Ein Trend, den Headhunter beobachten: Banken in der Region nehmen Spitzenkräfte ins Visier, die von der bevorstehenden Übernahme der Schweizer Nummer zwei durch ihren grösseren Rivalen UBS betroffen sind. Auf der anderen Seite erhalten Personalvermittler immer mehr Bewerbungen von Finanzprofis, die befürchten, von solchen Neueinstellungen verdrängt zu werden.

"Europa hebt den Einstellungsstopp auf und stellt in einigen Fällen fest, dass aussergewöhnliche Talente, die früher unantastbar waren, jetzt rekrutierbar sind", erklärt Jeanne Branthover vom Managementberater DHR Global in New York. "Dies veranlasst Unternehmen in Europa, ihre eigenen Mitarbeiter neu zu bewerten, um festzustellen, ob sie dem neuen Standard bemerkenswerter Talente entsprechen, die plötzlich verfügbar geworden sind."

Laut eFinancialCareers sind die Bewerbungen für Stellen im Finanzdienstleistungssektor im ersten Quartal 2023 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum weltweit um zwei Drittel gestiegen. Einer der jüngst angekündigten hochkarätigen Wechseln gehört William Mansfield. Der Leiter des Fusionsgeschäfts von Credit Suisse in der Region Europa, Naher Osten und Afrika (EMEA) heuert bei der Deutschen Bank an. Sein ehemaliger Kollege Cathal Deasy tritt derweil eine Stelle als Co-Leiter des Investmentbankings bei Barclays an.

Talente fluten den Markt

Solche Wechsel erfolgen vor dem Hintergrund des weiterhin flauen Geschäfts mit Börsengängen und Fusionen, die die Ertragsaussichten der Institute für dieses Jahr trüben. Gleichzeitig warten Tausende von UBS- und Credit Suisse-Mitarbeitern auf Klarheit über ihre Zukunft. Medienberichten zufolge könnte UBS nach der Übernahme der Credit Suisse bis zu 30 Prozent der Stellen des neuen Konzerns streichen. UBS lehnte eine Stellungnahme ab.

Samantha Pusey von der Personalberatungsfirma The Curve Group beobachtet, dass die Unternehmen Qualifikationslücken analysieren, um den Personalbedarf für ihre Wachstumsvorhaben abzustecken. Dabei solle auch ermittelt werden, wo das bestehende Personal im Vergleich zu möglichen Kandidaten schlecht abschneide. "Wir beobachten, dass Leute auf der Ebene von Senior Director und Vice President, die in der Vergangenheit wahrscheinlich nicht offen für neue Möglichkeiten waren, jetzt den Markt fluten", so Pusey.

Auch kleinere Finanzunternehmen dürften von der Zunahme der Stellensuchenden profitieren, erklärt Darren Burns von Morgan McKinley. In den vergangenen Jahren hätten diese gegenüber Konkurrenten mit tieferen Taschen wiederholt das Nachsehen gehabt: "In den letzten zwei Jahren hat der grosse Einstellungsbedarf angesichts des Fachkräftemangels im gesamten Finanzsektor dazu geführt, dass die grossen Unternehmen viel zu viel für talentierte Mitarbeiter gezahlt haben, was zu Gehaltsangeboten führte, die 20 bis 30 Prozent höher waren als zuvor", sagte er. "Die kleineren oder weniger renommierten Firmen sind jetzt in der Lage, mitzuziehen, und werden sich die besten Talente schnappen."

Viel Geld für Neuzugänge

Experten gehen davon aus, dass der Stellenabbau mittelfristig Druck auf das Gehalts- und Bonuswachstum ausüben wird. Vorerst dürften aber ehrgeizige Banken viel Geld für namhafte Neuzugänge ausgeben. Die dafür notwendigen Mittel werden sie sich wohl holen, indem sie Stellen im Back-Office oder in Bereichen, die nicht mit Kunden zu tun haben, streichen. Im ersten Quartal 2023 verbuchten die Beschäftigten im Geschäfts- und Finanzsektor mit 8,8 Prozent das grösste durchschnittliche Wachstum bei den regulären Gehältern in Grossbritannien. Die übrigen Beschäftigten im Privatsektor erhielten lediglich sieben Prozent mehr. 2022 hatten Konzerne wie Barclays und HSBC angesichts der geringeren Gebühreneinnahmen im Transaktionsgeschäft die Bonustöpfe beschnitten.

Während Spitzenkräfte gesucht werden, sind mehrere Banken dabei, ihre Mitarbeiterzahl in einigen Geschäftsbereichen zu senken, um zu sparen. So lotet etwa die amerikanische Morgan Stanley im zweiten Quartal Stellenstreichungen aus, während die französische BNP Paribas Jobs durch freiwillige Abgänge und interne Verschiebungen kürzt. Die Deutsche Bank peilt bei ihren 87'000 Mitarbeitern einen Abbau von 800 Stellen an.

Die Sorge um eine mögliche Ansteckung der europäischen Bankbranche durch die Probleme im US-Regionalbankensektor veranlasst Banker, nach einem sichereren Arbeitsplatz Ausschau zu halten. Diese verlangen mitunter auch Treffen mit den Finanzchefs, um die finanzielle Verfassung ihrer potenziellen zukünftigen Arbeitgeber besser abschätzen zu können, erklärte Duncan Finlayson von Raines International. "Zweifellos stehen einige der etablierteren Finanzdienstleistungsunternehmen unter verschärfter Beobachtung." 

(Reuters)