In der Finanzwelt bezeichnet der Begriff «Burggraben» ein Geschäftsmodell mit nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen, das schwer angreifbar ist. Für Anlagechef Matthias Geissbühler von Raiffeisen sind vier Faktoren ausschlaggebend: Einerseits ein technologischer Vorsprung, abgesichert durch Patente oder spezifisches Know-How. Auch starke und etablierte Brands, wie beispielsweise Coca-Cola oder LVMH, verschaffen einen Vorteil, wie «oligopolistische» Strukturen oftmals zu finden bei Medtechfirmen oder Premiumbrands.
Studien von Morningstar zeigen, dass Firmen mit Burggraben deshalb auch wirtschaftliche Krisen besser überstehen und langfristig höhere Kapitalrenditen erzielen. Gerade im aktuellen Börsenjahr, das von Aufs und Abs getrieben ist, kann dieser Faktor entscheidend sein.
Auch in der Schweiz gibt es einige solche Kandidaten, darunter Grosskonzerne wie Novartis oder Roche. Aber auch in kleineren Gefilden finden sich Schweizer Unternehmen, die gerade in turbulenten und von Unsicherheit geplagten Zeiten eine Art «sicherer Hafen» sein können. «Wichtig ist, dass solche Firmen kontinuierlich in die Forschung & Entwicklung sowie ins Marketing investieren, um ihre Vormachtstellung aufrechterhalten zu können», sagt Geissbühler.
1) Geberit
Laut Omar Brem, Leiter Research bei der ZKB, ist Geberit ein Unternehmen mit einem tiefen Burggraben. Er begründet dies hauptsächlich mit personellen Ressourcen: «Weil sie Installateure gezielt auf Geberit-Systeme und -Produkte schult, sind die Markteintrittsbarrieren hoch.» Die Produktentwicklung fokussiere sich neben der Qualitätsverbesserung auch auf die Installationsfreundlichkeit mit schneller und einfacher Montage. Laut des Experten werden Faktoren wie diese aufgrund des steigenden Fachkräftemangels bei Sanitärinstallateuren mittel- bis langfristig noch relevanter werden.
Nicht nur Brem, auch Analyst Peter Casanova von Julius Bär nimmt Geberit in seiner Burggraben-Favoritenliste auf. Seine Begründung stützt sich auf den europäischen Marktfokus, der durch die sich verbessernde Bauindustrie profitieren dürfte ab. Diese Entwicklung verhalf der Aktie in vergangenen Wochen zur Kehrtwende nach dem Zolleinbruch.
Die Ankündigung Deutschlands, in den kommenden Jahren rund 500 Milliarden Euro in die Infrastruktur zu investieren, verhalf dem Titel zu neuen Höhen. So knackten die Titel Mitte Mai das Mehrjahreshoch bei 598 Franken. Auch eine Analystin von Jefferies nimmt das Konjunkturpaket als Antrieb wahr: «Der Sanitärtechnikkonzern ist ein klarer Gewinner der sich aufhellenden Baukonjunktur in Europa.» Ebenfalls hat Geberit einen exzellenten Ruf in der Branche - sowie überdurchschnittliche Margen, hohe Ausschüttungen an Aktionäre und ein solider freier Cashflow.
2) Lindt & Sprüngli
Einmal mehr Lindt&Sprüngli: Der Schokoladenproduzent, der auch als «Rolls-Royce» unter den Aktien gilt, schafft es ebenfalls in die Favoritenliste der Experten beim Thema Burggraben. Der Vergleich mit der Automarke rührt daher, dass der hohe Aktienpreis ein gewisses Prestige bringt. «Die Spezialisierung auf hochwertige dunkle Schokolade und hohe Qualitätsansprüche sorgt nicht nur für starke Margen, sondern auch für Exklusivität, vergleichbar mit Produkten im Luxussektor», erklärt das Expertenteam von Julius Bär.
Dank sorgfältiger Investitionen und klarer Positionierung der Marke verfüge die Premiumschokolade heute über fast unwiderstehliche Anziehungskraft, bekräftigt Julius Bär. Das erlaube Lindt, die Preise, falls nötig, ohne Einbusse von Volumen erhöhen zu können. So beispielsweise vergangenes Jahr, als höhere Kakaopreise mit Preiserhöhungen kompensiert werden konnten. Die UBS schliesst sich der Aussage an und betont, dass Lindt dank neuer Produkte wie die Dubai-Schokolade auch in Zukunft einen prominenten Platz in den Verkaufsregalen haben dürfte und damit für anhaltende hohe Einnahmen sorgt.
