Im Bezirk Nowa Kachowka haben die Behörden den Notstand ausgerufen, meldet die russische Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf einen Erlass der von Russland installierten örtlichen Besatzungsbehörden. Das Gebiet liegt in der von russischen Truppen zum Teil kontrollierten südukrainischen Oblast Cherson.

Nach den Worten des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj haben russische Truppen das Kachowka-Wasserkraftwerk von innen heraus gesprengt. In der Nacht um 02.50 Uhr hätten "russische Terroristen" eine interne Sprengung des Wasserkraftwerks vorgenommen, erklärt der Präsident auf Telegram. "Ungefähr 80 Siedlungen befinden sich im Überschwemmungsgebiet."

Die Zerstörung des Kachowka-Staudammes zeigt nach den Worten von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg die Brutalität des von Russland geführten Krieges in der Ukraine. "Die heutige Zerstörung des Kachowka-Staudamms gefährdet Tausende Zivilisten und verursacht schwere Umweltschäden", erklärt Stoltenberg auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. "Das ist eine ungeheuerliche Tat, die einmal mehr die Brutalität des russischen Krieges in der Ukraine zeigt."

Wasserstrom unkontrollierbar

Der Kachowka-Staudamm bröckelt örtlichen Behörden zufolge weiter. Das strömende Wasser sei nicht kontrollierbar, meldet die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf die von Russland eingesetzte Verwaltung in der Stadt Nowa Kachowka, die direkt am Damm liegt.

Der Wasserstand in Nowa Kachowka könnte örtlichen Behörden zufolge nach dem Dammbruch insgesamt um bis zu zwölf Meter steigen. Das schätzt der von der russischen Besatzungsmacht installierte Bürgermeister von Nowa Kachowka, Wladimir Leontjew, in einer auf Telegram verbreiteten Erklärung. Nowa Kachowka ist der Teil der Stadt Kachowka, der direkt am Staudamm liegt. Kachowka selbst liegt weiter östlich. Den Behörden zufolge wird das Wasser in Nowa Kachowka in den kommenden 72 Stunden ansteigen.

Leontjew sagte am Dienstag im russischen Staatsfernsehen, es sei "offensichtlich", dass das Kraftwerk nicht mehr repariert werden könne. Der ukrainische Betreiber der Anlage sprach von kompletter Zerstörung. 

Massive Überschwemmungen möglich

Befürchtet wird, dass der Bruch des Staudamms in der umkämpften Region Cherson zu massiven Überschwemmungen führt. Nach Angaben der örtlichen Behörden sind etwa 16'000 Menschen in der "kritischen Zone" zuhause. Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal sprach von einer Überschwemmungsgefahr für bis zu 80 Ortschaften. Die Zerstörung werde zu einer Umweltkatastrophe führen. Der Militärgouverneur des Gebiets, Olexander Prokudin, warnte, binnen fünf Stunden könne der Wasserstand eine kritische Höhe erreichen.

Vermutet wird, dass der Damm gesprengt wurde. Kiew und Moskau machten sich gegenseitig dafür verantwortlich. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von "Terror" und berief den nationalen Sicherheitsrat ein. Das ukrainische Militär begann auf der linken Seite des Flusses Dnipro - wo auch die von den Ukrainern befreite Gebietshauptstadt Cherson liegt - mit Evakuierungen. Die russischen Besatzer hingegen machten ukrainischen Beschuss für die Schäden verantwortlich. Spekuliert wurde auch, dass der Damm aufgrund schlechter Wartung gebrochen sein könnte. Die Angaben beider Seiten konnten zunächst nicht unabhängig überprüft werden.

Bürgermeister Leontjew räumte ein, dass es auch zu Problemen bei der Wasserversorgung auf der bereits 2014 von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim kommen könnte, die südlich von Cherson liegt. Diese wird mit Wasser aus dem Kachowka-Stausee beliefert. In ukrainischen Medien und in sozialen Netzwerken wurden Videos geteilt, die dem Anschein nach bereits gestiegene Wasserstände um die Stadt Cherson zeigten. Auf Aufnahmen ist auch zu sehen, wie offenbar grosse Wassermengen aus der Mauer des Staudamms strömen. Die Echtheit der Videos konnte zunächst nicht unabhängig überprüft werden.

Russland hatte das Nachbarland Ukraine vor mehr als 15 Monaten überfallen und im Zuge seines Angriffskriegs auch das Gebiet Cherson besetzt. Im vergangenen Herbst gelang der ukrainischen Armee dann die Befreiung eines Teils der Region - auch der gleichnamigen Gebietshauptstadt Städte südlich des Dnipro blieben allerdings unter russischer Kontrolle, darunter auch die Staudamm-Stadt Nowa Kachowka. Immer wieder hatten die Ukrainer vor einem möglichen Sabotageakt der Russen in Nowa Kachowka gewarnt. Für besondere Beunruhigung sorgte, als die Besatzer im November die Evakuierung der Stadt ankündigten.

(Reuters/AWP)