Unter dem Hauptsitz der UBS in der Zürcher Bahnhofstrasse, wo schwarze Mercedes-Limousinen ihre Passagiere absetzen und abholen, steht neben den Aufzügen ein zylindrischer Aschenbecher. Hierher zieht sich Iqbal Khan, der mächtige Chef des Wealth Managements, gerne für eine Zigarettenlänge zurück.

Die unterirdische Raucherecke ist zu einem diskreten Treffpunkt geworden, an dem Khan sich zwanglos mit seinen Kollegen unterhalten kann. Thema Nummer Eins war in zuletzt immer wieder die Ausrichtung der Bank. Von seinem rauchfreien Büro im dritten Stock aus wirbt Bankchef Ralph Hamers für seine Vision einer modernen Bank, die sich für das digitale Zeitalter fit macht.

Digital, oder weiterhin persönlich?

Der in den Niederlanden geborene CEO - der bei seinem Amtsantritt vor zwei Jahren weithin als Überraschungsbesetzung galt - arbeitet an einer Straffung der byzantinischen Managementstruktur der Bank und versucht ihre Bedeutung in den USA zu stärken. Denn dort steht die UBS im Schatten der Konkurrenz von der Wall Street. Dafür setzt Hamers auch auf die margenschwächere "Robo"-Beratung über Algorithmen und mobile Apps - schwere Kost für eine Generation von Bankern, die stolz darauf ist, ihren reichen Kunden persönliche Beratung zu bieten.

Hamers und Khan symbolisieren divergierende Wege in die Zukunft der UBS. Khan ist ein Privatbankier alter Schule, der den reichsten Menschen der Welt massgeschneiderte Dienstleistungen anbietet. Hamers hingegen ist bestrebt, die Pforten der UBS auch jenen wohlhabenden Kunden zu öffnen, die nicht zur Elite der Superreichen gehören.

Jene, die Khans traditionelleres Modell bevorzugen, sind besorgt über eine mögliche Verwässerung der angesehenen Marke als Bank der Reichen, die über 160 Jahre aufgebaut wurde. Und Khans Anhänger haben ein triftiges Argument auzf ihrer Seite: Das von dem 46-Jährigen geleitete Geschäft hat in den letzten drei Geschäftsjahren mehr als die Hälfte der Erträge der Bank erwirtschaftet.

Wealthfront-Absage ein Setback für Hamers

Im September erlitt Hamers einen strategischen Rückschlag, als der Kauf des US-amerikanischen Robo-Advisors Wealthfront im Wert von 1,4 Milliarden Dollar abrupt scheiterte, den der CEO selbst eingefädelt hatte. Die Kehrtwende hat intern den Eindruck verstärkt, dass sich der CEO noch nicht etabliert hat und die Konturen seines Vorstosses im Bereich des digitalen Bankings noch unklar sind. Khan hingegen hat seine Position weiter gefestigt.

Die an der Spitze herrschende Dynamik hat zu Rissen innerhalb von UBS geführt, wo sich in den letzten Monaten mehrere Fraktionen gebildet haben. Eine davon schart sich um Khan. Ein anderer Block formiert sich um die rund 200 obersten Manager, die die operative Führungsarbeit machen und bei der von Hamers angestrebten Abflachung der Hierarchie viel zu verlieren haben. Und schliesslich gibt es Colm Kelleher, den neuen Verwaltungsratsvorsitzenden, der den Kurs der Bank mitgestalten will und der zwischen den Gruppen vermitteln muss.

UBS, ein Bollwerk der Stabilität

Verglichen mit den einschneidenden Umwälzungen, die sich einen Steinwurf entfernt am Paradeplatz bei der Credit Suisse abspielen, könnte man meinen, die UBS sei tiefenentspannt. Mehr als ein Jahrzehnt nach ihrer Rettung durch die Eidgenossenschaft hat sich die Bank zu einem Bollwerk der Stabilität entwickelt: In den letzten drei Jahren hat sie mehr als 18 Milliarden Franken Gewinn eingefahren und wird an der Börse höher bewertet als jede andere europäische Grossbank. Der Aktienkurs ist in den letzten zwei Jahren um 34 Prozent gestiegen, während die Deutsche Bank in diesem Zeitraum nur 7 Prozent zugelegt und die Credit Suisse fast die Hälfte ihres Wertes verloren hat. Die Kehrseite dieses stetigen Erfolgs ist, dass strategische Veränderungen gegenüber den Mitarbeitern in höherem Masse gerechtfertigt werden müssen.