3) Ypsomed
Ein weitere Firma ist Ypsomed, der seinen Burggraben, insbesondere dank des Fokus auf Injektionssysteme, immer weiter ausbaut. Dabei bindet der Medizinaltechniker seine Kunden stark an sich, da ein Wechsel zu einem Konkurrenten aufgrund regulatorischer Auflagen mehrere Jahre in Anspruch nimmt.
Einer dieser Kunden ist Novo Nordisk, der einen starken Einfluss auf die Aktienkursentwicklung seines Zulieferers hat. So hat die Halbierung dessen Kurses innerhalb eines Jahres, auch bei Ypsomed zu Rückgängen geführt. Dabei kommen laut einer Vontobel-Analystin «grundsätzlich alle Pharmaunternehmen und Hersteller von Medikamenten, die nicht als Tabletten geschluckt werden können, als potenzielle Partner infrage.» So haben Pharmaunternehmen allein im Abnehmsegment, über 100 Medikamente in der Pipeline, wovon Ypsomed 40 Medikamente von 31 Kunden in der Pipeline habe.
Weiter kann Ypsomed seinen Kunden dank der Plattformstrategie eine deutlich schnellere Time-to-Market bieten und ein neues Produkt innerhalb von zwei bis drei Monaten auf den Markt bringen, meint Brem von der ZKB. Diese Plattformen hat Ypsomed mit zahlreichen Patenten geschützt. Als letzten Vorteil führt er auf: «Aufgrund der starken Automatisierung ihrer Anlagen ist Ypsomed zusammen mit dem Hauptkonkurrenten SHL Kostenführer. Die niedrigen Produktionskosten ermöglichen es dem Unternehmen, selbst in China mit eigenen Kapazitäten konkurrenzfähig zu sein.»
4) Straumann
Für Raiffeisen-Experte Matthias Geissbühler ist Straumann ebenfalls robust aufgestellt. Der Dentaltechnikkonzern operiert in einer «oligopolitischen» Struktur und ist bei den Zahnimplantaten Weltmarktführer. Ausserdem hat Straumann dank der hohen Innovationskraft, dem Vertriebssystem und der engen Zusammenarbeit mit Zahnärzten - also Aus- und Weiterbildungsprogrammen - eine starke Stellung. Auch demografische Trends spielen dem Konzern in die Karten. Laut den Prognosen von Raiffeisen dürfte der Gewinn des Konzerns in den kommenden drei Jahren zwischen 12 und 14 Prozent pro Jahr steigen.
Derzeit schliesst sich der Aktienkurs nicht ganz dem Optimismus von Geissbühler an. Zum Allzeithoch im März vergangenen Jahres fehlen rund 37 Prozent. Dennoch gilt der Titel als «wachstumsstark», was laut Geissbühler auch das etwas teurere Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) auf die diesjährigen Ergebnisse von 30 begründet.
Seine Berufskollegen von Stifel und der Helvetischen Bank (HB) sind ebenfalls positiv. Es sieht so aus, dass «schon einige Sorgen im Preis eskomptiert» seien, was die gegenwärtigen Kurse auf längere Sicht «nun wirklich interessant» macht, so die HB. Stifel erwartet im Feld der Dentalimplantologie eine überdurchschnittliche Performance von Straumann.
5) Swiss Prime Site
«Last but not least» schafft es auch das grösste börsennotierte Schweizer Immobilienunternehmen in die Auswahl der Burggraben-Titel. Swiss Prime Site (SPS) hat in den letzten Jahren eine umfassende Neuausrichtung vollzogen und will sich von unprofitablen Aktivitäten abspalten. Der Verkauf von Tertianum (2020) und Wincasa (2023) sowie die geplante Schliessung des Warenhauses Jelmoli (2025) haben das Unternehmen zu einer fokussierteren Immobiliengesellschaft gemacht.
«SPS besitzt ein attraktives Gewerbe-Immobilienportfolio an attraktiven Lagen mit tiefem Leerstand in Schweizer Grossstädten mit Schwerpunkt Zürich und Genf», begründet Julius Bär. Ausserdem bildet die starke Entwicklungs-Pipeline, ein wachsendes Immobilien-Asset Management Geschäft und der Abschluss der Renovierung des Jelmoli-Gebäudes in Zürich bis 2027 eine gute Basis für weiteres stetiges Cash-Gewinn-Wachstum.
Ende Februar hat SPS sein Kapital durch eine Aktienplatzierung um 300 Millionen Franken aufgestockt. Daraufhin profitierte die defensive Aktie wie auch Lindt von seinem Sicherheits-Status. Während also Aktien aus der Industrie oder Technologie durch Trumps Zollentscheid abgestraft wurden, glänzten diejenigen der Immobiliengesellschaften. Die Aktie von SPS hat das Rekordhoch vom Januar 2000 aktuell fast egalisiert.