Dass es zu einer schnellen Rezession kommt, kann zwar nicht ausgeschlossen werden; Experten gehen aber eher nicht davon aus, solange die für die Schweiz sehr wichtigen Pharmaexporte nicht auch noch mit einem hohen Zollsatz belegt werden.

Solange die Pharmabranche vom 39 Prozent-Zollsatz ausgeschlossen bleibt, wäre das BIP-Wachstum noch positiv im Schnitt bei 0,7 Prozent, meint Claude Maurer, Chefökonom bei BAK Economics, gegenüber der Nachrichtenagentur AWP. Auf dem aktuellen Stand würden die Zölle seiner Berechnung nach rund 0,3 Prozent an Wachstum kosten über die kommenden Jahre und hätten einen Verlust von rund 12'500 Stellen zur Folge.

Stagnation wahrscheinlich

Einen etwas höheren Wachstumsverlust von 0,7 Prozent sieht Renato Flückiger, Chefökonom und Chief Investment Officer bei der Valiant Bank aufgrund einer ersten Analyse der Schweizer Exporte (ohne Pharmazölle). «Mit unserer ursprünglichen BIP-Annahme von ca. 1 Prozent für die Schweiz würde also selbst der heutige US-Zollansatz die Schweiz nicht in eine Rezession, sondern vermutlich in eine Stagnation führen», meint er.

Der letzte grosse Konjunktureinbruch hierzulande war Anfang 2020 mit Aufkommen der Corona-Pandemie. Mit dem grossen Lockdown kam es bekanntlich zu einem schnellen und scharfen Einschnitt. Diesmal dürfte der Effekt allerdings langsamer einsetzen, insbesondere in der realen Betrachtung, wie Claude Maurer meint. «Die Mengen werden nicht rasch wegbrechen, weil viele Schweizer Güter nicht einfach substituierbar sind», sagte er. Die Margen würden aber sinken, weil Produzenten Preisnachlässe gewähren werden. 

Auch für Arthur Jurus von Oddo BHF ist die Situation nicht vergleichbar mit der Pandemie. Der aktuelle Schock sei vielmehr sektorenspezifisch und betreffe hauptsächlich Exporte in die USA. «Der Effekt wird sich über mehrere Quartale langsam entfalten - durch Margenrückgänge, rückläufige Aufträge und erschwerten Marktzugang», so der Bankökonom. Eine schnelle, umfassende Rezession sei daher derzeit eher unwahrscheinlich.

Renato Flückiger zieht derweil den Vergleich mit der Aufhebung der Euro/Franken-Untergrenze vor gut 10 Jahren. «Der 39 Prozent-Importzoll-Schock für Schweizer US-Exporte erinnert in seiner Wucht an den 'Franken-Schock' vom 15. Januar 2015», meint er. Die Parallelen lägen insbesondere darin, dass jeweils ein externer Schock - über Nacht und weitgehend unvorhersehbar - die Preis- und Margensituation fundamental verschlechtert habe.

Unterschiede gebe es aber vor allem bei der Betroffenheit: 2015 habe die gesamte Exportwirtschaft durch den teuren Franken gelitten, diesmal träfen die Zölle gezielt Exporteure in die USA. Auch der Mechanismus der Anpassung unterscheide sich: «Während 2015 die Unternehmen vor allem über Preise, Löhne und Automatisierung reagieren mussten, sind nun Standortentscheide, Marktdiversifikation und Produktionsverlagerungen zentral.»

Was ist zu tun?

Die Schweizer Regierung wird - sofern in den nächsten Tagen nicht noch ein besseres Abkommen mit den USA abgeschlossen werden kann - nicht darum herum kommen, stützende Massnahmen zu ergreifen. Arthur Jurus von Oddo BHF sieht drei Handlungsfelder, die zentral seien. Erstens die Diplomatie, also direkte Gespräche mit Washington oder über die WTO, um einen ähnlichen Tarif wie die EU (15 Prozent) zu erreichen.

Ein zweites Feld wäre die Makropolitik, in dem die Wettbewerbsfähigkeit durch steuerliche Anreize (z.B. für Forschung und Entwicklung) und gezielte Konjunkturmassnahmen verbessert würde. Ein drittes Feld wäre auf Ebene Strategie, in dem die Diversifikation der Exportmärkte gezielt vorangetrieben würde. Claude Maurer seinerseits nennt Kurzarbeit, Freihandelsabkommen und Anrufen der WTO als wirtschaftspolitische Massnahmen, welche die Schweiz zum jetzigen Zeitpunkt und schnell ergreifen kann.

«Das Gebot der Stunde ist schnelles, pragmatisches Handeln auf allen Ebenen», fasst derweil Renato Flückiger die Lage zusammen: Von der Krisenverhandlung über gezielte finanzielle Unterstützung und Marktdiversifikation bis zur Standort- und Bildungspolitik. Die Schweiz müsse jetzt beweisen, dass sie flexibel und innovationsstark bleibe - nur so liessen sich die Risiken für Exportwirtschaft und Arbeitsmarkt begrenzen und neue Wachstumschancen eröffnen.

Keinen Handlungsbedarf sehen die Experten derweil bei der Schweizerischen Nationalbank (SNB). «Zinssenkungen bringen wenig», so Maurer. Und auch eine aktive Schwächung des Frankens gegenüber dem US-Dollar wäre wohl wenig glaubwürdig und daher schwierig zu bewerkstelligen. Besser sei das zielgerichtete Vorgehen mittels Fiskalpolitik.

Der Leitzins sei mit 0,0 Prozent bereits sehr expansiv, meint auch Flückiger. Wenn die SNB diesen nun panikartig in den Negativbereich senken würde, wäre dies nicht zielführend und würde auch das Problem nicht lösen. Und die SNB habe bereits mehrfach betont, dass sie nicht einzelne Bereiche oder Exportsektoren spezifisch unterstütze, sondern das Gesamtinteresse der Schweizer Wirtschaft berücksichtige. Der Franken könnte sich aber in der aktuellen Unsicherheit um die Schweizer Konjunktur von selbst etwas abschwächen, hofft er.  

(AWP)