Mit Blick auf das Szenario einer Abfolge von zwei Quartalen mit schrumpfender Wirtschaftsleistung sagte Ifo-Chef Clemens Fuest am Dienstag beim sogenannten Leibniz-Wirtschaftsgipfel: "Wir sind da genau an der Grenze - also wahrscheinlich schon". Doch werde eine Rezession eher flach ausfallen, fügte er auf dem Online-Forum führender Konjunkturforscher hinzu.

Denn einige Probleme, wie etwa die Störung der Lieferketten, lösten sich etwas. Wegen der abgewendeten Erdgasmangellage sei es wahrscheinlich, dass Deutschland einigermaßen gut durch den Winter komme. "Aber vielleicht nicht so gut durch den nächsten", fügte er hinzu. Auch wegen der noch anstehenden Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank und einer möglichen "Übersteuerung" seien daher Sorgen mit Blick auf die Aussichten für das nächste Jahr berechtigt.

Laut dem Präsidenten des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Reint Gropp, lehrt die Geschichte, dass Rezessionen oft durch sehr starke Zinserhöhungen der Zentralbanken ausgelöst wurden: "Es könnte sehr gut sein, dass wir dieses Szenario doch wieder sehen im nächsten Jahr."

Auch der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, warnte vor Gefahren: "Die Risiken, die Unsicherheiten waren selten größer als heute", sagte der Berliner Forscher. So dürften die Reallöhne in diesem Jahr bei erwarteten Inflationsraten von fünf bis sechs Prozent erneut schrumpfen. Sorge bereitet ihm zudem ein drohender Subventionswettlauf mit den USA, die Hunderte Milliarden Dollar zur Förderung klimafreundlicher Technologien ausgeben wollen. Deutschland und Europa müssten darauf antworten, indem sie für verbesserte Rahmenbedingungen sorgten - etwa für Forschung und Entwicklung.

Absage an Subventionen

Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) rechnet ungeachtet der Probleme nicht mit einer Deindustrialisierung in Deutschland. "Diese Befürchtungen habe ich nicht", sagte IfW-Vizepräsident Stefan Kooths. Der Maschinenbau als deutsche Vorzeigebranche etwa habe volle Auftragsbücher. Es ergebe aber wenig Sinn, angesichts hoher Strompreise energieintensive Branchen wie die Batteriehersteller zu fördern.

Die Bundesregierung rechnet auch wegen zurückhaltend investierender Unternehmen mit einer Konjunkturflaute in den ersten Monaten des Jahres. Diese wird auch nach Einschätzung des Bundeswirtschaftsministerium insgesamt wohl mild ausfallen. Dennoch belasten demnach die zunehmend bei den Verbrauchern ankommenden Preissteigerungen, Unsicherheiten über die wirtschaftlichen Aussichten und steigende Zinsen die konjunkturelle Entwicklung.

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist vor der Jahreswende überraschend um 0,2 Prozent gesunken, nachdem es im Sommerquartal noch um 0,5 Prozent zugelegt hatte. Kommt es im laufenden ersten Vierteljahr zum zweiten Minus in Folge, sprechen Volkswirte von einer technischen Rezession. Für 2023 rechnet das Bundeswirtschaftsministerium mit einem Plus beim BIP von 0,2 Prozent. Im vergangenen Jahr hatte es noch zu einem Zuwachs von 1,8 Prozent gereicht.

(Reuters)