Ein Kredit für eine neue Fabrik oder eine Firmenübernahme wird benötigt, aber die Konditionen der Bank passen nicht? Immer mehr Unternehmen und Investoren wenden sich in solchen Fällen dem mittlerweile 1,6 Billionen Dollar schweren Markt für sogenannte Privatkredite zu. Als Alternative zu traditionellen Banken sind sie seit der Finanzkrise 2008 gefragt, in deren Folge die Kreditvergabe strenger geregelt wurde. Heute sind Privatkredite eine ernsthafte Konkurrenz für die Kreditinstitute. Der Kundenstamm reicht von Immobilienfirmen bis hin zu Tech-Startups. Das Geld für die Kreditfonds kommt von Ultrareichen, Pensions- und Staatsfonds und sogar von den Banken selbst, die eigentlich mit den Schattenbanken konkurrieren. Die grosse offene Frage bleibt, wie der Sektor mit Rezession und faulen Krediten zurechtkommt.

1. Was ist ein Privatkredit?

Die Ursprünge der Privatkredite reichen in die 1980er Jahre zurück. Damals begannen Versicherungen direkt an Unternehmen Geld zu verleihen. Heute verfolgen Privatkreditfonds eine Vielzahl von Strategien:

  • Direktkredite: Unternehmen leihen sich direkt von einer Nicht- Bank Geld, der allein oder zusammen mit anderen Geldgebern agiert. Die Kredite werden in der Regel bis zur Fälligkeit gehalten.
  • Notleidende Kredite: Kreditfonds übernehmen Kredite, die etwa wegen Zweifeln an der Zahlungsfähigkeit des Kreditnehmers zu einem grossen Abschlag angeboten werden. Sie setzen darauf, doch noch eine höhere Rückzahlung zu erhalten oder durch Umschuldungen oder Restrukturierungen besser auszusteigen.
  • Risikokredite: Finanzierungen für Startups, die noch keinen Gewinn erwirtschaftet haben. Die Höhe des Kredits basiert in der Regel auf einem Vielfachen der wiederkehrenden Umsätze des Unternehmens.
  • Mezzaninkapital: Risikoreichere Kredite, die im Insolvenzfall in der Schuldenhierarchie über dem Eigenkapital aber unter den vorrangigen Krediten stehen.
  • Sondersituationen (special situations): Finanzierungen, die an konkrete Transaktionen oder Ereignisse gebunden sind (wie z.B. Übernahmen, Ausgliederungen, Restrukturierungen), und nicht denselben Kennziffern folgen wie Kredite für allgemeine Unternehmenszwecke.

2. Wie gross ist der Markt für Privatkredite?

Kreditfonds konnten Marktanteile gewinnen in turbulenten Zeiten auf den Finanzmärkten und in Perioden, in denen die Banken keine ausreichende freie Kapazität in ihren Büchern hatten. Geschlossene Privatkreditfonds, die eine der fünf oben genannten Strategien verfolgen, verwalteten nach Angaben von Preqin, einem Datenspezialisten, per Juni 2023 weltweit ein Vermögen von rund 1,7 Billionen Dollar. Das ist mehr als das Dreifache der 500 Milliarden Dollar, die sie noch Ende 2015 in den Büchern hatten. Angesichts von “tektonischen Verschiebungen” an den Finanzmärkten rechnet der Fondsmanager BlackRock mit einem Privatkredit-Volumen von 3,5 Billionen Dollar bis zum Jahr 2028.

3. Was ist der Vorteil für Kreditnehmer?

Privatkreditgeber werben damit, dass sie mit Kreditnehmern arbeiten können, die kein normales Bankdarlehen bekommen würden — wie etwa schnell wachsende, noch verlustbringende Startups. Auch wer sehr flexible Bedingungen benötigt, wird bei Privatkrediten eher fündig. Ein weiterer Pluspunkt ist, dass die Preisgestaltung oft im Voraus feststeht, wohingegen bei Syndikatskrediten mit vielen beteiligten Banken die Konditionen vor dem endgültigen Abschluss oft stark schwanken. Auch die Abwicklung kann einfacher sein, da Marktschwankungen weniger starken Einfluss haben. Unternehmen, die wegen der gestiegenen Zinsen vor schwierigen Refinanzierungen von Leveraged Loans standen, haben diese mit Privatkrediten refinanziert, bei denen Konditionen wie aufgeschobene Zinszahlungen — sogenanntes Payment-in-Kind — möglich und gängig sind.

4. Was hat sich in letzter Zeit getan?

Die seit 2022 schnell steigenden Zinsen verursachten bei den Banken einen Rückstau an Krediten für Firmenübernahmen, die sie vor Beginn des Zinserhöhungszyklus gewährt hatten und die nun unprofitabel wurden. Sie hielten sich mit der Vergabe neuer Kredite zurück und versuchten zugleich, ausstehende Kredite loszuwerden. Kreditfonds sprangen ein, vergaben neue Kredite und übernahmen bestehende. Sie können derzeit Mittel in ähnlicher Höhe vergeben wie grosse Bankkonsortien. Im November vergab ein Konsortium von Fonds — unter anderen der kanadische Pensionsfonds CPP, Blackstone und der Singapurer Staatsfonds GIC — einen Kredit in Höhe von 4,5 Milliarden Euro für die Übernahme des Kleinanzeigenanbieters Adevinta — ein Rekordbetrag. Und sogar Banken wie JPMorgan und Société Générale versuchen sich an privaten Kreditinvestitionen.

