Die Wahlen Mitte Mai dürften für Erdogan ohnehin zur grössten Herausforderung in seinen zwei Jahrzehnten an der Spitze der Türkei werden. Das Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion wird nun zur Probe. Jeder Fehltritt oder Vorwurf, es stünden nicht genügend Rettungskräfte zur Verfügung, wirken sich Experten zufolge negativ aus.

Bislang halten sich die sechs Oppositionsparteien weitestgehend mit Kritik zurück. Sie bemängelten zwar wie Betroffene auch, dass die Behörden in einigen Teilen der Erdbebenregion zu langsam reagierten und nicht gut genug ausgestattet seien. Die Regierung riefen sie aber lediglich auf, ohne jegliche Diskriminierung den Betroffenen zu helfen.

Analysten rechnen eher damit, dass Erdogan den Umgang mit dem Erdbeben und dem daraus resultierenden Wiederaufbau zu seinen Gunsten nutzen kann. "Erdogan hat schnell und konsequent auf die Krise reagiert", erklärt die Beratungsfirma Eurasia Group. "Das wird sein Image vor der Wahl am 14. Mai aufpolieren - wenn die Regierung das Momentum aufrechterhält."

Erdogan gilt als guter Wahlkämpfer. Zudem hat er bereits Erfahrung mit Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Waldbränden. Die Kosten für den Wiederaufbau der von dem Erdbeben betroffenen Region dürfte viele Milliarden Dollar verschlingen, sagt Analyst Atilla Yesilada von Global Source Partners. Das Ausmaß könnte sowohl die Wirtschaft als auch die Politik umkrempeln. Ob die Präsidenten- und Parlamentswahlen dort überhaupt vonstattengehen könnten, sei fraglich.

Erdogan steht mit seiner islamisch-konservativen AKP seit 2003 an der Spitze der Türkei. Umfragen vor dem schweren Erdbeben deuteten auf ein enges Rennen hin. Die regierende AKP dürfte demnach zwar wohl stärkste Kraft im Parlament bleiben. Aber in den Zustimmungswerten liegt Erdogan gegenüber einigen potenziellen Gegenkandidaten zurück.

Insbesondere bei Wechselwählern könnte die Reaktion der Regierung auf das Erdbeben ihre Entscheidung beeinflussen, sagt Hasnein Malik, Analyst bei dem Finanzdienstleister Tellimer in Dubai. "Die meisten Wähler haben sich aber bereits festgelegt."

(Reuters)