Die Nachricht sorgte Mitte dieser Woche für helle Aufregung bei unseren nördlichen Nachbarn. Deutschlands grösster Lebensversicherer Allianz bricht endgültig mit der herkömmlichen Lebensversicherung mit lebenslangen Zins- und Beitragsgarantien. Ab dem kommenden Jahr bietet die Allianz ihren Kunden in Deutschland keine Produkte mehr an, die ihnen nach Ablauf der Sparphase eine hundertprozentige Garantie auf wenigstens den Erhalt ihrer eingezahlten Beiträge zusichert.

Ab 2021 werden an Neukunden nur noch Lebens- und Renten-Policen verkauft, bei denen 60, 80 oder 90 Prozent der Einzahlungen garantiert sind. Wenn es ganz schlecht läuft, verliert der Kunde also.

Was in Deutschland in den Meinungsbeiträgen als "Tabubruch" bezeichnet wird, ist in der Schweiz schon seit längerem Usus. Grund ist die anhaltende Tiefzinsphase, die es Versicherern immer schwerer macht, mit der klassischen Lebensversicherung, die pro Jahr jährliche Zinserträge von 3, 4 oder gar 5 Prozent garantiert – völlig risikolos wohlgemerkt –, Geld zu verdienen.

«Kaum mehr 100 Prozent Garantien in der Schweiz»

"Der Vorsorgemarkt verändert sich seit 2015 mit der negativen Zinsenentwicklung stark", sagt Hans-Peter Nehmer, Mediensprecher der Schweizer Allianz-Tochter, der Allianz Suisse, gegenüber cash. Das führe dazu, dass auf dem Schweizer Markt seit längerem kaum mehr 100 Prozent Garantien angeboten würden. "Wir haben unsere Produktpalette ebenfalls angepasst auf Garantien zwischen 50 Prozent bis 90 Prozent", so Nehmer. Andere Versicherungen äussern sich ähnlich.

So ist es laut der Helvetia für die Versicherer "seit Jahren eine Herausforderung, unter den herrschenden Kapitalmarktbedingungen attraktive Rendite auf Garantieprodukte zu erwirtschaften", wie Mediensprecher Jonas Grossniklaus auf cash-Anfrage mitteilt. "Eine Garantie der Bruttoprämien, also der einbezahlten Prämien, kann in der Schweiz angesichts des hiesigen Zinsniveaus schon länger nicht mehr angeboten werden."

Niedrigere Garantien erhöhen den Spielraum der Versicherer bei der Anlage in risikoreichere Anlageklassen. Wird dem Versicherten etwa lediglich ein Garantieniveau von 80 Prozent geboten, kann der Lebensversicherer das Geld vermehrt in volatilere Anlageklassen investieren, wie etwa Aktien. Dort ist das Risiko für Schwankungen oder gar Verluste zwar grösser, die Renditechancen dafür umso höher. 

Die Kunden scheinen das Risiko mittlerweile in Kauf zu nehmen - auch und vor allem in der Schweiz. Der von der Allianz Deutschland beschriebene Trend, dass mittlerweile zwei Drittel der Kunden bereit sind, in der Niedrigzinsphase für höhere Renditen auf einen Teil der Garantien zu verzichten, ist laut Swiss Life "im Schweizer Markt bereits seit längerer Zeit zu beobachten", wie der grösste Schweizer Lebensversicherer ausrichten lässt. 

"Das Modell der klassischen Lebensversicherung, wie wir sie von früher kennen, mit einem fixen Zinsertrag ohne Risiko ist heutzutage kaum noch machbar", sagt auch Florian Schubiger, Finanzexperte und Mitgründer des Finanzplanungsberaters Vermögenspartner. In Deutschland sei das bis anhin zwar noch eher möglich gewesen, weil das Zinsniveau in Europa leicht höher sei als in der Schweiz mit seinen Negativzinsen. "Doch auch dort dürfte es nicht mehr auf ewig funktionieren", sagt Schubiger.

Model der «gemischten Lebensversicherung» zunehmend in Kritik

Am geläufigsten sind in der Schweiz die sogenannten gemischten Lebensversicherungen für die dritte Säule. Bei dieser werden zwei Grundbedürfnisse von Versicherten kombiniert. Das Sparen für die Altersvorsorge und die Risikoabsicherung gegenüber Tod oder Invalidität, also der finanzielle Schutz für die Hinterbliebenen.

Sparen und Risikoschutz zu verbinden, wird allerdings seit einigen Jahren zunehmend hinterfragt. Gemischten Lebensversicherungen haftet der Ruf nach fehlender Transparenz an, wenn es um die genauen Renditen und Gesamtkosten geht. Ein weiterer Nachtteil der Produkte ist die eingeschränkte Flexibilität. Beim Abschluss einer gemischten Lebensversicherung muss der Kunde von vornherein festlegen, welche Leistungen er über die gesamten Vertragslaufzeit – meist Jahrzehnte – in Anspruch nehmen will. Lebenssituationen können sich jedoch ändern. Soll die Lebensversicherung aufgelöst werden, entstehen hohe Kosten.

Schubiger rät seinen Kunden nicht zu gemischten Lebensversicherungen. "Wir empfehlen, Sparen und Risikoversicherung zu trennen. Beides lässt sich unabhängig voneinander optimieren. Die gemischte Lebensversicherung bietet in den allermeisten Fällen zu wenig Flexibilität."