Richemont ist wie ein Schiff ohne Ruder, bei dem die Anleger sich mehr für die Fusions- und Übernahmespekulationen interessieren als für die Erholung des so genannten harten Luxus. Das schreibt Alphavalue Independet Equity Research mit Sitz in Paris in einem Kommentar.

Die E-Commerce-Einheit YNAP habe die Margen belastet, und die jüngsten Gerüchte, dass Richemont sie ganz oder teilweise ausgliedern könnte, habe die Verwirrung über den Kurs des Unternehmens nur noch vergrössert, schreibt Analystin Jie Zhang in einer Mitteilung an Kunden. Dies sei der "wunde Punkt" und nicht die Ertragsdynamik von Richemont. Alphavalue stellt fest, dass Investoren bereits seit mehreren Quartalen auf "irgendeine Art" der Konsolidierung von Richemont gewettet haben. 

An der Börse wird seit längerem darüber spekuliert, ob Richemont in einem grossen Gruppenverbund wie Kering oder der weltweit grössten Luxusgruppe LVMH Anschluss finden könnte. Seit LVMH den US-Juwelier Tiffany übernommen hat, steht Kering den Experten zufolge in der Pole-Position. Allerdings hatte sich Richemont-Präsident und Haupteigner Johann Rupert noch im November 2020 an einer Medienkonferenz klar gegen einen Verkauf der Gruppe ausgesprochen. Laut einem Artikel auf dem Branchenblog "Miss Tweed" hat Kering mit der Vorzeigemarke Gucci im Januar eine informelle Übernahmeofferte an die Adresse von Richemont gerichtet, die jedoch abgelehnt worden sei.

YNAP kommt nicht auf Touren

"Miss Tweed" schrieb vorletzte Woche ebenfalls, dass Richemont einen Verkauf der 2018 vollständig erworbenen Online-Plattform Yoox Net-a-Porter (YNAP) erwäge. Richemont hat laut der Bank Vontobel seit 2010 bereits mehr als 5 Milliarden Euro in YNAP investiert. Dennoch sei die Sparte mit einem operativen Verlust von 223 Millionen Euro im Fiskaljahr 2021 noch immer stark defizitär.

Gemäss dem Vontobel-Analysten gibt es drei Optionen, wie Richemont mit YNAP verfahren könnte. Sollte YNAP im Konzern verbleiben, wären Investitionen von mehreren hundert Millionen Euro nötig. Zweitens gebe es die Option eines vollständigen Verkaufs, wobei Amazon als möglicher Käufer gehandelt werde. Die wahrscheinlichere Option sei jedoch ein Verkauf der Mehrheitsanteile von YNAP an die Online-Händler Farfetch, Alibaba und andere Luxus-Gruppen. Farfetch, Alibaba und Richemont sind bereits mit einer strategischen Partnerschaft über das Verkaufsportal Tmall Luxury Pavilion verbunden.

Die Kritik von Alphavalue nagt allerdings kaum am Kurs von Richemont, der nach einer zwischenzeitlichen Konsolidierung im August und September seit rund drei Wochen wieder am Steigen ist. Die Aktie legt am Donnerstag um 1,5 Prozent auf 114 Franken zu. Analysten der HSBC erhöhten letzten Woche das Rating von Richemont von "Halten" auf "Kaufen" und schraubten das Kursziel auf 137 Franken hoch. 

(Bloomberg/AWP/cash)