Khan gelang der grosse Durchbruch im Juli, als er die Alleinverantwortung für das Wealth Management der UBS übernahm, nachdem Co-Chef und UBS-Urgestein Tom Naratil in den Ruhestand ging. Mit der Beförderung erhielt Khan deutlich mehr Einfluss auf den wichtigsten Geschäftsbereich der UBS und damit auch in der Geschäftsleitung.

Insbesondere erlaubt ihm seine Rolle, die Konzernhierarchie zu umgehen, da er direkten Zugang zu den wichtigsten milliardenschweren Investoren der Welt hat, darunter auch zu den Kunden im Nahen Osten, die zugleich Grossaktionäre der Bank sind.

Konflikt um die Herstellung der Kundenbeziehungen

Als versierter Netzwerker lädt Khan gerne Wirtschaftsführer, Kunden und Aktionäre in seine Villa mit Seeblick in Zürich ein. Regelmässig fliegt er mit dem Firmenjet rund um den Globus, um Kunden zu besuchen. Wie er letzten Monat auf einer Konferenz sagte, "beginnt alles, was wir tun, mit den Kunden".

Wie diese Kundenbeziehung hergestellt wird, genau darum dreht sich der Konflikt. Unlängst hielt Khan Mitarbeiter der UBS in Los Angeles dazu an, Beziehungen "nicht zu Maschinen, sondern zu Menschen" aufzubauen, wie ein Teilnehmer des Meetings berichtet. Hamers hingegen sagt, dass die Kunden die UBS loben für ihre hervorragenden Produkte und brillante Beratung, aber dass die Bank ihr digitales Angebot verbessern müsse.

Die Dynamik zwischen Khan und seinem Chef ist auch wegen der Vorgeschichte Gesprächsthema. Khan wechselte 2019 von der Credit Suisse zur UBS. Dort war es zu Spannungen mit dem damaligen CEO Tidjane Thiam gekommen, nachdem Khan sich bei einer Beförderung übergangen fühlte. Die Trennung verlief turbulent, und die Credit Suisse setzte sogar Spitzel auf den eigenen Starbanker an. Auch deshalb hält sich Khan in der Öffentlichkeit zurück, auch deshalb raucht er lieber in der Tiefgarage als auf dem Trottoir wie andere Mitarbeiter.

Gespräche in der Raucher-Ecke

Zu Khans Raucherkameraden gehört auch Risikochef Christian Bluhm, der zu einem wichtigen Mitstreiter geworden ist. In enger Zusammenarbeit mit Bluhm hat Khan dazu beigetragen, das Kreditportfolio der UBS an reiche Kunden aufzubauen, was zu enormen Zinseinnahmen führte. In den letzten zweieinhalb Jahren wurden über 10 Milliarden Franken Nettozinsertrag verbucht - ein Erfolg, der intern kaum zu übersehen ist.

Khan versteht sich informierten Kreisen zufolge auch gut mit Kelleher. Beide haben einen nüchternen, zahlenorientierten Ansatz, der sich oft auf die unmittelbare Leistung konzentriert, heisst es.

Freilich hat Hamers aufgrund seiner Position immer noch einen besseren Zugang zum Verwaltungsrat. In seinem ersten Jahr beförderte er weitgehen Führungskräfte, die er von seinem Vorgänger Sergio Ermotti geerbt hatte, anstatt die Führungsriege mit seinen eigenen Leuten zu besetzen. 

Er hat einige neue Managerinnen geholt, etwa Finanzchefin Sarah Youngwood und Chefjuristin Barbara Levi. Er hat jedoch weder einen COO noch einen Stabschef, zwei Funktionen, die einem CEO typischerweise helfen, schwierige Entscheidungen zu treffen und bei widerspenstigen Untergebenen durchzusetzen.

Thronfolger im Wartestand

Khan gilt in der Bank als Thronfolger im Wartestand, und einige Kollegen monieren, dass er sich zuweilen auch so geriere, berichten Personen, die mit der Situation vertraut sind. So haben Manager schon bei Meetings auf Khan warten müssen, selbst wenn auch Hamers teilnahm, was manche als Machtspielchen wahrnehmen, heisst es.

Für Hamers versprach der geplatzte Wealthfront-Deal, mehreren seiner Ziele näherzukommen. Die Übernahme hätte ihm mehr als 470'000 zusätzliche US-Kunden beschert, und zwar vor allem jüngere, die noch dabei sind, Vermögen zu bilden. Sie hätte die Präsenz von UBS im grössten Markt für reiche Kunden gestärkt und dem digitalen Engagement der Bank einen Schub gegeben.

