ukraine etwa 4 Gigawatt Erzeugungskapazität, was der Leistung von vier der sechs Reaktoren in Saporischschja entspricht. Laut Chartschenko würde die Ukraine fünf bis sieben Jahre benötigen, um die Kapazität anderweitig aufzubauen. Wenn Kiew die Kontrolle über das Werk zurückerlangen würde, wären ebenfalls vier bis fünf Jahre nötig, um die Anlagen wiederherzustellen und den vollen Betrieb wieder aufzunehmen.
Wie steht es mit der Sicherheit der Anlage?
Auf lange Sicht ist das Problem der Kühlung ungelöst, seit 2023 die Staumauer und das Wasserkraftwerk des riesigen Kachowka-Stausees zerstört wurden. Dem Kraftwerk fehlt es deshalb an Kühlwasser unter anderem für die Abklingbecken für verbrauchte Brennelemente. Ohne Wasserzufuhr könnte das Wasser in den Becken verdunsten, die Temperaturen steigen und Brandgefahr entstehen. Nach Angaben des ukrainischen Staatsunternehmens Energoatom ist der Füllstand im Kühlwasser-Reservoir des Kraftwerks seit der Zerstörung des Staudamms schon um mehr als 15 Prozent oder drei Meter gesunken und geht weiter zurück. Bei der Nuklearkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 hatte der Austritt von Wasserstoff aus einem Abklingbecken zu einer Explosion geführt.
(Reuters)
