Einige Experten hatten schon für die Juni-Sitzung der Schweizerischen Nationalbank (SNB) mit Negativzinsen der Währungshüter gerechnet. Verbreitet war auch die Ansicht, die SNB werde erst später im Jahr den Schritt unter die Null-Prozent-Schwelle machen. Mittlerweile hat sich das Meinungsbild gewandelt: Laut einer Bloomberg-Umfrage sieht eine Mehrheit von Beobachtern keine weitere Zinssenkung in diesem Jahr. Der SNB-Leitzins würde damit bis mindestens März 2026 bei 0 Prozent verharren.
Die Hemmschwelle, die Zinsen weiter zu senken, sei für die Nationalbank hoch, schreibt Thomas Stucki, Anlagechef der St. Galler Kantonalbank, in einem Kommentar von Anfang Woche. Er geht davon aus, dass die Zinssenkungen der SNB für diesen Zyklus zu Ende sind. Denn laut der aktuellen SNB-Inflationsprognose wird die Teuerungsrate von gegenwärtig minus 0,1 Prozent wieder ansteigen und ab der zweiten Jahreshälfte 2026 zwischen 0,5 und 1 Prozent betragen. Sie liegt damit im Zielband der SNB, das sich von 0 bis 2 Prozent erstreckt. Insofern ist die Lage unter Kontrolle und kein weiterer Handlungsbedarf angezeigt.
Zudem seien noch tiefere Zinsen kaum wirksam gegen einen weiterhin starken Franken, meint Stucki weiter. Um eine Frankenaufwertung abzubremsen, braucht es laut Stucki mehr als bloss eine Leitzinssenkung auf minus 0,25 Prozent - und selbst dann seien die Erfolgsaussichten gering, so der SGKB-Anlagechef, der früher bei der SNB gearbeitet hat und Leiter des Bereiches Asset Management war.
Die USA haben der Schweiz wiederholt Währungsmanipulation vorgeworfen
Seiner Einschätzung nach wird die Nationalbank eine langsame Aufwertung des Frankens zulassen, aber auf eine Aufwertungsspekulation und starke Bewegungen der Währung reagieren müssen. «Das wirksamste und letztendlich einzige Mittel dagegen sind Interventionen am Devisenmarkt», schreibt er - und führt aus, er glaube nicht, dass die SNB Devisenmarkteingriffe im momentanen Umfeld verbreitet einsetzen kann und will.
Allerdings: Die Nationalbank werde dieses Werkzeug «sicher benutzen, wenn es kurzfristig zu starken Bewegungen kommt wie Anfang April». Damals wertete der Franken gegenüber dem Euro innert Tagen 95,67 auf 92,27 Rappen auf; zum Dollar erstarke er von 88,43 auf 81,00 Rappen. Getrieben wurden die Kursbewegungen von der Eskalation des Zollstreits respektive den Zollankündigungen des US-Präsidenten Donald Trump.
Damit Devisenmarktinterventionen wirksam sind, sei es entscheidend, «dass die SNB den Markt wissen lässt, dass sie dahintersteckt», erklärt Stucki. Bisher sei die Notenbank diesbezüglich «sehr zurückhaltend» gewesen. Der Grund: Die USA haben der Schweiz wiederholt Währungsmanipulation vorgeworfen. Die SNB steht also auch unter diesem Aspekt unter Beobachtung der US-Administration - was Eingriffe in den Devisenmarkt äusserst heikel macht.
«In diesem Umfeld wird der Franken als sicherer Hafen gesucht sein»
Geopolitische Unsicherheiten würden kaum abnehmen, sagt Stucki. Das Gleiche gelte für die konfrontative Politik der US-Administration unter Donald Trump. «In diesem Umfeld wird der Franken als sicherer Hafen gesucht sein.» Ob davon eine eher allmähliche Frankenaufwertung ausgeht, welche die SNB hinnehmen wird, oder ob heftige Währungsschrankungen auftreten, welchen die Nationalbank begegnen würde, ist grundsätzlich offen.
Hinweise liefern die Erfahrung von Anfang April. Die dann eingeschlagene US-Zollpolitik kam zwar nicht unerwartet, galt aber als der bis dato aggressivste und folgenschwerste Schritt in der Handelspolitik des US-Präsidenten. Er schlug an den Finanzmärkten hohe Wellen. Entsprechend: Weitere grössere Marktbewegungen sind möglich, wenn auch nicht zwingend.
Gemäss der geldpolitischen Lagebeurteilung vom Juni hält sich die SNB Optionen offen: «Bei Bedarf sind wir weiterhin bereit, am Devisenmarkt aktiv zu sein», sagte Nationalbankpräsident Martin Schlegel.
Ohnehin ist die Lage für die SNB delikat. Devisenmarkteingriffe sind womöglich verfänglich und die Zinsen sehr tief, obwohl die Konjunktur keinen markanten Einbruch zeigt und die wirtschaftliche Lage in der Schweiz insgesamt stabil ist. Sprich: Eine weltweite Rezession, die auch die Schweiz beträfe, würde die SNB wohl zu einer weiteren geldpolitischen Lockerung veranlassen - womit Negativzinsen wiederum aktuell würden.
Ein Weg, der dieses Szenario umgeht, führt über einen erneuten Inflationsschub, der zum Beispiel durch einen Anstieg der Erdölpreise ausgelöst wird. Diesfalls dürfte die SNB die Zinsen wieder anheben - mit unterschiedlichen Folgen für Anleger, Immobilienbesitzer, Mieter und Sparer.