Russland-Sanktionen und Hamas-Verbot: Die Kriege in der Ukraine und in Gaza haben die Schweizer Neutralität auf die Probe gestellt. Ausländische Beobachter am Weltwirtschaftsforum (WEF) sehen Kratzer am Image der neutralen Vermittlerin. Die diplomatische Konkurrenz steht schon bereit: Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE).
«Wir sind die neue Schweiz am Golf», sagte VAE-Wirtschaftsminister Abdulla bin Tuk an einer Diskussionsrunde in Davos GR. Die Fragmentierung der Welt werde mindestens für die nächste Dekade andauern. «Wir müssen uns neu installieren und über neue Handelsrouten, neue Allianzen, Öffnungen und Konflikte nachdenken», sagte er.
Die 480-Milliarden-Dollar-Volkswirtschaft mit geplantem 4- bis 5-prozentigem Wachstum für 2024 will international eine grössere Rolle spielen. «Durch die letzten Krisen haben wir gezeigt, dass wir anpassungsfähig sind», sagte Digitalminister Omar Sultan Al Olama.
Die VAE übten sich bereits in diplomatischer Zurückhaltung: Im Gaza-Krieg zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas verzichteten die Emirate vornehmlich auf Kritik an Israel - ganz anders als andere arabische Staaten.
Übung als Gastgeberin
Zudem schlüpfte der Golfstaat jüngst auch in die Rolle als diplomatischer Gastgeber: Im Dezember 2023 etwa richtete der Ölstaat die wichtige 28. Uno-Klimakonferenz COP28 in Dubai aus. Im Februar findet in der Hauptstadt Abu Dhabi die wichtige nächste Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation statt.
Ein Berater der VAE-Regierung erklärte der Nachrichtenagentur Keystone-SDA am Rande des WEF in Davos, die Schweiz habe ein Image als neutrale Vermittlerin, und diese «Marke» sei von unschätzbarem Wert. Aber es gebe beunruhigende Entwicklungen, die dieses Image beschädigen würden.
Das Weltwirtschaftsforum in Davos sei immer ein Platz für offene Gespräche gewesen, sagte der Berater. Dieses Jahr seien aber wichtige Player nicht dabei, darunter die Türkei und Russland. «Russland ist nicht weit weg und wird aus der Welt nicht einfach verschwinden. Man muss sich mit dem Land auseinandersetzen.»
Diskussionen um ein Hamas-Verbot etwa seien der Rolle als neutrale Vermittlerin ebenfalls abträglich, meinte der arabische Berater. «Es ist der schlechteste Zeitpunkt für die Schweiz, sich für eine Seite zu entscheiden.» In der heutigen zersplitterten Welt müsse eigentlich «die Marke» der Schweiz geschützt werden.
Schweiz bleibt lieber diskret
In der Schweiz war rund um die Russland-Sanktionen erneut eine heftige Neutralitätsdiskussion entbrannt. Die einen plädierten für eine klare Positionierung gegen völkerrechtswidrige Aggressoren, andere sehen die Massnahmen als Hindernis für die Neutralität.
Trotzdem konnte die Schweiz zuletzt grosse diplomatische Erfolge verbuchen. Zur Ukraine organisierte die Schweiz 2023 in Lugano TI eine Wiederaufbaukonferenz. Und am vergangenen Sonntag diskutierten in Davos 80 Länder über eine Friedensformel für das kriegsgebeutelte Land. Zudem soll die Schweiz als nächstes einen grossen Friedensgipfel organisieren.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gratulierte der Schweiz am WEF gemäss den Worten von Bundespräsidentin Viola Amherd zu den Guten Diensten, die die Schweiz für die Ukraine leiste.
Aussenminister Ignazio Cassis sagte am WEF vor Journalisten, dass die Schweiz als Vermittlerin sehr wohl gefragt sei. Dies könne man aber nicht immer öffentlich machen, weil sonst die Schweiz genau ihre Rolle als diskrete Vermittlerin nicht mehr wahrnehmen könne.
(AWP)
5 Kommentare
Nein die schweiz hat keine guten diplomatische dienste erwiesen. Nur für die ukraine. Friedensverhandlungen sind nur seriös, wenn beide parteien sich einigen können. Aber uns ging es seit jahrzehnten zu gut, da verlernt man was es heisst, einen kühlen kopf zu bewahren in einer gefährlichen welt.
Jaja die Vorzeigedemokratie VAE
Kratzer am Schweizer Image: OK, verstanden.
Aber wie bitte? Die VAE als menschenwürdige Alternative? Alles Heuchler.
Die Exponenten in der Politik, die die Schweizer Neutralität torpediert haben, müssen vor Gericht und als Hochverräter gegenüber der neutralen Eidgenossenschaft gehandhabt werden !!!
Was für ein Blödsinn, den sie da schreiben. Und weswegen, weil uhuh, die UAE die Schweiz am Golf sein will?
Was nötiger wäre, ist eine Diskussion wie sinnvoll die Neutralität heute noch ist. Insbesondere weil wir schon lange lange nicht so richtig neutral waren.