5. Warum in Privatkredite investieren?

Investoren erhalten für Privatkredite relativ hohe Zinsen als Ausgleich dafür, dass die Kredite häufig riskanter und schwieriger zu veräussern sind. Für Direktkredite kann zwischen 200 und 300 Basispunkten mehr verlangt werden als für einen Bankkredit an ein ähnliches Unternehmen fällig werden würde. Privatkredite bieten Anlegern auch die Chance, ihre Investitionen zu diversifizieren und sich vor Kursschwankungen an öffentlichen Märkten zu schützen. Ausserdem kann man in manche Unternehmen gar nicht an öffentlichen Märkten einsteigen.

6. Welche Auswirkungen hatte die Zinswende?

Die überwiegende Mehrheit der Privatkredite ist variabel verzinst, die Renditen sind also im Einklang mit den Leitzinsen in die Höhe gegangen. Einige der risikoreichsten Kredite werfen inzwischen jährliche Renditen im mittleren Zehnerbereich ab — etwa Finanzierungen für angeschlagene Unternehmen, für Übernahmen oder Ausgliederungen, oder im Rahmen von Insolvenzen. Das ist eine ähnliche Rendite, wie sie mit Private Equity erzielt werden kann — aber bei geringerem Risiko. Die Kehrseite der Medaille ist das Risiko, dass die gestiegenen Zinsen die Kreditnehmer überlasten und sie ihre Kredite nicht mehr bedienen können. Eine weitere unerwünschte Folge zu hoher Renditen kann sein, dass sie vertraglich definierte Schwellen überschreiten, ab denen die Fondsmanager neben ihrer Verwaltungsgebühr auch einen Gewinnanteil erhalten — was den Gewinn der Investoren schmälert. In einigen Fällen kam es deshalb schon zu Nachverhandlungen über die Fondskonditionen.

7. Welche Risiken gibt es bei Privatkrediten?

Der Mangel an Marktliquidität kann zu hohen Verlusten führen, wenn ein Privatkreditgeber einen schnellen Ausstieg wünscht. In einigen Fonds ist das investierte Kapital für mehr als fünf Jahre gebunden. Es gibt zwar einen aufkommenden “Sekundärmarkt” für die Fondsbeteiligungen, allerdings wird in der Regel ein erheblicher Abschlag fällig. Auch mangelnde Transparenz ist ein Problem. Privatkreditfonds haben weniger Offenlegungsverpflichtungen als ihre börsennotierten Pendants. Das Fehlen eines liquiden Marktes für Privatkredite hat auch zur Folge, dass es keine objektive Instanz für den Marktwert gibt, der darum Gegenstand teils hitziger Debatten ist. Externe Gutachter können hinzugezogen werden, aber Fondsmanager müssen nicht unbedingt auf deren Meinung hören. Ein weiteres Risiko besteht darin, dass Private-Equity-Investoren immer stärker mit Fremdkapital arbeiten und sich dafür auch an Privatkreditgeber wenden, wodurch potenzielle Erschütterungen in einem Bereich den anderen in Mitleidenschaft ziehen könnten.

8. Wie sicher sind Privatkredite in einer Rezession?

Das weiss niemand wirklich. Die Kreditgeber verweisen darauf, dass ihre eigenen Finanzierungen längerfristig gebunden sind als die vieler anderer Kreditgeber. Auch seien ihre Kreditvergabestandards strenger. Die US-Notenbank kam in einer Studie zu dem Schluss, dass zwar Privatkredite als solche nicht bedenklich seien, der Mangel an Transparenz es jedoch schwer mache, die Risiken für das Finanz- und Bankensystem einzuschätzen. Moody’s gab zu bedenken, dass der verstärkte Wettbewerb zwischen Banken und Privatkreditfonds zu riskanteren Kreditgeschäften und damit zu mehr Zahlungsausfällen führen könnte. Aufgrund der fehlenden Daten zu den Bedingungen von Privatkrediten ist unklar, wie sich Bewertungen in einer Rezession entwickeln würden. Fondsmanager müssen womöglich nicht einmal offenlegen, wenn einzelne Kredite in Schwierigkeiten geraten.

9. Was tun Regulierung und Aufsicht?

Fondsmanager, die in Privatkredite investieren, unterliegen in den USA und Europa bereits bestimmten Anforderungen an Geschäftspraxis und Meldepflichten. Die Europäische Union führt gerade weitere Bestimmungen ein, etwa Obergrenzen für die Hebelung der Renditen durch Fremdkapital und eine Verpflichtung zur Risikostreuung. Die US-Börsenaufsicht schreibt vierteljährliche Berichte vor und fordert mehr Offenlegung zu den Kosten. Es gibt auch Anzeichen, dass die britische Aufsicht die Bewertungspraxis unter die Lupe nimmt. Aber insgesamt gibt es keine umfassenden Schritte, die Regulierung von Privatkreditfonds in Einklang zu bringen mit der von Banken, die Einlagen entgegennehmen. Offenbar sind die Regulierungen derzeit eher froh, über diesen Weg privates Kapital zur Finanzierung von Krediten zu mobilisieren, die sie als zu riskant für Banken ansehen.

(Bloomberg)