So haben mehr als 72 Prozent der Überläufer aus Nordkorea, die zwischen 2016 und 2020 ins südlichen Nachbarland kamen, in dem immer wieder von Nahrungsmittelknappheit betroffenen Norden etwa nie vom Staat Essensrationen erhalten. Im Zeitraum vor 2000 waren es demnach 62 Prozent. Das ging am Dienstag aus einer 280 Seiten starken Studie von Südkoreas Vereinigungsministeriums hervor. Dafür wurden Interviews mit mehr als 6300 Geflüchteten ausgewertet, die zwischen 2013 und 2022 geführt wurden.

Die Ergebnisse der Studie zeichnen das Bild eines abgeschotteten Landes mit einer zunehmenden Schattenwirtschaft. Die Haushaltseinkommen der zwischen 2016 und 2020 geflohenen Personen sind demnach durchschnittlich zu 69 Prozent informell erzielt worden, verglichen mit rund 39 Prozent in der Gruppe vor dem Jahr 2000. Eine Entlohnung in Form eines Gehalts oder von Lebensmitteln gab es für die Hälfte der Befragten aus dem Zeitraum 2016 und 2020 nicht. Vor 2000 galt das erst für ein Drittel. Der Anteil des inoffiziell erwirtschafteten Familieneinkommens - wie auf Märkten oder mit Schwarzarbeit - hat nach Angaben der Überläufer gleichzeitig zugenommen.

Das isolierte Nordkorea hatte in der Vergangenheit immer wieder mit Nahrungsmittelknappheiten zu kämpfen, darunter eine Hungersnot in den 1990er Jahren. Hinzu kamen oft Naturkatastrophen, die die Lage verschärften. Internationale Sanktionen im Zusammenhang mit dem Atom- Raketenprogramm setzen der nordkoreanischen Wirtschaft zu, der Grenzhandel ist seit der Corona-Pandemie geschrumpft.

«Die Bereiche Wohnen, Gesundheit und Bildung der nordkoreanischen Bevölkerung sind immer noch unterentwickelt», sagte der südkoreanische Vereinigungsminister Kim Yung-ho. Korruption ist dem Ministerium zufolge an der Tagesordnung: Über die Hälfte der Befragten aus 2016 und 2020 haben demnach Beamte des autoritären Staates bestochen, ein deutlicher Anstieg gegenüber den 14 Prozent vor 2000.

Trotz der Abschottung Nordkoreas weist die Studie auf einen wachsenden kulturellen Einfluss von aussen hin. Mehr als 80 Prozent aller Überläufer nach 2016 gaben an, sich ausländische Videos wie etwa Filme aus China oder Südkorea angesehen zu haben. Aus der Zeit vor 2000 berichteten dies nur acht Prozent. Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un ist dieser Trend ein Dorn im Auge - südkoreanische Unterhaltung sowie das Nachahmen der Sprechweise des Nachbarn sind im Norden streng verboten. Es drohen drakonische Strafen, die Gesetze wurden 2020 verschärft.

Im Januar verbreitete das Südkorea nahestehende Institut South and North Development (Sand) ein Video, das die Verurteilung von zwei Jugendlichen zu zwölf Jahren Schwerstarbeit zeigen soll. Ein Gericht habe den beiden Jungen vorgeworfen, über drei Monate hinweg Filme, Musik und Musikvideos (K-Pop) aus Südkorea angesehen und verbreitet zu haben.

(Reuters)