Eine Mehrheit will das Büro jetzt zumindest zeitweise meiden, was eine kleine Revolution in einer Branche bedeuten könnte, die für ihre langen Arbeitszeiten und ihren gnadenlosen Wettbewerb bekannt ist. Vier Fünftel von 85 Händlern, die diesen Monat von Bloomberg News kontaktiert wurden, gaben an, dass sie zumindest zeitweise Tele-Arbeit leisten wollen, wenn die derzeitigen Beschränkungen beendet sind. Unter 254 Finanzmarktprofis würden sogar mehr als 90 Prozent in Zukunft Heimarbeit in Betracht ziehen.

Europa wurde von den sozialen Distanzierungsgeboten genau zu dem Zeitpunkt getroffen, als Händler begannen, ihre Work-Life-Balance zu hinterfragen. Eine Umfrage der London Stock Exchange zeigte, dass in der Region mit einigen der längsten Börsen-Handelszeiten der Welt sich eine Mehrheit kürzere Arbeitstage wünscht.

Akzeptierte Norm

In der Branche, die für lebhaften Parketthandel und Beziehungspflege bekannt ist, haben die aktuell herrschenden Umstände den Menschen die Freiheit gegeben, sich andere Formen der Arbeitswelt vorzustellen. Mehr als 50 Prozent der befragten Händler gaben an, dass sie in Zukunft mindestens die Hälfte der Zeit von zu Hause aus arbeiten möchten.

"Es gab eine akzeptierte Norm, dass man, zumindest um bestimmte Aufgaben effektiv erfüllen zu können, unbedingt viele Stunden im Büro sein müsse und dies die einzige Art sei, zu arbeiten", sagte Joseph Sproul, stellvertretender Direktor bei Alpha FMC, einem in London ansässigen Berater für die Vermögensverwaltungsbranche. "Die Erfahrungen der letzten zwei Monate haben gezeigt, dass es auch andere Arbeitsweisen gibt, und in einigen Funktionen ein deutlich ausgewogenerer Ansatz genauso wirkungsvoll, wenn nicht sogar wirkungsvoller sein kann."

Es gibt bereits Anzeichen für einen solchen Wandel. Danske Bank hat angekündigt, dass es ihren Mitarbeitern erlaubt sei, einige Tage in der Woche von zu Hause aus zu arbeiten, als dauerhafte Anpassung der Arbeitsbedingungen. JPMorgan geht davon aus, dass die Büros auf "absehbare Zeit" höchstens halb voll sein werden, wie aus einem Memo hervorgeht, das an Mitarbeiter in der Region Europa, Naher Osten und Afrika verschickt wurde. In Spanien testet die ING Groep derzeit einen Plan, der den Mitarbeitern ab dem 1. September völlige Flexibilität bei der Wahl des Arbeitsortes geben soll.

Zeitersparnis beim Pendeln und erhöhte Produktivität gehörten für die europäischen Finanzprofis zu den Hauptgründen dafür, häufiger von zu Hause aus arbeiten zu wollen. Andere nannten auch ein geringeres Stressniveau, einen gesünderen Lebensstil und mehr Zeit mit ihren Familien.

«Mehr Freizeit»

Matthew McLoughlin, in London ansässiger Head of Trading bei Liontrust Investment Partners, sagte, es wäre ideal, wenn die Händler ihre Woche zwischen Büro und Zuhause aufteilen könnten, da dies ihre Work-Life-Balance verbessern und ihnen gleichzeitig die Interaktion mit Kollegen und Kunden ermöglichen würde.

"Ich war überrascht, wie gut die Verlagerung der Handelswelt auf die Arbeit von zu Hause aus funktioniert hat", sagte McLoughlin. "Ich habe es sehr genossen, von zu Hause aus zu arbeiten und kann definitiv sagen, dass ich mich geistig und körperlich nie gesünder gefühlt habe. Ich habe das Gefühl, dass auch mein Unternehmen davon profitiert hat, denn ich kann bei Bedarf länger arbeiten und geniesse dennoch mehr Freizeit, da ich nicht pendeln muss."

Etwa 97 Prozent der befragten Analysten und 94 Prozent der Fondsmanager gaben an, dass sie in Zukunft zumindest zeitweise von zu Hause aus arbeiten wollen. Mehr als zwei Drittel der Befragten waren zum Zeitpunkt ihrer Antwort Vollzeit beschäftigt. Und trotz der durch MiFID II eingeführten verstärkten Compliance-Berichterstattung gaben 83 Prozent der Befragten an, dass es weiterhin möglich sei, die Regeln und Vorschriften einzuhalten.

Etwa 58 Prozent derer, die auf Fragen von Bloomberg News geantwortet haben, waren in London ansässig, der Rest in anderen europäischen Grossstädten, darunter Paris, Frankfurt und Amsterdam. Etwa ein Drittel der Befragten waren Händler, 19 Prozent Fondsmanager und 47 Prozent Analysten.

Manche Händler vermissen «den Geist des Parketts»

Nicht alle Finanzprofis wollen das Büro meiden. Diejenigen, die nicht aus der Ferne arbeiten wollten und die Rückkehr ins Büro nicht erwarten konnten, nannten die Notwendigkeit der persönlichen Interaktion und des Gedankenaustauschs mit Kunden und Kollegen sowie das Vorhandensein von häuslichen Ablenkungen wie Kindern oder Haustieren.

"Wir brauchen den Informationsfluss, wir müssen hören, was andere Händler tun, ob sie schreien oder still sind", sagte Guillermo Hernandez Sampere, Head of Trading beim Vermögensverwalter MPPM EK in Eppstein im Taunus. "Der Geist des Parketts lässt sich von zu Hause aus unmöglich reproduzieren."

(Bloomberg)