Die türkische Lira verharrte auf dem niedrigsten Stand seit zwei Monaten. Die in Dollar notierten Staatsanleihen gaben nach, die Kosten für die Kreditausfallversicherung des Landes schnellten in die Höhe. An der Börse in Istanbul brachen die Kurse ein, der Handel wurde zeitweise unterbrochen. Besonders Bankaktien gerieten unter Druck.

Erdogan liegt nach Auszählung fast aller Stimmen knapp vor seinem Herausforderer Kemal Kilicdaroglu. Keiner der beiden Kandidaten konnte jedoch die absolute Mehrheit bereits im ersten Durchgang hinter sich versammeln, so dass es in zwei Wochen zur Stichwahl kommt. "Das ist eine grössere Enttäuschung für Investoren, die auf einen Sieg des Oppositionskandidaten Kilicdaroglu und eine Rückkehr zu der von ihm versprochenen orthodoxen Wirtschaftspolitik gehofft hatten", sagte Hasnain Malik, Chefanalyst beim Analysehaus Tellimer. Bei der Parlamentswahl liegt Erdogans AK-Partei deutlich vor dem Oppositionsbündnis. Selbst wenn sich Kilicdaroglu im zweiten Wahlgang durchsetzt, hätte er damit nicht die Mehrheit im Parlament.

Bei der Präsidentschaftswahl geht es nicht nur um die Frage, wer das Land regiert - es geht auch darum, wie gross der Einfluss der Politik auf Wirtschaft und Notenbank ist. Erdogan hatte in seiner Amtszeit die Unabhängigkeit der Zentralbank ausgehöhlt. Trotz einer hohen Inflation wurde der Leitzins kaum angehoben, zuletzt wurde er sogar wieder gesenkt. "Das schafft kein Vertrauen", sagte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt bei der VP Bank. Es müsse deswegen auch nicht weiter verwundern, dass sich die Lira im freien Fall befinde.

Am Montag mussten für einen Dollar 19,66 Lira gezahlt werden, damit verharrte die türkische Währung auf dem niedrigsten Niveau seit den Erdbeben vom März, als sie auf ein Rekordtief von 19,80 Lira je Dollar gefallen war. Angesichts der nun bevorstehenden zwei Wochen mit politischer Unsicherheit wäre eigentlich auf den ersten Blick ein stärkerer Rückgang zu erwarten, schrieb Sandra Striffler, Analystin bei der DZ Bank. "Informierten Kreisen zufolge sollen allerdings staatliche türkische Kreditinstitute Dollar verkauft haben, um die eigene Währung zu stützen, was die vordergründige Ruhe der Lira erklären würde", erklärte sie. "Wenngleich dies von offizieller Seite nicht bestätigt ist, so würden Devisenmarktinterventionen zur Stützung der Lira im aktuellen Umfeld ins politische Bild der Regierung Erdogan passen."

Experten gehen jedoch davon aus, dass der türkischen Währung ein weiterer Kursverlust bevorsteht. Die Fachleute von JPMorgan sagen einen Kurs zum Dollar von 24 bis 25 Lira voraus, Goldman Sachs hält eine Abwertung binnen zwölf Monaten um 50 Prozent für möglich. Das wiederum treibt die Lebenshaltungskosten in der Türkei nach oben, weil sich Einfuhren massiv verteuern. Gitzel sagte, sollte eine neue Regierung die Unabhängigkeit der Notenbank garantieren, hätte dies positive Auswirkungen auf die Lira, was die Inflation dämpfen würde. Allerdings sei nicht damit zu rechnen, dass sich mit einer Wiederwahl Erdogans am grundlegenden wirtschaftspolitischen Kurs etwas ändere - deswegen bleibe die Lira unter Druck. "Das latente Risiko eines Zahlungsausfalls würde fortbestehen."

(Reuters)