Die Ukraine hat von der EU die feste Zusage für Finanzhilfen von 50 Milliarden Euro in den kommenden Jahren und die Aufnahme von Beitrittsgesprächen erhalten. Auf dem EU-Gipfel in Brüssel wollte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban zwar beide Entscheidungen blockieren. Die EU setzte aber mit einem ungewöhnlichen Manöver die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der Ukraine und auch der Republik Moldau durch. Zudem einigten sich die 26 EU-Staaten am Freitag auf ein Finanzpaket für die EU-Haushalte bis 2027, das auch die Hilfe für die Ukraine enthält. Kanzler Olaf Scholz sprach am Freitag nach Ende des Gipfels von «historischen Entscheidungen». EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gab am Freitag bekannt, dass die EU 1,5 Milliarden Euro aus laufenden Programmen für die Ukraine freigeben werde.
Da das Finanzpaket nur einstimmig verabschiedet werden kann, soll im Januar auf einem Sondergipfel versucht werden, Ungarn noch an Bord zu holen. Scholz und andere EU-Regierungschefs zeigten sich optimistisch, dass dann eine Einigung über die EU-Haushalte bis 2027 gelinge. Ungarn dürfe die EU nicht «als Geisel» nehmen«, warnte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Für den Fall, dass Orban im Januar nicht einlenken sollte, sagte der Kanzler: »Wir haben andere Möglichkeiten, der Ukraine zu helfen.« Denkbar wäre etwa die Einrichtung einer Finanzierungs-Fazilität der 26 EU-Staaten ausserhalb des Haushalts. Auch EU-Ratspräsident Charles Michel betonte, dass die Zusage für die Ukraine über 50 Milliarden Euro auf jeden Fall stehe.
Orbans Sonderrolle als Blockierer
Der zweitägige Gipfel wurde vom Widerstand Ungarns überschattet. »Wir haben Einstimmigkeit minus einer Stimme«, beschrieb Ratspräsident Michel die Lage auf dem Spitzentreffen. Die 26 EU-Staaten nutzten auf Vorschlag von Kanzler Olaf Scholz einen Verfahrenstrick, um die Blockade Ungarns teilweise zu umgehen: Scholz hatte Orban vorgeschlagen, vor der politischen Einigung über die Aufnahme von Beitrittsgesprächen den Verhandlungsraum zu verlassen. Orban war damit einverstanden, dass in seiner Abwesenheit grünes Licht für die Gespräche mit der Ukraine gegeben wurde, kritisierte die Entscheidung aber nachträglich. »Das ist jetzt nichts, was man jedes Mal machen sollte«, betonte der Kanzler. Das Vorgehen sei aber nötig gewesen, um in dieser wichtigen Frage voranzukommen.
Orban betonte, dass er eine Zustimmung zu den Ukraine-Hilfen im Haushalt an die Auszahlung des von der EU-Kommission wegen Rechtsstaatsverstössen zurückgehaltenen Milliarden-Subventionen für sein Land verknüpfen will. »Es ist eine grossartige Gelegenheit für Ungarn, deutlich zu machen, dass es bekommen muss, was ihm zusteht. Nicht die Hälfte oder ein Viertel davon«, sagte er.
Scholz wies dies jedoch umgehend zurück. »Das darf eben nicht miteinander verknüpft werden«, mahnte der Kanzler. Die Freigabe von Geld aus dem EU-Kohäsionsfonds oder dem europäischen Wiederaufbauprogramm für Ungarn müsse »strikt regelkonform« sein. »Das heisst, dass wenn Kriterien nicht erfüllt werden, das in der Konsequenz hat, dass die Zugänge beschränkt sind." Seien die Kriterien erfüllt, könne das Geld aber ausgezahlt werden.
Orbans Blockade hatte auch deshalb Verärgerung bei den EU-Partnern ausgelöst, weil Ungarn in dem mehrjährigen Beitrittsprozess ohnehin angesichts der nötigen Einstimmigkeit bei jeder Eröffnung eines Verhandlungskapitels und am Ende bei der Aufnahme der Ukraine ein Veto einlegen könnte.
Einigung über Mehrausgaben für Migration und Sicherheit
In dem EU-Gipfelbeschluss heisst es, dass die Ukraine 50 Milliarden Euro bis 2027 zur Verfügung gestellt werden sollen. Davon sollen rund 17 Milliarden Euro Zuschüsse und 33 Milliarden Euro Kredite sein. Diese Hilfe soll dem Land Stabilität geben, das sich seit dem russischen Überfall im Februar 2022 gegen Russland verteidigen muss.
In den Verhandlungen über die Anpassung der EU-Haushalte bis 2027 ging es auch um die Frage, ob in den kommenden Jahren für andere Aufgaben mehr Geld ausgegeben werden soll als ursprünglich geplant. In der Gipfel-Erklärung werden zusätzliche zwei Milliarden Euro etwa für Grenzschutzmassnahmen genannt. Für Migrationsabkommen mit Drittstaaten sind weitere 7,6 Milliarden Euro vorgesehen. Der EU-Verteidigungsfonds und der Solidaritäts- und Notfallfonds etwa für Naturkatastrophen sollen jeweils 1,5 Milliarden Euro zusätzlich erhalten.
Um die gestiegenen Kosten für die Rückzahlung der aufgenommenen Kredite im EU-Haushalt zu finanzieren, ist ein kompliziertes neues Konstrukt vorgesehen. Damit wollen die Nationalstaaten sicherstellen, dass sie nicht unbegrenzt mehr Geld nach Brüssel überweisen müssen, sondern zunächst im EU-Haushalt Aufgaben umgeschichtet werden. 10,6 Milliarden sollen in bisherigen EU-Programmen eingespart werden.
(Reuters)