Vergangene Nacht spielten sich an der Börse in New York dramatische Szenen ab. Nachdem bekannt worden war, dass die US-Börsenaufsicht SEC eine Untersuchung gegen Alibaba eröffnet hat, brach eine Ausverkaufswelle über die Aktie des bekannten chinesischen Onlinehändler-Riesen herein. Bei Handelsende resultierte ein sattes Minus von 6,8 Prozent.

Damit ist Alibaba nach Valeant Pharmaceuticals schon das zweite bei Anlegern beliebte Unternehmen, welches aufgrund seiner Buchführungspraktiken in die Kritik gerät. Dieses Thema lässt unschöne Erinnerungen an den Kollaps der Milliardenkonzerne Enron und WorldCom aufkommen.

Wer jetzt denkt, dass es sich dabei um ein amerikanisches oder ein chinesisches Phänomen handelt, der irrt. Auch in Europa werden die Publikumsgesellschaften immer kreativer, wenn es um die Rechnungslegung geht. Dabei sind die Praktiken sehr vielfältig und wurden auch vielfach schon bemängelt.

Kreative Buchführung auch in Europa auf dem Vormarsch

In einer erst vor wenigen Tagen veröffentlichten Strategiestudie warnt die britische Grossbank Barclays vor einer allgemeinen Verschlechterung der Ergebnisqualität bei europäischen Unternehmen. Wie die Autorin schreibt, hat sich die Anzahl derjenigen europäischen Publikumsgesellschaften, welche nicht-GAAP-konforme Gewinne ausweisen, in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt. GAAP steht dabei für allgemein anerkannte Buchführungspraktiken.

Dazu komme, dass die Differenz zwischen den effektiven und den nicht-GAAP-konformen Gewinnen ein neues Rekordhoch erreicht habe, so die Buchhaltungsexpertin von Barclays. Mit anderen Worten: Immer mehr Firmen lassen in einem immer grösseren Ausmass gewisse Aufwendungen wie Mitarbeiterbeteiligungen, Pensionsverpflichtungen oder Restrukturierungs- und Rechtskosten einfach weg und weisen dadurch einen höheren Gewinn aus.

Zwei Grosskonzerne aus der Schweiz namentlich erwähnt

Man kann das diesen Unternehmen nicht übelnehmen, ist der mit der Quartalsberichterstattung einhergehende Ergebnisdruck doch riesig, könnte man einwenden. Wie die letzten Wochen gezeigt haben, kennt die Börse auch in der Schweiz keine Gnade, wenn man sie zu sehr enttäuscht.

In der Studie von Barclays werden neben zahlreichen anderen europäischen Firmen auch Julius Bär und Straumann namentlich erwähnt. Die traditionsreiche Zürcher Privatbank steht dabei sogar an siebter Stelle, was den Umfang der Anpassungen in der Ertragsrechnung anbetrifft. Der führende Dentalimplantatehersteller aus Basel muss hingegen für die starke Zunahme bei der Differenz zwischen den effektiven und dem nicht-GAAP-konformen Gewinnen in der Medizinaltechnikindustrie herhalten.

Allerdings wird in der Studie explizit darauf hingewiesen, dass längst nicht bei allen Abweichungen von den allgemein anerkannten Buchführungspraktiken die Warnlampen blinken müssen. Der Teufel stecke diesbezüglich wie gewohnt im Detail, so lässt die Studienverfasserin die Leser wissen.