Seit seiner Corona-Infektion hat Altenpfleger Carsten Arndt-Bökhaus einfach keine Energie mehr. "Mittlerweile schlafe ich zwölf, 13, 14 Stunden durch, fühle mich aber danach wie vorher auch. Als ob ich gar nicht im Bett gewesen bin. Es funktioniert nix mehr", berichtet er. Der 46-Jährige, der sich bei der Arbeit im Dezember 2020 angesteckt hat, kann diese seitdem nicht mehr ausführen. Alltagstätigkeiten wie Einkaufen muss er wegen der schnellen Erschöpfung Tage im Voraus akribisch planen. Bei Millionen von Menschen hat Corona anhaltende Beeinträchtigungen hinterlassen, für die es noch keine Behandlung gibt. Der Ruf nach Therapien und Medikamenten wird immer lauter. Aber im Gegensatz zur schnellen Entwicklung von Corona-Impfstoffen ist bei Medikamenten noch kein Durchbruch in Sicht.

Laut einer in der Fachzeitschrift "Nature Reviews Microbiology" veröffentlichten Studie leiden mindestens zehn Prozent der Covid-Infizierten länger unter Symptomen wie Erschöpfung, Kurzatmigkeit, Dauer-Husten sowie Konzentrations- und Gedächtnisproblemen. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden die Beschwerden als Long Covid bezeichnet, auch wenn Experten bei anhaltender Krankheit nach drei Monaten von Post Covid sprechen. Weltweit dürften schätzungsweise mindestens 65 Millionen Menschen davon betroffen sein. In Deutschland zeigen die letzten verfügbaren Daten des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung im dritten Quartal 2022, dass rund 342.400 Patienten deshalb in vertragsärztlicher Behandlung waren. Am stärksten sind dabei Frauen und Männer im Alter zwischen 55 und 59 Jahren betroffen.

Schwache Datenlage in Deutschland

Die wirtschaftlichen Folgen eines Ausfalls so vieler Arbeitskräfte sind potenziell enorm, aber vor allem in Deutschland nicht einmal ansatzweise untersucht. Aus den USA, wo die Regierung Milliarden Dollar in die Forschung von Long- und Post-Covid-Behandlungen steckt, kamen 2022 besorgniserregende Berechnungen: Der Wirtschaftswissenschaftler David Cutler von der Universität Harvard schätzte vor einem Jahr die möglichen wirtschaftlichen Kosten durch Long Covid für die USA auf 3,7 Billionen Dollar. Eine Brookings-Studie schätzt den Lohnausfall auf rund 170 Milliarden Dollar pro Jahr. Zwar sinken die Kosten, je mehr Menschen über die Zeit genesen. Aber die US-Regierung schätzte Ende 2022 der "Washington Post" zufolge, dass weiter rund eine Million Beschäftigte wegen Long Covid nicht arbeiten könnten. Rund 50 Milliarden Dollar an Lohn fallen pro Jahr aus.

In Deutschland fehlen solche Daten. Das Bundesgesundheitsministerium spricht nur von "erheblichen ökonomischen Auswirkungen", etwa durch lange Berufsunfähigkeitszeiten. Die anderen Ministerien tappen im Dunkeln. "Es sind sicher viele Hunderttausende im Moment in Deutschland, die aus dem Berufsleben gefallen sind durch die Erkrankung und letztendlich auch in der Familie fehlen", schätzt die Immunologin Carmen Scheibenbogen von der Berliner Charité. "Natürlich ist das eine riesige Dimension, auch was die Kosten angeht. Das steht in keinem Verhältnis zu dem, was es kosten würde, wenn wir in grossem Stil Medikamente entwickeln würden." Die Förderung von Studien auf diesem Gebiet sei bislang viel zu zögerlich verlaufen. "Letztendlich hätte man viel mehr Studien und auch schon früher machen können", kritisiert sie.

Zögerlicher Einstieg in die Forschung

Im Vergleich zu den staatlichen Hilfen für die Entwicklung von Covid-Impfstoffen hält sich das Engagement der Bundesregierung bei der Entwicklung von Medikamenten in Grenzen: "Das ist mir persönlich ein wichtiges Anliegen", sagte Kanzler Olaf Scholz zwar mit Blick auf die Bekämpfung von Long Covid. Die Förderung der Gesundheits- und Forschungsministerien bei Long- oder Post-Covid-Forschungsprojekten bewegt sich bisher aber lediglich im mittleren zweistelligen Millionenbereich. Gesundheitsminister Karl Lauterbach kündigte im Januar immerhin 100 Millionen Euro etwa für die Versorgungsforschung und epidemiologische Forschung an.