Die ING-Gruppe hat Hamers in seinen sieben Jahren als CEO mit einer ordentlichen Dosis Digitalisierung ausgestattet. Seiner Meinung nach muss sich die Bankenbranche jetzt anpassen, wenn sie relevant bleiben will. "Warten wir nicht darauf, dass uns jemand das Wasser abgräbt, sondern machen wir es selbst", sagte Hamers in einem Interview Anfang des Jahres, in dem er seine digitale Strategie erläuterte. "Trauen Sie sich, Ihr eigenes Geschäft zu kannibalisieren? Sie haben keine andere Wahl."

Aber die Entwicklung neuer mobiler Anwendungen, der Aufbau von Geschäftsbereichen und die Verbesserung der Kundeninteraktionen gehen nicht so schnell voran, wie Hamers es sich wünschen würde. Die kürzlich lancierte Circle One-App, ein interaktives Tool, mit dem sich Kunden über Ideen austauschen und Research und Strategien der UBS abrufen können, ist vorerst nur in Asien verfügbar.

«Zu abgehoben und verkopft»

Selbst um diese begrenzte Kapazität in 12 Monaten auf die Beine zu stellen, musste ein externes Entwicklerteam angeheuert werden - das interne hätte mehr als doppelt so lange gebraucht. Die Auslagerung beschleunigte zwar die Umsetzung, vergrätzte aber die eigenen Programmierer, die sich übergangen fühlten.

Bei einigen Mitarbeitern kommt Hamers als zu abgehoben und verkopft an. Die Banker beschweren sich darüber, dass sie durch endlose Workshops geschleust werden, die sie als Ablenkung empfinden und die dem Vernehmen nach zu wachsendem Unmut in der Belegschaft führen. Strategen und Berater des CEO werden verspottet für bunte Diagramme und hübsche Präsentationen, die nur so strotzen vor Management-Powerwörtern wie "agil", "Purpose" und "Flywheel", Ausdrücke, mit denen traditionelle UBS-Banker nichts anfangen können.

Im Kern besteht die Herausforderung für Hamers darin, einer Institution, die in der Tradition der Schweizer Armee steht, eine neue Mentalität zu vermitteln. Sein Managementstil stösst einigen Führungskräften der alten Schule sauer auf, die an endlose Stunden im Büro gewöhnt sind. Hamers beginnt den Tag gerne mit einem Frühschwimmen im Zugersee in der Nähe seines Hauses und arbeitet dann an E-Mails, Dokumenten und Berichten, manchmal von zu Hause aus. Der Niederländer hält lange Tage am Schreibtisch für überbewertet und findet, dass er das Geschäft auch von seinen mobilen Geräten aus führen kann.

Intern baut die UBS zum auf ein hierarchisches Korsett in Kombination mit der Aussicht auf einen Aufstieg. Innerhalb dieses Rahmens hat sich eine ausgewählte Gruppe von rund 200 Managing Directors Privilegien erworben, die vom Zugang zum Hauptsitz rund um die Uhr bis hin zu einem privaten Fitnessstudio und einem Fahrdienst reichen.

Schon wenige Monate nach seinem Amtsantritt beschloss Hamers, die seiner Meinung nach undurchlässigen Führungsebenen abzuschaffen. Infolgedessen wurden die Titel des Vice Chair und des Group Managing Director abgeschafft, und einige Vergünstigungen werden schrittweise gestrichen oder für eine grössere Gruppe von Mitarbeitern zugänglich gemacht.

Ursprünglich wollte Hamers alle Ränge - vom Managing Director bis zu den niedrigeren Posten - abschaffen, doch seine Berater rieten ihm davon ab, da sie den Aufruhr voraussahen, den dieser Schritt auslösen könnte.

Da der CEO jedoch weiterhin altbewährte Vergünstigungen, Posten und Strategien verwirft, läuft er Gefahr, Boden an Khan zu verlieren. Der Mann mit der treuen Gefolgschaft baut seinen Einflussbereich allmählich von der Raucherecke der Tiefgarage bis an die Spitze der Bank aus.

Dieser Artikel von Bloomberg basiert auf Gesprächen mit Personen, die mit den Interna der UBS vertraut sind und um Anonymität gebeten haben um offen sprechen zu können. Die UBS lehnte eine Stellungnahme ab.

(Bloomberg/cash)