Viele Betroffene sind verzweifelt, weil es immer noch keine zugelassene Therapie gibt. Als Hoffnungsträger gilt das Mittel BC007 der Firma Berlin Cures. Obwohl der Wirkstoff noch keine zulassungsrelevante klinische Studie am Menschen durchlaufen hat, fordert die Social-Media-Kampagne "nichtgenesen" eine beschleunigte Zulassung des Medikaments - Wissenschaftler der Universität Erlangen hatten bei vier Patienten mit Long Covid 2021 erfolgreiche Heilversuche verkündet. Im Forschungsministerium bremst man zu hohe Erwartungen. Trotz einzelner vorhandener Hinweise stünden wissenschaftliche Belege zur Wirksamkeit von BC007 aus. Berlin Cures will noch in diesem Monat eine klinische Studie der Phase-2 mit dem Mittel starten, die mehr Aufschluss über dessen Wirksamkeit geben soll. Nach Einschätzung von Immunologin Scheibenbogen muss dabei auch die Frage beantwortet werden, für wen das Mittel geeignet ist. "Es wird sicher nicht allen helfen, die Long Covid haben", gibt sie zu Bedenken. Denn für Long Covid gebe es vielfältige Ursachen.

Autoantikörper - gegen die sich BC007 richtet und die Wissenschaftler als möglichen Auslöser der Beschwerden sehen - spielten wahrscheinlich nur bei einem Teil der Betroffenen eine Rolle, sagt Scheibenbogen. Doch bei den Betroffenen ist der Frust hoch, dass die Entwicklung nicht im gleichen Tempo verläuft wie bei den Covid-Impfstoffen zu Beginn der Pandemie. Das könne auch nicht erwartet werden, meint Berlin-Cures-Verwaltungsratschef Rainer Boehm. "Bei Long Covid sind wir in der normalen Zeitachse, wie sie generell für die Entwicklung neuer Medikamente üblich ist."

Sehr unterschiedliche Krankheitsbilder

Nach Angaben des Verbands der forschenden Pharmaunternehmen vfa machen es zwei Punkte sehr schwer, schnell wirksame Therapien gegen die Beschwerden bei Long Covid zu entwickeln: "Man kennt die Vorgänge im Körper kaum und weiss daher nicht sicher, wo Medikamente eingreifen könnten", sagt vfa-Forschungssprecher Rolf Hömke. "Und vermutlich werden die verschiedenen Krankheits-Unterformen nicht alle auf die gleiche Behandlung ansprechen." Noch sei offen, welche Medikamente in welchem Umfang eine Linderung oder gar Heilung ermöglichten. Unternehmen und Institute weltweit gingen nun in etlichen Projekten der Frage nach, was helfen könnte. Einer im Januar in der Fachzeitschrift "Clinical Microbiology and Infection" veröffentlichten Studie zufolge werden rund 60 Medikamente erprobt. Je mehr Krankheits-Varianten es gibt, desto unwahrscheinlicher aber wird die Entwicklung eines für die Industrie lukrativen Medikaments.

Genau das bekommt Altenpfleger Arndt-Bökhaus zu spüren: Bei ihm wurde das chronische Fatigue-Syndrom (ME/CFS) infolge seiner Infektion diagnostiziert. Von diesem ist auch die 49-Jährige Religionslehrerin Kati Ring betroffen, die vor einem Jahr an Covid erkrankte. "Manchmal ist da eine abgrundtiefe Erschöpfung, dass ich mich nur hinlegen und abwarten kann, bis es irgendwann wieder besser wird. Die Kraft reicht zum Existieren und Dasein, aber zu mehr nicht." Hinzu kämen Schmerzen an den Muskeln, Nerven und Gelenken, bis hin zu Durchblutungsstörungen. Viele ihrer Therapien habe sie bislang aus eigener Tasche gezahlt.

Das chronische Fatigue Syndrom ME/CFS macht nach Einschätzung der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS mittlerweile eine grosse und relevante Untergruppe von Long Covid aus. "Das sind wirklich schwerkranke Menschen", sagt Scheibenbogen, die Leiterin des Fatigue Centrums an der Charité ist. "Das Perfide an dieser Erkrankung ist, dass man sich oft kaum noch belasten kann. Schon kleine Alltagsdinge führen dazu, dass es einem schlechter geht und man sogenannte Crashs bekommen kann." Ring - Mutter von fünf Kindern - dachte lange, sie müsste sich nur etwas zusammenreissen, könnte weiter ihre Grenzen überschreiten und müsse sich danach nur ausruhen. Aber das habe es nur schlimmer gemacht. Sie wünscht sich mehr Unterstützung vom Staat: "Was passiert denn mit den Leuten, die nicht mehr so können wegen Long Covid? Ich glaube, dass das ein riesiges gesamtgesellschaftliches Problem ist."

(Reuters)